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Kunst des eisernen Fadens

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Aus der Slowakei, die immer arm war, schwärmten schon um 1700 die Gastarbeiter nach allen Seiten, verdingten sich auch bei den schlesischen Hüttenwerken als Holzfäller und Köhler. Dabei entdeckten sie den Eisendraht, der sich zum Flicken der gesprungenen, fast noch mittelalterlichen Holzgefäße der Armen gut eignete.

Mit dieser Kunst, die bald überall begehrt war, zogen sie im Land umher, dichteten auch noch die Sprünge in Schüsseln und Tellern, die hier zu schade zum Wegwerfen waren, und reparierten die Drahtzäune. Nie wurde das Metall gelötet, eher genetzt und geflochten wie Weidenruten.

Schon zu Hause hatten sie aus Nöten Tugenden machen und unerschwingliche Gegenstände in Billigmaterial kopieren oder überhaupt erst erfinden müssen; das kam ihnen nun zugute.

Als Bastelbinder (vom lateinischen „rastrum” = Netz) wurde die Unterschicht einer Begion schöpferisch und hauchte so dem Eisendraht menschlichen Geist ein. In ihren Händen formte er sich zu Schlupfen und Spiralen, zu allem nur denkbar Nützlichem und sogar Luxuriösem in Haus und Garten, Küche und Keller. Als Wanderhändler trugen sie ihre Drahtrollen um den Hals, auch ihren Vorrat an den gängigsten Mausefallen.

Mit malerischem breitkrempigem Hut boten sie aber ebenso die überraschendsten Objekte an, praktisch, haltbar, leicht, weil durchbrochen, und kostengünstig. Dabei überschritten sie alle Ländergrenzen ebensowie die der Phantasie, bis zur lebensgroßen Selbstdarstellüng in Drahtgeflecht!

Es ist kein Zufall, daß französische Sammler ihr oft sehr ästhetisches Kunstgewerbe, das nirgends dokumentiert ist und doch verdächtig an Kunst heranreicht, endlich im 20. Jahrhundert eifrig zu erwerben begannen.

Schon im Empire scheinen französische Salon- und Gartenausstattungen, nicht nur die Küchenutensilien, von diesem Stil geprägt, der sich noch in den Etageren, Kleiderablagen oder Nippsachen unserer Moderne spiegelt.

Eine Manufaktur in Brüssel spezialisierte sich ausschließlich auf komplizierteste Lusterserien, Vogelbauer hatten die Gestalt von Lustschlössern, und zierlichere Puppenwagen kann man sich kaum vorstellen.

Drahtumsponnene Keramiken zum Anbieten von Bonbons, Gebäck oder Früchten, Warenständer und

Fischreusen werden nun aus diesen französischen Sammlungen im Wiener Volkskundemuseum bis 17. September dekorativ in einer großen Ausstellung gezeigt, ergänzt von eigenen und slowakischen Beständen.

Aber auch die Küchengeräte in ihren ornamentalen Anordnungen verblüffen nicht nur mit Schönheit, sondern weil in ihnen alle unsere gewohnten heutigen Alltagsgegenstände bereits präformiert sind, vom Kleiderhaken der Putzereien über Seifen-tassen, Kerzen- und Wandleuchter, Teppichklopfer oder Bügeleisen-Untersätze bis zum Geschirrabtropfkorb,

ja die Filigran-Technik führt sogar bis zu Schmuckstücken, die dann aus Edelmetallen sind!

Es gab Niederlassungen und Produktionsstätten in allen Teilen der Monarchie und allen größeren Städten, aber auch in Tunesien; in Rußland allein 400, und die erfolgreichsten lagen in den USA. Dort wurden die individuell handgefertigten Stücke zuletzt industriell hergestellt und mit Plastik überzogen, oder neue Materialien verwendet. Die slowakischen Kunsthandwerker verschwanden - oft mutierten sie zu reichen Großunternehmern.

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