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Kulturpolitik in der Schweiz

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Das Wort „Schweiz“ ruft zunächst das Bild einer mächtigen und vielgestaltigen Natur hervor. Als weitere Assoziation folgt die Erinnerung an einen außergewöhnlichen, durch Jahrhunderte stetigen Geschichtsverlauf, in dessen Werden sich Ideen entscheidender humaner Lebens- und Gesellschaftsgestaltung verwirklicht haben. Ein drittes mit dem Begriff Schweiz verbundenes Signum wird durch die hochqualifizierte Präzisionsarbeit bezeichnet, in der sich die besondere Sorgfalt im Denken und Tun des Schweizers ausprägt.

Das kulturelle Leben der Schweiz spielt sich in weniger spektakulären Formen ab. Aber es besitzt eigene Züge, die sich in mah- cher Beziehung von den heutigen Methoden der Kulturpflege abheben. Lenkung von oben gibt es nicht. Kein eidgenössisches Kulturdepartement, das einem in anderen europäischen Ländern bestehenden Kultusministerium entsprechen würde, dirigiert die Kultur. Das Departement des Innern behandelt auf eidgenössischer Ebene auftauchende kulturelle Fragen im Sinne der Förderung,

nicht der Bestimmung. Kulturelle Initiative und Aktivität bleibt Aufgabe der kleineren Gebilde, der Gemeinden und Kantone, den natürlichen Trägern des frei sich entfaltenden geistigen Eigenlebens. Trotz aller allgemeinen Veränderungen der Lebensbeziehungen in jüngster Zeit, von denen auch die Staatsstruktur der Schweiz betroffen worden ist, behält diese historisch gewordene Tradition auch heute ihre Gültigkeit. Sie ist organisch mit der Vielfalt verbunden, die sich aus dem freien Kulturleben der deutschen, französischen und italienischen Landesteile ergibt, aus denen sich das föderalistisch strukturierte schweizerische Staatswesen aufbaut. „Das geistige Zusammenleben dreier großer Kulturen, das nicht ein Nebeneinander, sondern ein Miteinander, ein Zueinander, ein Füreinander im gemeinsamen Lebensraum darstellt, wäre unmöglich ohne die hündische Struktur unseres Bundesstaates. Der schweizerische Bundesstaat ist eine Gemeinschaft freier Republiken, die sich im Lauf der Jahrhunderte zusammengeschlossen haben. „Unser Bundesstaat saugt seine Elemente nicht auf“, so heißt es in einer interessanten Botschaft des schweizerischen Bundesrates aus dem Jahre 1938.

Ein Blick auf beliebige Beispiele frei sich entfaltender kultureller Aktivität in Gemeinden und Kantonen zeigt die belebende Wirkung, die sich aus dieser Grundanschauung ergibt. Städte und Kantone fördern die bildenden Künste durch Ankäufe und Aufträge für Amtsräume und öffentliche Baulichkeiten. Vielerorts ist es üblich geworden, bei solchen Neubauten ein bis zwei Prozent der Bausumme für Aufträge an Maler und Bildhauer einzusetzen. Die Integration der Künste, eines der bedeutendsten künstlerischen Anliegen unserer Zeit, erhält dadurch von außen her wertvolle Impulse. Wie die bildenden Künstler, erhalten auch Schriftsteller und Komponisten Werkaufträge von öffentlichen Stellen. Zürich hat mit dem „Städtischen Podium“ ein Forum geschaffen, von dem aus Musiker und Schriftsteller unmittelbaren Kontakt und Aussprache mit den Mitbürgern finden können. Basels „Kunstkredit“ hat zu einer starken Entwicklung der monumentalen Malerei und Skulptur beigetragen, die im Gesicht der Stadt erkennbar wird. Die von den Schaffhauser S,tadtbehörden inspirierten Ausstellungen im dortigen Museum Allerheiligen haben eine Atmosphäre geschaffen, die sich im ganzen Kulturleben der Stadt auch dann auswirkt, wenn die stets nur wenige Monate dauernden Ausstellungen ihre Pforten geschlossen haben.

Aber auch in abgelegeneren Orten entsteht mehr und mehr kulturelle Aktivität. Als Beispiel sei das kleine Yverdon herausgegriffen, das es sich seit einiger’Zeit zur Aufgabe gemacht hat, alljährlich im Sommer Meisterwerke der schweizerischen und internationalen Plastik zu vereinigen; oder das im Waadtland gelegene mittelalterliche Schloß La Sarraz, wo in diesem Jahr in der architektonischen Umwelt früherer Jahrhunderte Werke von Paul Klee gezeigt werden.

Die Entwicklung regionaler Kulturzentren schreitet vorwärts. Traditionelle Eigenheiten werden ins Gegenwärtige entwickelt, und aus der Initiative kleiner Gruppen bilden sich Institutionen volkshochschulartigen Charakters, zu denen die Kommunen kleine Beiträge bewilligen. Das im prachtvollen, altaristokratischen Planta-Haus im engadinischen Samedan eingerichtete, der rätoromanischen Sprache, Dichtung und Kunst gewidmete Zentrum sei als Beispiel hervorgehoben.

Im Volkstheater und im schweizerischen Festspiel wirken sich primäre Kräfte aus. Im Volkstheater, bei dessen Aufführungen man nicht selten die Gattin eines Bundesrates oder einen angesehenen Landammann in Hauptrollen begegnen kann, Kräfte der Sprach- gestaltung, die aus der Sprachanschaulichkeit der Dialekte hervorwachsen; beim Festspiel die Synthese in der Auswirkung solistischer Einzelpersönlichkeit und kollektiv chorischer Zusammenfassung. Zugegeben, daß in dieser Sphäre des Theatralischen viel Banales erscheint. Aber man sollte nicht vergessen, daß vom echten Volkstheater urtheatralische Impulse ausgehen können und daß die Gattung Festspiel beispielsweise ein Werk wie Hon- eggers „König David“ hervorgebracht hat.

In besonders starkem Maße wird der Schweizer von Fragen der Architektur betroffen. Aufgaben der Regional- oder Stadtplanung dringen oft überraschend tief ins Bewußtsein des Bürgers ein, der sich mit ihnen im Zusammenhang mit Abstimmungen zu befassen hat. Die Architektur selbst zieht daraus Gewinn; sie wird durch die Bürger, die zugleich Bauherren sind, intensiviert. Die Ergebnisse zeichnen sich am Schulbau besonders. deutlich ab, bei dem das Interesse der Eltern gleichsam interveniert. Aehnliches gilt für den Kirchenbau, dessen Probleme von der Gemeinde mit erstaunlichem Eindringen diskutiert werden, wie auch für die Stadt- oder Ortsplanung, in die die Gemeinschaft der Bürger zuweilen glücklich, manchmal auch unglücklich, stets aber lebendig eingreift — darum geht es vor allem im kulturellen Bereich.

Ueber solche und viele andere kulturelle Aufgabengebiete gibt ein kürzlich erschienener Sammelband „Kulturpolitik in der Schweiz“ reiche Auskunft. Das im Schweizerspiegel-Verlag, Zürich, erschienene interessant illustrierte Buch ist von der Stiftung Pro Helvetia herausgegeben, der die Aufgabe übertragen ist, das kulturelle Leben der Schweiz zu pflegen und zu fördern. Die im Jahre 1949 gegründete Stiftung ist aus der Situation der dreißiger Jahre entstanden, als die kulturelle Selbständigkeit der Schweiz bedroht gewesen ist. Damals .entstand der Gedanke der geistigen Landesverteidigung. In der schweizerischen Landesausstellung von 1939 nahm er sichtbare Gestalt an. Die dem schweizerischen Bundesrat verantwortliche Stiftung hält sich von jedem kulturpolitischen Zentralismus fern. Ihre Arbeit gilt der Förderung der frei spielenden kulturellen Kräfte, deren Initiative sie entgegennimmt. Die finanziellen Mittel, die sie für bestimmte Aufgaben zur Verfügung stellen kann, unterstehen der Bewilligung durch ein Gremium, das sich aus Persönlichkeiten der verschiedenen sprachlichen Regionen der Schweiz zusammensetzt. Neben den Aufgaben nach innen haben sich auch nach außen gerichtete Aufgaben entwickelt. Die Pro Helvetia löst sie unter anderem durch Veranstaltung kleinerer Aus^ Stellungen, die im Sinne von Kulturwerbung den Blick auf die kulturellen Kräfte der Schweiz richten. So haben Wanderausstellungen in Europa und Amerika ein Bild der zeitgenössischen Schweizer Archtitektur vermittelt, schweizerische Plakat- und Bühnenbildkunst sind gezeigt worden, Buchausstellungen haben die. jüngste literarische Produktion bekanntgemacht, und in letzter Zeit ist eine Ausstellung von Gemälden Ferdinand Hodlers auf die Reise geschickt worden. Solche Art der Kulturwerbung ist selbstverständlich Propaganda. Aber die Form, in der sie auftritt, verzichtet grundsätzlich auf jede Selbstbezogenheit; sie entspricht der von organischen Kräften bestimmten kulturellen Struktur des schweizerischen Kulturlebens.

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