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Kunde aus dem alten Afrika

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Seit der Entdeckung der altägyptischen Hochkultur war es bekannt, daß das Niltal seiner ganzen Erstreckung nach für die kulturelle Erschließung des schwarzen Erdteiles eine ganz besondere Bedeutung besitzt. Es ist daher nur zu berechtigt, wenn man in den abgelaufenen Jahrzehnten unseres Jahrhunderts gerade in diesem Gebiet planmäßige Grabungen durchführte und dabei Gelegenheit hatte, alte, hochstehende Kulturen zu entdecken, die weit über die Geschichte des Pharaonenstaates in die Tiefe der Zeit hineinreichen. Es darf uns dabei mit besonderer Genugtuung erfüllen, daß seinerzeit neben Engländern, Franzosen, Amerikanern und Ägyptern auch Österreicher führend an der Erschließung dieser jungsteinzeitlichen und paläolithischen Kulturen beteiligt waren und daß gerade sie es in erster Linie gewesen sind, denen wir die synthetische Erschließung aller gesammelten Aufschlüsse verdanken.

Dadurch ist es möglich geworden, von der Gründung des ägyptischen Alten Reiches um 3000 v. Chr. ausgehend und über die vordynastische Zeit Unter- und Oberägyptens fortschreitend, in ein sehr hohes Neolithikum vorzudringen, dessen bisher bekannten ältesten Spuren bis in das fünfte Jahrtausend v. Chr. zurückverfolgt werden konnten. Es handelt sich dabei um sehr umfangreiche Siedlungsaufschlüsse, die sowohl am Westrand des Nildeltas wie auch im Bereiche des westlich des unteren Nil gelegenen Fayum-sees freigelegt werden konnten. Die von der österreichischen Forschung untersuchte Merimdesiedlung und die von den Engländern erforschte F a y u m-kultur sind in der archäologischen Fachsprache gebräuchliche Begriffe für diese alte bäuerliche Kuitnr Ägyptens.

Darüber hinaus war es jedoch auch möglich, die zeitliche und kulturelle Abfolge der altsteinzeitlichen Geschichte aufzuzeigen. Das ägyptische Mesolithikum, also die frühpostglaziale Mittelsteinzeit, ist ebenso reich vertreten wie das obere, mittlere und untere Paläö-lithikum, das zu den besterforschten Perioden menschlicher Geschichte in Nordafrika zählt. Die Forschung hat sich aber nicht damit begnügt, den Formenbestand der einzelnen Stufen und Gruppen festzustellen; sie versuchte tiefer zu dringen und die einzelnen altsteinzeitlichen Perioden auch.mit der Klimageschichte der Eiszeit in Zusammenhang zu setzen, um damit die Möglichkeit zu erhalten, den landschaftlichen Charakter der einzelnen Kulturen zu erschließen. Ein vor wenigen Jahren erschienenes, groß angelegtes Werk des Kairenser Geographieprofessors Selim Huzzayin, der der Wiener Forschung kein Unbekannter ist und sich unter anderem auch bei uns auf seine Arbeit in der Heimat vorbereitete, gibt erschöpfenden Aufschluß über alle diese heiklen Probleme.

Geht es bei ihnen im allgemeinen darum, die einzelnen altsteinzeitlichen Kulturen mit dem Eiszeitphänomen in Einklang zu bringen, also festzustellen, ob diese oder jene Kultur in einem feuchten oder einem trockenen Klima gelebt hat, so spitzt sich die gesamte Problematik in den letzten Jahren auf eine Kernfrage der Urgeschichtsforschung zu: Wie hat — müssen wir fragen — der Lebensraum des Menschen in jenem Zeitpunkt ausgesehen, als er den kulturgeschichtlich so bedeutungsvollen Schritt aus der Mittelsteinzeit in die Jungsteinzeit tat?

Wir glauben heute nicht mehr daran, daß alle jene Eigenarten, die den jungsteinzeitlichen Menschen kennzeichnen und die wir in erster Linie durch das Fundgut erweisen können — also die Verwendung von Grünstein, seine Zurichtung durch Schleifen und das Formen von Gefäßen aus Ton — das erstemal nur an einer Stelle geschaffen wurden, um sich von hier aus durch Weitergabe oder Wanderung der Menschen' zu verbreiten. Wir haben vielmehr die Auffassung gewonnen, daß derartige grundlegende Neuformungen der menschlichen Kultur in Zonen geschaffen wurden, daß daher neben der individuellen Gestaltung auch jene der Gemeinschaft eine sehr große Rolle spielt.

In diesem Sinne ist darum auch die eben formulierte Frage zu verstehen, die man anders auch so auszudrücken vermag: Welche mesolithische Menschengruppe war die erste, die diese neuen Erfindungen tätigte und dann an ihre Umgebung weitergab? Kulturwissenschaftliche und geographisch-klimatolo-gische Fragestellung ergänzen daher einander und geben so die Gewähr für eine umfassende Betrachtung des ganzen Problemkreises.

Das ist um so notwendiger, als wir durch die Macht der Fundtatsachen auch kulturgeschichtlich umzulernen gezwungen wurden. Noch vor zehn Jahren hätte man es wahrscheinlich für unmöglich gehalten, die ältesten neolithischen Erscheinungen der alten Welt direkt mit der Mittelsteinzeit in Verbindung zu bringen. Damals war man noch voll und ganz von der Überzeugung durchdrungen, daß Asien die Heimat der jungsteinzeitlichen Kultur ist und daß Völkerwanderungen für ihre Verbreitung nach Europa und Afrika verantwortlich zu machen sind. Aus diesem Blickwinkel heraus kam man auch zur Uberzeugung, daß die oben erwähnten afrikanischen Kulturen von Fyaum und Merimde tatsächlich das allerälteste Neolithikum dieser Zone darstellten, denen keine weitere Schicht vorausgegangen sei. Heute aber sehen wir die Problemlage gerade von der gegenteiligen Seite her. Wir fragen nicht nach jenen Kulturen, deren formen-kundliche Eigenart ein voll ausgebildetes Neolithikum erkennen läßt, sondern heute interessieren uns jene Kulturen der Jungsteinzeit, in denen noch ein beachtlicher Teil mesolithischer Eigenart enthalten ist. Immer häufiger werden die Nachrichten, wonach die ältesten jungsteinzeitlichen Kulturen neben dem geschliffenen Grünsteingerät und der gut ausgeführten Tonware auch einen beachtlich hohen Anteil an Feuer-steinkleinformen aufweisen, die ihrerseits wieder die geometrische Ausführung deutlich zu erkennen geben. Wir haben daher gelernt, daß sowohl in

Europa wie in Afrika und Asien das alte Neolithikum eine ganz enge Verhaftung an die Mittelsteinzeit aufweist, daß also eine ungebrochene Kontinuität besteht, die weiter zu ergründen eine der wichtigsten Aufgaben der zukünftigen Neo-lithforschung sein muß.

Man begrüßt es daher besonders freudig, wenn neue Geländeuntersuchungen ein Fundgut freilegen, das in dieser neuen Forschungsrichtung weiterführt und wesentliche Beiträge zur Frage des Urheolithikums liefern kann. Ein solcher Beitrag liegt nun in einer soeben erschienenen Veröffentlichung eines englischen Fachkollegen vor. Er hatte Gelegenheit, während des letzten Krieges in K h a r t u m, also im anglo-ägypti-schen Sudan, eine sehr aufschlußreiche Grabung durchzuführen, die neben einem reichen Fundbestand auch viele neue Fragestellungen vor uns ausbreitete.

Die Fundstelle selbst ist ein ziemlich ausgedehntes Siedlungsgelände, in dessen Bereich auch 17 Bestattungen gefunden werden konnten. Sie waren regellos verstreut, also nicht nach bestimmten Grundsätzen angelegt, was allgemein, besonders aber im Nilgebiet, als ein besonderes Zeichen sehr hohen Alters angesprochen werden darf. Da die moderne Grabungstechnik nicht allein auf Funde Rücksicht nimmt, sondern in besonderem Umfange auch die Aufschlüsse des gewachsenen Bodens berücksichtigt, konnte die interessante Feststellung gemacht werden, daß der Wasserstand des Nils zur Zeit der Khar-tumsiedlung um vier Meter höher war, als er heute bei höchsten Wasserständen erreicht werden kann, das heißt aber, daß der Nil damals einen Wasserstand von rund sieben Meter geführt haben muß. Selbstverständlich ergab sich daraus auch ein sehr ausgedehntes Überschwemmungsgebiet, in dem eine reiche

Sumpffauna zu leben vermochte. Sie ist in Gestalt von Knochenresten, und zwar vom Krokodil, Nilpferd, Wasserbock, Büffel und von Fischen, reichlich nachgewiesen worden. Außerdem haben auch Schneckenfunde ergeben, daß im Gebiet von Khartum eine jährliche Niederschlagsmenge von mindestens 500 Millimeter gefallen ist, also ein besonders feuchtes und warmes Klima geherrscht haben muß.

Trotzdem aber hat der Mensch in dieser Zone leben, ja sehr gut leben können, wie die gefundenen Überreste' aus Stein, Keramik und Knochen erweisen.“ Und diese Funde sind es auch, die uns die größte Überraschung gebracht haben. Diese bezieht sich nicht so sehr auf das Steingerätinventar als auf die Keramik, da man auf Grund der bisherigen Erfahrungen niemals erwartet hätte, eine so wohl durchgebildete, mit einem so eindeutig ausgeprägten Formwollen verzierte Ware anzutreffen. Diese Khartumware umfaßt kumpfförmige Gefäße mit spitzem Boden, somit eine höchst altertümliche, wenn nicht überhaupt die älteste Form der keramischen Industrie. Für Europa läßt sich diese Auffassung ohne Mühe vertreten, in Afrika wird man vielleicht eines Tages eine noch ältere Ware finden, denn die aus Khartum vorliegenden Reste sind mit einer so reichen

Musterkarte von Wellenlinien, Schwurig-bögen, Stempel- und Stichmustern versehen, daß man allein daraus schon die absolute Beherrschung der keramischen Technologie erkennen könnte, wenn nicht auch die sorgfältige Behandlung des Tons und der Gefäßoberfläche zeigen würden, daß diese Gefäße nicht die ersten ihrer Art sein können. So wie sie sich ihrer ganzen Eigenart nach zeigen, verfügten ihre Hersteller über ein sehr reiches Maß an technischer Erfahrung.

Und das ist eben nun die eigentliche, wenn nicht die größte Überraschung, daß diese älteste Keramik des oberen Nilgebietes weitaus komplizierter und technisch fortgeschrittener aussieht als die einfache bäuerliche Ware des unterägyptischen Bereiches, die dazu noch viel jünger sein muß als die eben genannte aus Zentralnubien. ?

Versuchen wir, das Alter dieser Kultur zu ermitteln — wozu nicht allzu viele Anhaltspunkte gegeben sind —, dann kommen wir bei Ausnützung aller Hilfsmittel in die Zeit des 6. bis 7. Jahrtausends vor Christi und dam.it auch in die Periode des sogenannten postglazialen Klimaoptimums, dessen überragende Bedeutung für die kulturelle Gestaltung der Jungsteinzeit immer eindringlicher erwiesen wird. Damit aber ist eine sehr wichtige Antwort auf unsere Frage nach der landschaftlichen Gestaltung der ältesten Jungsteinzeit gegeben, denn aus dem Begriff des postglazialen KHmaoptimums lassen sich sehr viele Erscheinungen erklären, die sonst kaum in ihrer tatsächlichsn Bedeutung verstanden werden könnten.

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