6561867-1948_52_13.jpg
Digital In Arbeit

Kunst, Volk und Museen

Werbung
Werbung
Werbung

Die Entwicklung unserer modernen bildenden Kunst ist durch die sieben schweren Nazijahre zwar nicht vollständig unterbrochen, aber unter die Oberfläche gedrückt worden. Als aber die Nazizeit vorüber war, hat sie sich sofort wieder erhoben und auch im Volk mehr Geltung gefunden als vorher, dies kommt wohl daher, daß nach dem Materialismus der Kriegszeit die innerliche Einkehr der Menschheit wieder vertrauter wurde. Diese Verbindung von Kunst und Volk, die da begonnen hat, ist für die Weiterentwicklung unserer Kunst äußerst wichtig, denn die notwendige ökonomische Förderung der Künstler kann nicht mehr wie in früheren Zeiten hauptsächlich durch die kaiserliche Familie, den Adel, das reiche Bürgertum erfolgen. Die soziale Entwicklung hat sich wesentlich geändert. Der Staat und auch die Stadt Wien fördern zwar sehr das Leben der Künstler, aber auch das würde für die. Zukunft nicht allein genügen, die Sorge für die Kunst muß sich sauf alle kleinen Städte und Dörfer, auf alle Gewerkschaften, Vereine usw. ausdehnen. Dies kann aber nur dann geschehen, wenn Volk und Kunst wirklich nahe verbunden sind, es überall Menschen gibt, die Gefühl und Freude vor den Kunstwerken empfinden. Dies wäre aber nicht allein eine Förderung der Kunst und des Künstlers, noch wichtiger ist, daß dadurch das menschliche Niveau des ganzen Volkes gehoben würde. John Ruskin (1819 bis 1900), der in England und der Welt wohl der früheste bedeutende Verfechter künstlerischer Volksbildung war, hat diesbezüglich eine Meinung vertreten, mit der ich vollständig übereinstimme: „Nur künstlerische Lebensanschauung, das ist zugleich fromme, religiöse, kann uns von der Zerrüttung und dem Verfall unserer Kultur erlösen. Die Kunst macht nicht nur das Leben des einzelnen hell und schafft nicht nur Freude und Glück im Herzen, sondern sie sucht auch das Gemeinsame im Menschen, sie reißt die Scheidewände nieder und bindet zusammen, was zueinander gehört.”

Nun “erhebt sich die Frage: Wie kann man Volk und Kunst wirklich verbinden? Die Anfänge sind wohl schon vor längerer Zeit gemacht worden, aber ein weit auf das. Volk sich erstreckender Erfolg ist bisher noch nicht gelungen. Man hat in früherer Zeit zu sehr auf Geschichte, Gegenstand und Technik der Werke allein Rücksicht genommen und das wirkliche Wesen der Kunst oft übersehdn. Wenn man bedenkt, wie ein schöpferisches Kunstwerk entsteht, so läßt sich leicht bestimmen, was zu tun ist, um Volk und Kunst nahe aneinander zu bringen.

Kjjtist hat ihre Quelle in der Seele des. Schaffenden. Dies gilt auch für Naturalisten und Übernaturalisten. Wir können es bei den ersteren oft aus ihren Entwurfzeichnungen sehr det’-lich sehen, die trotz strengstem Naturalismus in der Ausführung der Werke wie moderne Blätter wirken, und ganz deutlich einen Blick in die große geistige Innerlichkeit der bedeutenden Künstler gewähren (16., 17. Jahrhundert). Nicht gilt es dort, wo’ das Werk nur mit Verstand, und Technik geschaffen wird und die künstlerische Inner-. lichkeit. in der Seele des Schaffenden fehlt.’ Solche Werke sind keine Kunstwerke, nur reines Kunsthandwerk; aber auch Kunsthandwerk kann künstlerisch sein. Auch darf man keineswegs glauben, daß Verstand und technisches Können für den Künstler nicht sehr wichtig wären, denn damit muß er ja seine seelische Erkenntnis zum Kunstwerk nun ‘ ausführen. Der Gegenweg gilt hüh für denjenigen, der das Werk auf sich wirken lassen will. Er muß nun mit seinem Auge und Verstand das technisch ausgeführte Werk’ zuerst sehr genau betrachten, Gegenstand, Komposition, die ganze technische Durchführung als Gesamtheit und im Detail. Wenn, man” längere Zeit dies sehr aufmerksam durchgeführt hat, so kann man, vorausgesetzt, daß man nicht allzu weit von dem Geist des Künstlers entfernt ist, allmählich immer stärker in den inneren seelischen Ausdruck des Kunstwerks eindringen. Es ist nun durchaus möglich, im Laufe einer Betrach-, tungsschulung die Menschen durch genaue Hinweise ziemlich bald in die richtige Betrachtung der Kunstwerke einzuführen. Freilich, der innerste seelische Ausdruck läßt sich wohl mit Worten andeuten, denn er geht weit über den Intellekt hinaus und wirkt natürlich nur in die Seele des Betrachters. Doch unsere bisherigen Erfahrungen in diesen Betrachtungsführungen haben uns deutlich gezeigt, und zwar bei Kindern wie Erwachsenen, daß man in Österreich sicherlich große Teile der Bevölkerung ohne weiteres zum Verständnis der- Kunst bringen kann,, sobald Führungen für Schule und Volk möglich sein werden.

Heute befinden wir uns natürlich noch im Anfang- dieser Entwicklung, wenn es aber möglich sein sollte, genügend künstlerisch und pädagogisch geeignete Führer heranzubilden, so wird man nicht nur in den großen Kunstsammlungen der Städte, sondern, in ganz Österreich diese Verbindung von Kunst und Volk durchführen können. Fast überall gibt es ja Kunstwerke; ferner muß es möglich sein, viel mehr kleine Wanderausstellungen einzusetzen, natürlich immer mit einem Führer, denn sonst wäre ihr erzieherisches Resultat nicht seht groß. In den Schulen wäre es auch wünschenswert, gute farbige Reproduktionen von Kunstwerken zu verwenden. Ich war früher der Meinung, daß nur die Originale für wirk- , liehe Kunstbetrachtung zu benützen seien, Jetzt ist aber diese Technik so vervollkommnet, daß man auch die Reproduktionen gut verwenden kann.

Außer der Betrachtung der Kunst gibt es noch einen zweiten Weg zur Verbindung von Volk und Kunst, das ist die Einführung in das Kunstschaffen selbst: der Dilettantismus. In weitem Umfange ist dies bei der Schuljugend möglich, aber nur mit Erfolg, wenn nicht bloß auf die Erlernung der Technik Gewicht gelegt wird, wie dies früher meist geschehen ist, sondern dem Kinde ein Ausdrücken seines inneren Gefühls ermöglicht wird. Wenn man einige Erfahrung auf diesem Gebiete hat, sieht man sehr leicht, daß schon fünfjährige Kinder nicht nur Blei- stiftstriche ausführen, sondern ihr inneres geistiges Gefühl erkenntlich damit ausdrücken können. In Wien ist es überdies allen Erwachsenen, welche die Kunst sosehr lieben, daß sie auch ihre technische Ausführung erlernen wollen, möglich, dies in der künstlerischen Volkshochschule in der Akademie durchzuführen, die von Frau Prof. Matejka- Felden mit großem Erfolg geleitet wird. Es handelt sich hier nur um die Ausbildung zum. Dilettantismus; nįehrėre Ausstellungen der künstlerischen Volkshochschule haben aber schon gezeigt, daß zahlreiche Schüler weit über das Technische hinaus zum wirklichen Ausdruck ihrer inneren Gefühle gekommen sind.

Ob die Erziehung, zum Dilettantismus aber genügt, dem ganzen Volk einen vollen und richtigen Einblick in die hohe Kunst zu gewähren, möchte ich bezweifeln. Sie müßte dazu schon mit einer methodischen Kunstbetrachtung Zusammenwirken, nebeneinander oder miteinander.

Von größter Wichtigkeit für alle diese Zwecke ist es nun, daß die Kunstmuseen ihnen, vollständig zur Verfügung stehen. Zweierlei ist nun in , den Museen notwendig. Erstens, daß die Aufstellung der Kunstwerke zwar durchaus historisch durchgeführt wer-, den soll, aber jedes einzelne Kunstwerk so postiert ist, daß es gut und richtig gesehen werden kann und nicht durch die Fülle des Vorhandenen erdrückt wird, Zweitens, die Heranziehung der, ganzen Beamtenschaft zur wirklichen Kunsterfassung, die weit über die Wissenschaft hinausgeht, aber doch auch für sie von- großer Bedeutung sein kann, Man darf keineswegs glauben,, daß die Wissenschaft etwa aufgegeben werden sollte. Sie ist natürlich die Grundlage der Ausbildung der Beamten und der Führung der Museen, nur muß in jedem Falle, vollste. Rücksicht auf alles genommen werden, was für die Verbindung von Volk, Kunst, und Museen notwendig ist, aber ebenso auf alles, was die Verbindung von Wissenschaft und Museen erfordert. Alle Einzelheiten hier anzuführen, würde viel zu viel Raum erfordern. Wenn es aber gelingen sollte, den Aufbau unserer Kunstsammlungen so weit zu bringen, so bedeutete dies keine Revolution, sondern eine Evolution in der Entwicklung unserer Museen. Sie könnten in alter Weise der Wissenschaft und in einer neuen Entwicklungsphase dem Volke vollständig zur Verfügung. stehen. Freilich ist dazu über die Beamtenschaft hinaus die Ausbildung vieler genügend guter Betrachtungsführer für Volk und Schule notwendig. Wenn dies einmal beendet ist, wird die Verbindung von Volk und Kunst immer stärker und besser werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung