Museum Gugging - © NÖ Museum Betriebs GmbH, Ludwig Schedl

Kunst kommt nicht von der Krankheit

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Gugging: Das erste Art-Brut-Museum der Welt.

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Gugging: Das erste Art-Brut-Museum der Welt.

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Der rundliche Mann, der mit seiner Mutter in einem Schrebergartenhäuschen wie auf einer Mülldeponie lebte, war in Klosterneuburg alles andere als beliebt. verschickte rätselhafte Briefe an die Honoratioren seiner Heimatgemeinde, er bemalte Straßen, Bäume und Häuser mit bunten Schriftzeichen, Ornamenten und Figuren. 1983 musste August Walla in die Nervenklinik Maria Gugging übersiedeln, wo er auf verwandte Seelen stieß: Dort nämlich gab es das "Haus der Künstler", eine betreute Lebensgemeinschaft für chronisch psychiatrisch kranke und geistig behinderte Menschen, die ein künstlerisch außergewöhnlich hohes Talent besitzen. Unter dem Namen "Künstler von Gugging" sind sie weltbekannt, ihre Werke werden in vielen Museen zeitgenössischer Kunst wie etwa dem Philadelphia Art Museum, dem Los Angeles County Museum of Art oder dem Setagaya Museum in Tokyo gesammelt und ausgestellt.

Kunst von Außenseitern

Die "Künstler von Gugging" haben nun, 150 Meter von ihrem Wohnort entfernt, ein eigenes Museum bekommen. Ein Gebäude des psychiatrischen Krankenhauses, auf dessen Gelände sich die geplante "University of Excellence" ansiedeln soll, wurde Ende Juni einer neuen Bestimmung zugeführt. In dem unter großer medialer Aufmerksamkeit neu eröffneten Museum Gugging soll auf 1300 Quadratmeter Ausstellungsfläche schwerpunktmäßig Art Brut gezeigt werden, wie diese Kunstrichtung genannt wird. Die Eröffnungsausstellung "Blug - vier Jahrzehnte Kunst aus Gugging" präsentiert nicht weniger als 650 Zeichnungen, Malereien, Objekte und Radierungen und geht anschließend auf Welttournee. Darunter befinden sich neben Gemälden von Walla auch Werke der anderen großen österreichischen Art Brut-Stars Johann Hauser und Oswald Tschirtner.

Mit dem Terminus Art Brut bezeichnete Jean Dubuffet ursprüngliche, rohe, von künstlerischen Vorbildern und kulturhistorischen Phänomenen freie Kunst, die eine autarke und unangepasste Formensprache spricht - Kunst, die nicht von Kunst beeinflusst ist. Die Schöpfer von Art Brut sind gesellschaftliche Außenseiter, oft Menschen mit schweren psychiatrischen Problemen, weshalb diese Kunstrichtung im angloamerikanischen Raum auch als Outsider Art bezeichnet wird.

Als der Psychiater Leo Navratil Ende der 1950er Jahre in der Niederösterreichischen Landesnervenklinik Maria Gugging zu Testzwecken Zeichnungen von seinen Patienten anfertigen ließ, entdeckte er dabei die erstaunliche künstlerische Begabung einiger von ihnen. Navratil forcierte und förderte die künstlerische Arbeit an seiner Abteilung, 1981 gründete er das "Zentrum für Kunst-und Psychotherapie", einen separaten Pavillon für seine künstlerisch tätigen Patienten Als er 1986 in Pension ging, folgte ihm Johann Feilacher nach. Er benannte das Gebäude in "Haus der Künstler" um und leitete mit dieser Geste einen ideellen Wandel ein: Die Bewohner des Hauses wurden jetzt in erster Linie als Künstler und nicht mehr als psychiatrische Patienten betrachtet; und ihre künstlerische Tätigkeit nicht mehr als eine Form der Therapie.

Schon Jean Dubuffet erklärte kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in einem Manifest, dass es eine Kunst der Geisteskranken ebenso wenig gebe wie eine Kunst der Magenkranken oder der Kniekranken. Auch die Kunst der Gugginger Künstler wird vom Psychiater und frischgebackenen Museumsdirektor Feilacher als unabhängig von deren psychiatrischen Erkrankungen gesehen. Sie sind demnach nicht Ausdruck von Geisteskrankheit. Zeichnungen zum Beispiel, die in psychotischen Zuständen entstehen, wirken zwar auf Laien ausgefallen und interessant, weisen aber viele gemeinsame Merkmale auf, so dass das vermeintlich Besondere zur Normalität wird. Kunstwerke hingegen sind immer etwas Einzigartiges, Neues, noch nie Gesehenes. Die Krankheit beeinflusst höchstens den Inhalt, nicht die Form.

Komplexer Kosmos

Das wird deutlich bei den farbenprächtigen Gemälden Wallas, der eine eigene Mythologie mit bekannten und selbst erfundenen Göttern und Wesen schuf. Schrift spielt eine große Rolle in Wallas komplexem Kosmos. Der Künstler war besessen von Abkürzungen wie kpö. övp, ddsg und von politischen und religiösen Symbolen wie Kreuz, Hakenkreuz sowie Hammer und Sichel. Bekannt sind auch die langgezogenen, minimalistischen Figuren Tschirtners und die expressiven, auf totemhafte Weise die Geschlechtsorgane betonenden Frauenbildnisse Hausers. Zu entdecken sind auch jüngere - will heißen: erst seit kurzem in Gugging wohnhafte - Künstler wie der 1953 geborene Karl Vondal, dessen oft erotische Zeichnungen von langen Texten umwoben sind. Früher stellte er Objekte aus Streichhölzern her, heute arbeitet Vondal auf großformatigen Papierbögen, die er zusammengerollt überall hin mitnimmt.

Nicht zu vergessen Franz Kernbeis, dessen archaische, flächige Zeichnungen von Gegenständen und Bauwerken durch ihre Reduktion aufs Wesentliche bestechen. Eines seiner Werke hat der Eröffnungsausstellung ihren Namen gegeben.

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