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Kunst aus den Missionen

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Italien beherbergt derzeit zwei Kunstausstellungen von internationaler Bedeutung, die in ihrer Anlage, ihrer Art und Konzeption so gegensätzlich sind, daß sie im Beschauer völlig verschiedengeartete Gefühle erwecken. Während die „Biennale“ in Venedig zum fünfundzwanzigsten Male ihre Salons einem Publikum öffnet, das teils verwirrt, teils intellektuell verzückt vor den zerebralen Schöpfungen des Kubismus, Futurismus, Abstraktismus, Surrealismus steht, werden die Hallen des neuerbauten Propyläenpalastes auf dem Petersplatze in Rom, wo die katholischen Missionen Kunstschätze aus jedem Erdenwinkel zusammengetragen haben, von einem kosmopolitischen Strom der Pilger aller sozialen Schichten durchwandert. Und während sich die Kritik heuer zum erstenmal nicht mehr zu einem vorbehaltslosen Lob der Schau in Venedig bereit fand, vielleicht weil sie merkte, daß die „Ismen“ nicht mehr eine Angelegenheit der Salons, sondern der Akademien geworden sind oder weil die Zahl jener wächst, die nicht mehr gewillt sind, immer und überall des Kaisers neue Kleider zu sehen, beschämte die „Mostra dArte Missionaria“ in ihren reinen Formen und farbigen Visionen, in ihrer instinktverhafteten Kunst und in ihrem mystischen Glauben die gleiche zünftige Kritik, welche der Einladung des Sekretärs der Propaganda Fide, des Erzbischofs Costantini, nur mit Zögern gefolgt war.

Die Kunstausstellung der Missionen ist die große Überraschung des Heiligen Jahres geworden; in ihrer großartigen und großzügigen Anlage und Entwicklung — in 23 Abteilungen, nach ethnographischen Gesichtspunkten zusammengefaßt, erstreckt sie sich über 4500 Quadratmeter Fläche — stellt sie eine absolute Erstmaligkeit dar, die selbst bei den organisatiorischen Möglichkeiten der Kirche Erstaunen hervorrufen muß. Skulpturen, Malereien, Kultgeräte, Paramente mußten auf den Weg gebracht werden, bevor noch in Rom die Ausstellungsräumlichkeiten erbaut waren, die reichhaltigste Lese kam gerade aus den Ländern, wo das Vorahnen bewaffneter Konflikte bereits wie ein Alpdruck auf den Menschen lastete.

Aber nicht die imponierende Reichhaltigkeit bildete die Überraschung, sondern der ins Auge springende Eindruck, daß hier jeder künstlerische Maßstab, auch der strengste, angelegt werden darf, ohne daß die Erwartungen nicht noch reichlich übertroffen würden. Hier ist nichts von jener Krise und Dekadenz zu merken, wie sie die abendländische Kunst seit einem halben Jahrhundert kennzeichnet. Man erfährt, daß bei den Völkerschaften, die dem Geist der Kirche bisher ferngestanden waren, sich unter dem Einfluß der Missionen ein neuer künstlerischer Sinn entwickelt, der das Leben als Einheit von Geist und Materie auszuschöpfen bemüht ist; daß außerhalb Europas die Mitte, um mit Hans Sedlmayr zu sprechen, nicht verloren wurde, sondern gefunden. Die Hinwendung zum Christentum hat bewirkt, daß die heidnischen Kunstschöpfungen, die bislang von Furcht und Schrecken, von Schmerz oder ängstlichem Zweifel inspiriert waren, die Idee der Liebe nun als unwiderstehliche Neuheit empfinden.

Spürt man nur ein wenig dem Reiz nach, den die Schau unterschiedslos auf alle Besucher ausübt, wie gering auch ihre inneren Beziehungen zum Missionsleben sein mögen, so erkennt man ohne weiteres, daß es die mannigfaltige Formensprache ist, in der sich der gleiche Geist auszudrücken versteht. Es ist dies ein Beweis dafür, daß die Missionen durchaus „katholisch“, das heißt universal, sind und nirgends in der Welt eine fremde Importware darstellen, wie vielfach unterstellt wird. Wie im Kult, so bedienen sich die Missionen auch in der Kunst der Sprache, die sich an Ort und Stelle vorfinden. Nichts von Gleichmacherei, Unterdrückung oder gar von kultureller Prüderie ist hier zu merken, ja, es konnte beobachtet werden, daß eine gewisse Unduldsamkeit eher bei unvorbereiteten Besuchern spürbar wird. Aber selbst einer fetischähnlichen Madonna aus dem Belgisch-Kongo liest man vom Gesichte den verwandten Geist und die innere Umwandlung ab, welche die Heilslehre hervorgebracht hat. Ein Vergleich der Primitiven dieser Schau mit den „Primitiven“ in Venedig drängt sich unwillkürlich auf und sofort enthüllt sich die verlegene Imitation äußerer Formen bei diesen als üble Maskerade. Der Engel aus Dahomey, der eine zu dreifachem Ringe gewundene Schlange (Ewigkeit und Weisheit) als Sinnbild der Dreifaltigkeit emporhebt oder das „Schiff der Kirche“, eine Bronzegruppe aus Zentralafrika, das, mit Gläubigen, Bischöfen und Papst in verschiedener Größenordnung, ruhig über die aufgeregten Wasser hinweggleitet, sind von einer so ausdruckstarken Symbolik, wie sie nur das unmittelbarste Empfinden fassen kann. Ein charakteristisches Beispiel für die Heranziehung uralter handwerklicher Traditionen für christliche Kultgeräte ist etwa das Reliquiar, das ein eingeborener Tischler der Tongainseln (Ozeanien) über Auftrag des Apostolischen Vikars, Msg. Blanc, anfertigte: der primitive Künstler wählte die Palme, den charakteristischen Baum seiner Insel, als Motiv. Die Reliquie ruht in der Mitte des Strahlenkranzes der Blattkrone, von einem Deckel aus Schild-krothorn geschützt. Da die Palmen am Meere stehen, schmiegen sich an ihren Fuß eine Schildkröte und zwei Seepferdchen. In diesem Zusammenhang mag auf das große Verdienst hingewiesen werden, das sich die 1934 in Paris gegründete Gesellschaft „Art et Louange“ um die sakrale Kunst bei Missionsvölkern erworben hat.

Die Völker mit hochstehender alter Kultur, Inder, Chinesen, Japaner, sind, wie Erzbisdiof Costantini feststellte, „naturaliter christiani“, das heißt durch ihren spirituellen Charakter in wunderbarer Weise auf die Interpretierung christlicher Motive vorbereitet. Die ausgestellten Werke eines Lukas Cheng (Kruzifix), eines Lo-Hung-Nien zeigen, daß den Chinesen die Form als solche nichtssagend ist, wenn sie nicht Ausdruck des Gedankens des Künstlers ist. Da die chinesische Malerei mehr Zustände als Episodisches darstellt, fand sie bei den biblischen Motiven gewisse Schwierigkeiten, aber die Herbergsuche Mariens und Josefs von Lo-Hung-Nien zeigt die delikate Art, mit der sich der chinesische Künstler anzupassen vermochte. Neben der Süße chinesischer, japanischer, koreanischer Madonnenbilder erscheint ein großer Teil der europäischen modernen Produktion als süßlich.

Immer neue Impressionen empfängt der nie ermüdende Beschauer: die spiri-tualistische und zugleich überströmend-üppige Kunst Indiens, die humanitäre Japans, das Zusammenfließen beider Strömungen auf den Philippinen, in Vietnam, die Ursprünglichkeit der Negerkunst, der dekorative Sinn Ozeaniens, die souveräne handwerkliche Beherrschung Zentralamerikas. Die „Mostra dArte Missionaria“ ist eine große und absolute Neuheit, welche die liebevolle und intelligente Respektierung des künstlerischen Genius aller Völker beweist, die Einheit der Kirche dokumentiert, den Erfolg und Endzweck der Missionierung ins rechte Licht rückt und schließlich auch das traditionelle Mäzenatentum der Kirche bezeugt.

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