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Kunst, in Stahl geschnitten

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Wir kennen Kunst in Stein gehauer aus Holz geschnitzt, in Bronze gegos sen, mit Farbe und Pinsel auf die Lein wand geworfen, in leuchtende Fenste gebannt, aus edlen Metallen getriebei und mit Edelsteinen geziert. Unge wohnlich erscheint es uns, daß kirch liehe KurisKin harten Stahl geschnitten sein kann. Und doch ist es so, wenn auch nur einige ungewöhnliche Werke Zeugnis davon geben.

Der Eisenschnitt reicht bis in die ältesten Ansätze der Kultur zurück. In der Antike bewegt er sich aber ausschließlich im Oberflächendekor. Als Vorstufen des Eisenschnittes gelten die Techniken des Treibens, Tauschierens, Ätzens, Gravierens. Das Ritterwesen brachte die dekorative Bearbeitung der Waffen und Rüstungen zur Blüte. Neben dem Gravieren gewann immer mehr der Eisenschnitt an Bedeutung. Es handelt sich dabei um die Bearbeitung des Eisens mit gehärteten Werkzeugen, wie Meißel, Grabstichel, Bohrer, Feile, Punze und Treibhammer. Die schwierige und harte Bearbeitung des Eisens begrenzt in der Regel die Größe des Werkstückes. Nicht nur die Waffenschmiede, sondern auch die Schlosser verwendeten den Eisen-schnitt. Dieser wird im kalten Zustand ausgeführt. Auch der Münzstempelschnitt ist Eisenschnitt, genauer Stahlschnitt, nur im verkehrten negativen Relief. In der tirolischen Prägestätte in Hall stand bereits um 1480 der Münzbildschnitt als vollendet beherrschte Technik in Verwendung.

Die erste Blüte des Eisenschnittes fällt in die Zeit der Renaissance. Der Eisenschnitt wurde von Dürer und seinen Zeitgenossen Hirschvogel, Burg-maier, Alde?rever, Mielisch und Beham mit Entwürfen stark beeinflußt. Kaiser Maximilian, Karl V., Ferdinand I., die Medici, die Herzöge von Urbino und Este nahmen den Kunstzweig unter 'ihren besonderen Schutt;- Der Eisen-Schnitt ging allmählich- iris Volle,isensehnitte aus dem secli-zehnten Jahrhundert finden wir in der Wiener Waffensammlung (Neue Hofburg) und in der Messersammlung des Steyrer Museums.

Im 17. und 18. Jahrhundert entstand eine Reihe von Meisterwerken in Eisenschnitt. Zu erwähnen sind die beiden Brüder Emanuel und Daniel Sade-ler, Kaspar Spät und Gottfried Christian Leygebe. Leygebes bedeutendste Eisenschnittplastik stellt Friedrich Wil-heim, den großen Kurfürsten, als heiligen Georg, den Drachen bekämpfend, dar. (Bild 1.) Diese Kleinplastik, die sich heute in der Skulpturensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin-Dahlem befindet, wurde aus einem Stück

Eisen im kalten Zustand im Laufe von drei Jahren herausgearbeitet. — Im Wiener Heeresgeschichtlichen Museum ist ein aus dem 17. Jahrhundert stammender, dem Prinzen Eugen von Sa-voyen zugeschriebener Stab aufbewahrt.

Mit dem achtzehnten Jahrhundert verfielen die Tradition und die Ausübung des Eisenschnittes. Im 19. Jahrhundert arbeitete in Wien nur noch Anton Barsche im Eisenschnitt. Ein Schüler von ihm war Gustav Ritzinger. Im Jahre 1878 kam Ritzinger als Lehrer an die neueröffnete Fachschule für Eisenindustrie in Steyr. Dort führte er Michael Blümelhuber in die edle Kunst des Stahlschnittes ein. Vielfach ist es das Los der Lehrer berühmter Männer, über ihren Schülern vergessen zu werden. Unter den Händen Blümelhubers entwand sich der harte, seelenlose Stahl der Fesseln materieller Zweckbestimmung. „Eisen u*nd Stahl — sonst das Sinnbild harter Gewalt — wird in der Hand des Künstlers zum herrlichen Symbol der Macht des Geistes über den Stoff. - Mein Volk, so tönt das Wort des Meisters aus seinem Werke, erhebe dich aus den Niederungen des

Hastens nach materiellen Gütern zur lichten Höhe eines Lebens des Geistes und der Liebe.“ Diese Worte gab der Fräsident der Akademie der Wissenschaften, Universitätsprofessor Oswald Redlich, dem Band „Michel Blümelhuber“ von Prof. R. Sterlike als Geleit mit in die Welt. Es hieße Eulen nach Athen tragen, die Werke Blümelhubers liier aufzuzählen. (Sie sind in dem Buch „Eisen- und Stahlschnitt“, vom Autor dieses Artikels, Oberösterreichischer Landesverlag, Linz, abgebildet.)

Der erste Schüler Blümelhubers war Prof. Hans Gerstmayr. Seine Schöpfung ist die Herstellung von Originalschmuck aus Stahl. Im Auftrage Blümelhubers schnitt Gerstmayr mit Anders ein Armband als Hochzeitsgeschenk für Kaiserin Zita. Unzählige Originalschmuckstücke sind schon in die ganze Welt gegangen. Sie stehen im Gegensatz zu den Serienarbeiten der Industrie. So könnte ein typisch österreichisches Kunsthandwerk ins Volk wirken. — Das Kremsmünster Pektorale, ein Werk aus dem Jahre 1952, entstand auf Bestellung des Konvents anläßlich des 50jährigen Priesterjubiläums des Abtes von Kremsmünster, Ignatius Schachermair. Doktor P. Pankraz Stollenmayer schrieb über das Werk:

„In einer Zeitperiode, die in sehr umstrittenen KunstanscUauungen schwimmt, war es sicher ein Wagnis, einem religiösen Kunstwerk, das dem Zeitgeist entsprach, so recht die richtige Form zu geben. Dem Zeitgeist entsprach sicher die Wahl des Stoffes - Stahl. So wurde eine in ihren Hauptachsen 14:8 cm groß“ und 4 mm starke Platte Böhler-Stahl das Material, aus dem das Pektorale entstand. Der Wert des Stoffes beträgt kaum 100 Schilling. Der Ge-.Ualt.li&gt .ausschließlich in der Idee und der,.-künstlerischen Durchfük In, etwa *0ü Werksmifai hat der Siebzigjährige das Kreuz aus dem harten Stahl geschnitten. Der Anhänger des Pektorales weist in seinem Kelchmotiv auf die innige Verbindung mit dem Stift Kremsmünster hin. Die Symbole der Evangelien haben ihr Vorbild im zweiten bedeutenden religiösen Wertstück des Stiftes, dem Codex Millenarius Major, dessen Entstehung um 800 anzusetzen ist. Das .Kremsmünsterer Pektorale', ein Werk des 20. Jahrhunderts, hält den Vergleich mit jedem religiösen Kunstwerk früherer Perioden aus.“

In Mauthausen arbeitet der rastlose Künstler auch heute noch unermüdlich, geht seinen Weg, den die innere Stimme ihm weist.

Einige Schüler von Prof. Gerstmayr haben bereits einen guten Namen. An erster Stelle ist hier der gegenwärtige Leiter der Graveurabteilung des Wiener Hauptmünzamtes akad. Medailleur H. Köttensdorfer zu nennen. Der akad. Melallplastiker Hans Angerbauer (Steyr) hat sich bereits auf dem Gebiet der kirchlichen Kunst einen international anerkannten Namen gemacht. Vielfach wurde der Ennser Stahl-scliniftkunstler Fritz'Mayr ausgezeichnet. Seine Hauptwerke sind der Lor-eher Schlüssel und das Lehrerkreuz für Weyregg. Das Wiedererwachen des Lebens in der für die Kulturgeschichte Österreichs so bedeutungsvollen Lau-renliiuskirche bei Enras hat den Künstler angeregt, einen Stahlschnitt zu schaffen, der von der Größe dieser Stätte und ihres Patrons künden soll. 700 Arbeitsstunden waren notwendig. Über die sinnbildliche Gestaltung des Kreuzes der christlichen Lehrerschaft schrieb Dr. Eberhard Marckhgott:

„Die Welt ist durch den Haß der Menschen zerrissen und trägt die tiefen Wundmale ihrer Selbstvernichtung. Um den todgeweihten Erdball spannt nun das Leben seinen Ring: Kinder reichen einander die Hände und bringen der Welt die . verlorengegangene Hoffnung. Diese gnadenvolle Erneuerung ist die unsterbliche Frucht des Kreuzesban-mes, der in diese Welt gesetzt wurde. Im Zeichen des Kreuzes erscheint Christus als König des Universums. Sein hoheitsvolles Haupt trägt die Krone des Lebens. In den Gürtel sind die Buchstaben des biblischen Gottesnamens geschrieben: ,lch bin der Seiende, der Ewige.' Licht strahlt aus seinem Herzen und durchdringt den Kosmos, dessen Anfang und Ende, Alpha und Omega, Sinn und Volkndung ER IST.

Seit 1955 ist der akad. Metallpla-stiker Helmut Gsöllpoitner Leiter des neugeschaffenen Fachlehrganges für Stahlschnitt in den Vereinigten Österreichischen Eisen- und Stahlwerken in Linz. Diese Tatsache gewinnt sicher im Kunstschaffen und in der Volksbildung der Gegenwart eine nicht geringe Bedeutung. Auch Gsöllpoitner bekam seine erste Ausbildung noch bei Gerstmayr. Es ist eine glückliche, österreichische Erscheinung, daß die Generaldirektion der VÖESt. ein Verständnis für die Förderung des kulturellen Lebens hat. Ohne entschiedene Förderung in geistiger und materieller Hinsicht kommt jedes Kunstschaffen mit der Zeit zum Erliegen. In der Vergangenheit waren die weltlichen und geistlichen Fürsten sowie die Klöster diese Förderer. Heute können einzelne Persönlichkeiten diese Aufgabe allein nicht mehr erfüllen. Große Industriebetriebe und der Staat wurden die Kunstförderer. Der Fachlehrgang für künstlerischen Stahlschrott hat zwei Aufgaben zu erfüllen: In der Gesinnungsbildung geht es in erster Linie um die Überwindung der Mechanisierung des Menschen. Der junge Mensch soll wieder zum personalen Schaffen erzogen werden. So kann die 1 Kunst, in einem Großbetrieb ein Ansatzpunkt zu einer positiven Menschenführung werden.

Vor dem Eintritt in den Lehrgang beherrschen die Lehrlinge das Material und können in ihrem Fach Arbeiten auf hundertstel Millimeter Genauigkeit ausführen. Sie sind aber unfähig, zu schauen, zu sehen, ob eine Form in den Maßverhältnissen gut ( oder nicht gut, proportioniert oder unproportioniert ist. Das „Sehenlernen“ ist ein hoher Wert dieser Abteilung. Eine dichtgedrängte Kunstgeschichte hilft dabei sehr mit. — In dieser neuen Kunstschule fehlt es nie an Aufträgen. Laufend werden Geschenke für Besuche aus aller Welt benötigt. — So befindet sich in dem Riesenwerk der VÖESt. eine kleine Kulturzelle, die sicher noch an Bedeutung gewinnen wird.

In den Jahren 1957/58 schuf Richard Müller einen Schlüssel von 26 cm Höhe für die Kölner Minoritenkirche. Dieser „Kolpingschlüssel in Stahlschnitt“ wurde bei der Brüsseler Weltausstellung / mit einer Goldmedaille ausgezeichnet.

Die Fachschule für Stahlschniitt in Steyr steht gegenwärtig unter der bewährten Leitung des bekannten Künstlers Oberstudienrat Prof. Karl Krepcik. Er ist Schüler von Gerstmayr und Sterrer. Seit dem Tode Blümelhubers führt diese Abteilung die Tradition des Meisterateliers weiter. Sie ist wieder in der ehemaligen Landeskunstschule untergebracht. Über seine Lehrtätigkeit sagt Krepcik: „Die Wiedererweckung des Formgefühls wird immer mehr eine Notwendigkeit unserer Zeit. So ist es durchaus kein Widerspruch, wenn der Schüler vormittags an seinem Schraubenschlüsselgesenk arbeitet und sich an der einfachen, eleganten Zweckform erfreut, nachmittags aber nach 'der Natur ein Bildnis in Stahl schneidet, sofern seine Begabung dies ermöglicht.“ Der Positiv- und Negativschnitt und die Flachgravur bitlden das Kernstück der Ausbildung. Der Laie macht sich kaum eine Vorstellung, woran überall die Arbeit des Graveurs und Stahlschnei-dprs beteiligt ist. So gewinnt die Stahlschnittkunst im Raum von Steyr für Österreich eine Bedeutung, die sicher in einer Zeit, in der die Technik der Stahlbearbeitung ihre Triumphe, zu feiern scheint, noch wachsen wird. Jeder der genannten Künstler hat den Stahl in eigener Art gehandhabt und geformt. Jeder hat gleichsam dem Stahl sein eigenes Bild aufgeprägt. Je schärfer dieses Bild ist, desto höher schätzen wir die künstlerische Persönlichkeit. Mit der Förderung der Stahl-sohnittkunst helfen wir sicher mit, daß auch in der Zukunft die menschliche Person der Materie übergeordnet wird.Kremsmünsterer Pektorale von Prof. Hans Gerstmayr

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