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Kunst und Wirtschaft

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| Linz, Anfang Mai

Wer in diesen Tagen über den Linzer Hauptplatz In Richtung zur Donau* geht, den begrüßt schon von weitem eine Reihe bunter Plakate: „Komm zu den italienischen Seen“ oder ganz einfach „Olivetti“ rufen sie dem Ankommenden zu. Es sind Plakate, wie man sie sonst im Stadtbild, das durch die aufdringlich-schreierischen Wahlanschläge verunziert wird, nicht findet. Aber diese Plakate werben nicht für irgendein Reiseland oder irgendwelche Produkte, sondern für sich selbst: für das schöne Plakat. Sie gehören zur Internationalen Plakataus-Stellung, die an Lichtmasten auf dem Hauptplatz angebracht ist und den Auftakt bildet zu den vielen Ausstellungen, die aus Anlaß der „Vierten Linzer Kulturtagung“ veranstaltet wurden und über die Tagung hinaus geöffnet bleiben.

Haben wir die Plakatausstcllung durchschritten, kommen wir zur Neuen Galerie, in der mehrere hochinteressante Ausstellungen untergebracht sind. Da sehen wir einmal die Schau „Die gute 1 n d u s t r i e f o r m“, die uns Beispiele industrieller Formgebung, die die Neue Sammlung, M ü n-c h e n, zur Verfügung stellte, vorführt. (Der Ausdruck „industrielle Formgebung“ ist nicht ganz glücklich; es wäre-vielleicht richtiger „maschinelle Formgebung“ zu sagen. Direktor Hans Eckstein, Leiter der Münchner Sammlung und Designer von internationalem Rang, sagte: „In der Aufgabe, Produktions- oder Konsumgüter maschingerecht zu formen, besteht zwischen dem kleinen oder mittleren Betrieb (Handwerk) und Großbetrieb (Industrie) kein Unterschied.“ — Aufschlußreich ist die Neben-einanderstellung von Telephonapparaten der Firma Siemens & Halske AG, die eine konsequente und kontinuierliche Entwicklung von 1905 bis 1955, vom klobigen schwarzen Kasten zum handlichen Gerät, demonstriert. Auch die Entwicklung der Türschnallen ging denselben Weg: vom starren geometrischen Körper zum funktionsgerechten Gegenstand. , *

Ergänzt wird die Ausstellung „Die gute I n d u-trief orni“ in der Aufgangshalle der Neuen Galerie durch Kranhaken, Schiffsschrauben, Kegelräder, Deckel für Sägegatter, das Gerippemodell eines Verteilerrohrs (das von Fernand Leger sein könnte) — sie alle geben den Beweis dafür, daß eine Industrie-form schön sein kann. Man ist überrascht, w i e schön; ist man doch gewöhnt, alles, was aus den großen Werkshallen kommt, nicht mit ästhetischen 'Maßstäben zu prüfen.

Oben schließt sich dann die Ausstellung „Z e i t-I ose Form in der Gegenwart“ an. Sie stellt-eine römische Brörttetasse und einen römischen Tonbecher einem Milchkännchen aus Ton gegenüber, wie es heute in einer staatlichen Kunstgewerbe-tchule in Deutschland gefertigt wird. Neben einer römischen Schale aus Terra sigillata stehen eine Kunststoffschale (Melamin), eine Tonschale aus China und eine Tonschale aus dem 19. Jahrhundert (oberbayrische Bauernkeramik). Ein römischer Lavez-becher, ein neolithischer Becher und Kristallglastrinkbecher von heute sind nebeneinander zu sehen und locken zu Vergleichen: Je älter und schlichter, desto überzeugender scheinen uns die Formen zu sein. Ein vortrefflicher Gedanke, diese Gegenüberstellung. Möge er viele Fabrikanten zur zeitlos schönen Form bekehren. Was den Römern recht war, sollte der Industrie billig sein.

Dann folgt eine Ueberschau über das Gesamtwerk von Käthe K o 11 w i t z, das in dieser Fülle zum ersten Male in Oesterreich gezeigt wird. Da blicken Menschen mit zusammengekniffenen, beinahe verwaschenen Augen enttäuscht, skeptisch, verbittert in die Welt. Menschen, geformt von den trostlosen Arbeitsbedingungen vor der Jahrhundertwende, von Armut, Hunger und den beiden Kriegen. Wenn sie die Augen aufreißen, ist es vor Angst, vor Entsetzen oder aus flehender Bitte — der Bitte um Brot, der furchtbarsten Bitte, die Kinder an ihre Mütter richten können, wenn sie nicht zu erfüllen ist... So sah Käthe Kollwitz die Prozession leidender Frauen und hungernder Kinder durch die Ordination ihres Mannes ziehen, der Armenarzt war in einem Berliner Vorort. So sehen wir sie heute, elf Jahre nach dem Tode der Künstlerin, an uns vorüberziehen. *

Zeigte uns die Ausstellung „Die gute Industrieform“ Dinge, die in die Schaufenster gehörten, aber dort nicht zu finden sind, so zeigte die Schau „Werkform am Bau“ (in der Handelskammer) Werkformen, die nur selten an Gebäuden zu finden sind, dort aber auch keineswegs hingehören. Hier waren „geschmackige“ Exzesse zu sehen, Beispiele, wie man es nicht machen soll. — Einen geteilten Eindruck hinterließen die in der Neuen Galerie gezeigten „Tapeten in USA“. Neben einigen reizenden Entwürfen von Saul Steinberg („Paris“) waren abscheuliche Tapeten zu sehen, die allen Ernstes schmiedeeiserne Gitter oder Stukkatur nachzuahmen versuchten. Man wandte sich mit Grausen.

Das Thema der „Vierten Linzer Kulturtagung“ lautete: „Kunst und Wirtschaft.“ Das Zueinander und Ineinander von „Bildender Kunst und Wirtschaft“ erörterte Prof. Max Burchartz von der Folkwang-Werkkunstschule in Essen. Ein anderer prominenter Gast dieses Instituts, Werner Glasen-a p p, sprach, über „Technische und bildnerische Form“ und Stadtplaner Architekt Walther Schmidt aus Augsburg hielt seine Ausführungen unter dem Titel „Architektur und Lebensformung“, während das Kongreßthema selbst noch einmal Gegenstand einer ausführlichen Disputation war, an der alle ausländischen Gäste und einige österreichische Fachleute teilnahmen. Diese Disputation zeigte eine große Einhelligkeit der Meinungen; auch das Publikum spendete viel Beifall. Nur diskutiert wurde nicht.

Trotzdem halten wir die K u 11 u r t a g u n g für sehr gelungen; denn sie hat ein Thema aufgegriffen, dem heute große Bedeutung zukommt. Es ist wichtig, daß das Thema einmal die Gemüter zu beschäftigen beginnt. Auch wenn der einzelne heute noch nicht viel dazu zu sagen hat.

Das, was von der Kulturtagung bleiben wird, ist das Atelierhaus des Kulturringes der Wirtschaft Oberösterreichs, dessen feierliche Grundsteinlegung Landeshauptmann Doktor G 1 e i ß n e r, Bürgermeister Dr. Koref und Nationalrat Kapsieiter vornahmen. Das Atclier-haus wird durch Sach-, Arbeits- und Geldspenden der oberösterreichischen Wirtschaft entstehen und für zehn Künstler, fünf Maler und fünf Bildhauer, Atelierräume enthalten. Der Magistrat der Stadt Linz stellte ein geeignetes Grundstück in besonders schöner Lage, am Hange des Freinberges, gegen einen geringen Anerkennungspachtzins zur Verfügung. Ein Architekt entwarf kostenlos die Pläne, Elektro-, Bau- und Baustoffirmen sagten ihre Mitwirkung zu, die Landesregierung und verschiedene Banken helfen finanziell, einige Künstler sind als Hilfsarbeiter am Bau beschäftigt. So bauen sielt Kunst und Wirtschaft gemeinsam ihr Haus.

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