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Kunst auf der Werkbank

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EIN MASSIVES BACKSTEINGEBÄUDE beherbergt die Werkstätten des Bundesdenkmalamtes, in denen ständig beschäftigte akademische Restauratoren unter der Leitung Doktor Zykans versuchen, der Gegenwart und Zukunft zu erhalten, was der Vergangenheit angehört. Aber nicht für Museen gilt es zu bewahren, sondern für das Leben. Jedes restaurierte Altarbild wird wieder in seine Kirche zurückgeführt. Jede Statue soll nach ihrer Wiederherstellung an den ihr angestammten Platz zurückgestellt werden, um so der Umgebung, aus der sie gewachsen ist, das gewohnte Gesicht zu geben.

Im großen Saal für Marmorplastiken ist man augenblicklich beschäftigt, die Figuren der Sattelbachbrücke vor dem Stift Heiligenkreuz, welche in den letzten Kriegstagen einer Sprengladung zum Opfer fiel, wiederherzustellen. Die Plastiken werden in wenigen Wochen fertiggestellt sein, jedoch — wie könnte es anders sein —, es gibt noch keine Brücke dazu. Fragen tauchen auf. Ob überhaupt eine Brücke, wenn ja, was für eine? — In diesem Zusammenhang äußerte das Denkmalamt den Wunsch, man möge doch die alte Form der Bogenbrücke beibehalten, um so den harmonischen Zusammenklang von Stift, Brücke und Plastik neu erstehen zu lassen.

SEHEN WIR UNS WEITER UM. In schimmernd weißem Carraramarmor die schlanke Gestalt der Prinzessin Esterhäzy. Die Statue, deren Abtransport bevorsteht, befand sich am Rande des Schloßteiches in Eisenstadt, in dem die unglückliche Prinzessin den Tod gefunden hat.

Die Wände des Treppenhauses der Werkstätten des Bundesdenkmalamtes schmücken Teile der Fresken aus dem Kaiserzimmer — die berühmt gewordene „Hochzeit des Figaro“ — und von der Kaiserstiege der alten Staatsoper. Die Werkstätten verfügen auch über eine prähistorische Abteilung. In der mit Aetznatron gefüllten Entrostungsanlag liegen. - römische Schwerter, um in ungefähr-, -vierwöchigem Bad auch den letzten Rest jahrtausendealten Rostes zu verlieren. Tonkrüge, Vasen, Scherben von Urnen, Bronzefüße von Oelkandelabern wechseln mit kunstvoll geschmiedeten Fibeln, Spangen und goldenen Ohrgehängen ab. Ein Großteil dieser Funde stammt vom Magdalensberg in Kärnten, wo schon vor mehreren Jahren ein an Kostbarkeiten beinahe unerschöpfliches Gräberfeld entdeckt wurde.

In den Ateliers der Bildschnitzer wird den mit barbarisch bunten Farben beklecksten Holzplastiken ihre ursprünglich schlichte Schönheit wiedergegeben. Das Gnadenbild von Lunz am See liegt, allen Glanzes bar, auf der Werkbank und harrt hier einer verantwortungsvollen Behandlung. Durch und durch vom Holzwurm verseucht, durch die Farbenfreudigkeit späterer Stilepochen verunstaltet, durch Säbelhiebe aus der Türkenzeit entstellt, wartet hier für den Künstler eine große Aufgabe. Noch ist es nicht sicher, ob es den kundigen Händen gelingen wird, die „Mutter vom goldenen Sessel“ zu erhalten.

DIE „LEICHENHALLE“ DES BUNDESDENKMALAMTES ist ein riesengroßer Raum, in dem alle zu bearbeitenden Werke, ob Plastik oder Bild im Urzustand — „vom Verfall umwittert“ —, eingeliefert werden. Ein überdimensionaler Lift, in den Ausmaßen 7 X 3 X 2,50 Meter, befördert die „Leichen“ direkt von der Straße hinauf, wo sie geduldig zu warten haben, bis die Reihe an sie gekommen ist. Durch ein Gerät, das, in der Mitte des Raumes aufgestellt, in ununterbrochener Drehung Wasser feinst versprüht, wird die Luftfeuchtigkeit konstant gehalten. Auch in allen Ateliers sucht man, teils mit modernen Maschinen, teils ganz einfach mit Grünpflanzen, den Grad der Luftfeuchtigkeit möglichst hochzuhalten, was für Holz und Leinwand in gleicher Weise günstig ist.

Da wir schon bei der Leinwand sind, machen wir einen Blick in die „Gemäldegalerie“. Eine riesige Halle voller Kolossalgemälde aller Stilepochen. Gotische und barocke Bilder, Werke, die um die Jahrhundertwende entstanden sind, hängen oder lehnen an den Wänden oder sind auf Staffeleien gestellt. Hier wird abgedeckt Neue Motive werden unter den Uebermalungen zutage befördert und sichtbar gemacht. Kunstverständige. Hände suchen alle Schäden und Sünden selbstsicherer Zeiten zir;i beseitigen und den Werken neuen Glanz und alte Schönheit wiederzugeben.

MIT DER ARBEIT AN WERKEN DER BILDENDEN KUNST ist der Aufgabenbereich des Bundesdenkmalamtes jedoch noch lange nicht ausgeschöpft. Kirchen müssen restauriert, Fassaden und Innenräume alter Palais erhalten werden. Schlösser jedoch dämmern langsam ihrem gänzlichen Verfall entgegen, da dem Amt mit 3 bis 4 Millionen Schilling pro Jahr nicht genügend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, um zum Beispiel ein Laxenburg wiederaufzubauen, wofür allein rund 20 Millionen erforderlich wären. Wer aber wird diese Aufgabe übernehmen? Wer wird die abbröckelnden Mauern der wundervollen Schlösser des Alpenvorlandes und des Marchfeldes wiederaufrichten? Sollen diese uns gänzlich verloren sein? Wohl sind die Kriegsschäden fast zur Gänze behoben, wie aus dem Arbeitsbericht des Jahres 1957 hervorgeht, wer aber wird die unerbittliche Zeit, wer Wind und Regen aufhalten können, sich weiter in die Denkmäler vergangener Macht und Schönheit zu fressen?

Eingedenk der Weisung von Erhaltung und Forschung unterhält das Bundesdenkmalamt als Behörde des Bundesministeriums für Unterricht heute sowohl Werkstätten zur Restaurierung beschädigter Kunstwerke als auch ein Institut für Kunstforschung, das fortlaufend damit beschäftigt ist. eine „Oesterreichische Kunsttopographie“ auszuarbeiten.

VIELES,- DAS EINSTMALS ALS PRIVATINITIATIVE BEGANN, wird dem Staate überantwortet. So lebte der Wunsch, Kunstwerke vergangener Epochen für Gegenwart und Zukunft zu erhalten, zweifellos schon immer im

Herzen der Menschen. Die großen Stilepochen der Renaissance, der Gotik und des Barocks gingen allerdings mit allem Uebernommenen noch sehr großzügig um. Aus eigener Kraft schufen sie Neues, gaben Altes dem Verfall preis oder vernichteten es selbst. Erst die Romantik fühlte mit ihrem Hinwenden an die Geschichte, in sich die Verpflichtung, das Erbe, das sie angetreten hatte, auch gut zu verwalten. Victor Hugo sprach von den großen Traditionen großer Völker und schrieb seinen Roman „Notre-Dame“ zur Erhaltung der herrlichen Kathedrale von Paris.

Gab Victor Hugo in Frankreich den ersten Anstoß, eine gelenktere und verantwortungsvollere Denkmalpflege zu betreiben, so war es.

Adalbert Stifter in Oesterreich, der in seinem „Nachsommer“ zum ersten Male eine staatliche BWufsichtigüngr' der Denkmalpflege voraussah. Er selbst'übernahm-in seiner Funktion1 ah Konservator die Restaurierung des Kefermarkter Altares. Freilich war er noch in der Meinung seiner Zeit befangen, daß gotische Plastiken ungefaßt wären. Männer und Frauen mußten tagelang mit Bürsten die Figuren und das gotische Schnitzwerk abreiben, bis unter allen Uebermalungen das Holz zutage trat und damit auch die gotische Originalfassung für immer verloren war. An einer Stelle seines Romanes schreibt er unter anderem: „Hier werden Dinge, welche lange vor uns, ja oft mehrere Jahrhunderte vor unserer Zeit, verfertigt wurden und in Verfall geraten sind, wiederhergestellt, wenigstens soweit es die Zeit und die Umstände nur immer erlauben.“ Und weiter: „Darum haben wir hier eine Anstalt für Geräte des Altertums gegründet, die wir dem Untergang entreißen, zusammenstellen, reinigen, glätten und wieder in die Wohnlichkeit zurückzuführen suchen.“

DIESER GEDANKE WURDE WIRKLICHKEIT: 18 50 schuf man die „Zentralkommission“ zur Erhaltung und Erforschung der Bau- und Kunstdenkmäler, die privaten und öffentlichen Stellen in beratender Funktion zur Seite stand. Erst 1923 wurde mit dem Denkmalschutzgesetz das Bundesdenkmalamt als staatliche Behörde eingesetzt, das von dieser Zeit an die Pflicht hat, zu erhalten und Forschungen auf dem Gebiete der Kunst durchzuführen.

Schwierigkeiten, die in diesem Gesetz, das die Erhaltung des Einzeldenkmals vorsieht, noch nicht vorausgesehen werden konnten, ergeben sich heute laufend für die Verantwortlichen des Bundesdenkmalamtes. Technische, wirtschaftliche und verkehrstechnische, großangelegte Projekte, die aus den Erfordernissen unserer Zeit geboren sind, gestalten Kulturlandschaften völlig um. Ob es sich hier um Stauwerke oder Straßenbauten handelt, immer wieder stellt sich dem Bundesdenkmalamt die Frage: Wieweit dürfen wir dem zeitbedingten Wachstum entgegentreten und inwieweit' müssen wir die Verantwortung tragen für eventuell zu vernichtende Kunstwerke? — Obgleich ds Gesetz hier eine fühlbare Lücke hat. wird es nicht leicht sein, eine generelle Lösung zu finden, da jeder Einzelfall besondere und neue Probleme aufwirft.

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