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Kunst als Gebet in Farben

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Wer 1995 die Biennale in Venedig besucht hat, wird sich vielleicht an einen verhältnismäßig kleinen Raum erinnern, der von zwei Malern russischer Herkunft beherrscht war, von Kasimir Malewitsch und Alexej von Jawlensky.

Im hundertsten Jahr ihres Bestehens stand diese Biennale unter dem Motto „Identitä ed alteritä”; sie versuchte gewissermaßen eine Bilanz des Menschenbildes in der bildenden Kunst dieses zu Ende gehenden Jahrhunderts zu ziehen. Die Schau war bei aller Vielfalt vielleicht nicht umfassend, doch das Ergebnis war zutiefst pessimistisch und deprimierend. Ein getreues Abbild dieses Jahrhunderts zwischen Psychoanalyse und Genmanipulation, zwischen Auschwitz, Hiroshima und Industriegesellschaft, zwischen subjektiver Isolation und Freizeitkonsum.

Von Raum zu Raum stärker, legte sich ein Druck auf die Seele des Betrachters, der diese Ausstellung nicht nur nach der Relevanz der einzelnen Strömungen und ihrer Repräsentanten taxieren wollte. Ris er zu seinem nicht geringen Erstaunen plötzlich vor einer übergroßen Reproduktion des Grabtuchs von Turin stand, darunter Computersimulationen des Antlitzes eines gemarterten Leichnams. Ob so beabsichtigt oder nicht, für einen gläubigen Menschen war dies eine religiöse Aussage von großer Wirkkraft. Und in einem anschließenden Raum neben geometrischen Kreuzassoziationen von Malewitsch dann „Abstrakte Köpfe” und „Meditationen” von Jawlensky. Bei diesen späten Bildern des 1941 gestorbenen und in den letzten Ijebensjahren nahezu völlig gelähmten Alexej von Jawlensky war es, als wäre all der unsagbare Schmerz dieses Jahrhunderts in sie eingegangen als VERA IKON des leidenden, gestorbenen und begrabenen Christus.

Mag es auch wie eine allzugroße Vereinfachung klingen, wenn Jawlensky vielfach als Ikonenmaler der Moderne bezeichnet wird, sein Spätwerk, das in hunderten kleinformatigen, von ihm „Meditationen” genannten Bildern gipfelt, ist von tiefer Religiosität geprägt. Diese Bilder meditieren nur ein Thema: das Gesicht, gezeichnet vom russischen Kreuz, gebildet aus Augenbrauen, geschlossenen Augen, Nase und dem schweigenden Mund. Dazwischen leuchten die Farben wie in den Fenstern gotischer Kathedralen.

Alexej von Jawlensky, der Freund und Weggefährte von Kandinsky, Klee, Nolde, Feininger, um nur einige zu nennen, schwelgte in der ersten Hälfte seines Schaffens im Ausdruck und Kontrast der Farben. Er malte Stilleben, Landschaften und Porträts von wilder Vitalität. Die Kunst seiner Lehrer in Bußland hatte er längst als zu eng empfunden. Schon 1897 zog es den 33jährigen nach München, wo er 1909 mit Gleichgesinnten die „Neue Künstlervereinigung München” gründete, diese aber alsbald verließ und sich dem „Blauen Beiter” anschloß. '

Bei Kriegsausbruch 1914 muß der Busse Deutschland verlassen und geht ins Exil in die Schweiz. Es entstehen die berühmten „Variationen”,

Bilder eines von Bäumen gesäumten Weges, den er von seinem Fenster aus sieht und immer wieder malt, Bilder von subtiler Abstraktion und raffinierter Farbigkeit, „Lieder ohne Worte”, wie er sie selber nannte. „Doch dann war es mir notwendig, eine Form für das Gesicht zu finden, da ich verstanden hatte, daß die große Kunst nur mit religiösem Gefühl gemacht werden soll”, schreibt er 1938 in einer Art Bechenschaftsbericht an seinen lebenslangen Freund, den Benediktinermönch und Maler Willibrord Verkade. „Mir war genug, wenn ich mich in mich selbst vertiefte, betete und meine Seele vorbereitete in einem religiösen Zustand.”

1921 geht er zurück nach Deutschland. Es entstehen sogenannte „Heiligen- und Heilandsgesichter”, „Mystische Köpfe” und die „Abstrakten Köpfe”. Jawlensky geht konsequent einen ganz und gar eigenen Weg, der unfreiwillig in innerer Isolation mündet. Während die meisten seiner Künstlerfreunde emigrieren, bleibt Jawlensky in Deutschland, bereits seit 1929 von unheilbarer und überaus schmerzhafter Arthritis deformans gequält. 1933 wird ihm verboten, Bilder auszustellen und zu verkaufen, das Malen bereitet ihm größte Anstrengungen. Es entstehen die kleinformatigen „Meditationen”. 1937, er ist nahezu bewegungsunfähig, ist er mit vier Bildern bei der Ausstellung „Entartete Kunst” vertreten. „Kunst ist Sehnsucht zu Gott” schreibt er an P. Verkade. Und: „Meine Meditationen sind Gebete in Farben.” 1941 stirbt Jawlensky in Wiesbaden.

Während bei Sammelausstellungen hin und wieder auch in Österreich vor allem frühe Werke von Jawlensky gezeigt wurden, war das Spätwerk Jawlenskys in Österreich noch nie zu sehen. An Dauerbeständen gibt es nur zwei ebenfalls frühe Gemälde im Oberen Belvedere, Lithographien in der Sammlung Otto Mauer und einzelne Stücke in Privatsammlungen.

In ihrer mystischen Tiefe und Intensität zählen die späten Bilder aber ohne Zweifel zu den Schlüsselwerken religiöser Kunst der Gegenwart, verschließen sich aber gleichzeitig jeder konfessionellen oder dogmatischen Zuordnung. Noch zu'Lebzeiten Jawlenskys schrieb ein Kritiker (R. Reiche) etwas pathetisch, doch nicht unzutreffend: „Auferweckt aus den Urgründen des Schöpferischen, aufsteigend in die Stille der Ewigkeit, überrieselt vom fernen Licht der Sterne werden diese Visionen Altäre einer zukünftigen Religion.”

Im Künstlerhaus in Graz - im Rahmen des Kulturprogramms der Zweiten Europäischen Ökumenische' Versammlung im Juni - sowie im Wiener Dom- und Diözesanmuseum (Juli/August) wird derzeit eine Ausstellung mit „Variationen”, „Abstrakten Köpfen” und „Meditatio nen” von Alexej von Jawlensky vorbereitet. Das Radioprogramm Österreich 1 wird diese Ausstellungen mit einer Reihe von Sendungen begleiten, die erste davon ist bereits am Ostersonntag zu hören.

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