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Auf der Suche nach Balkanien/In search of Balkania begegnet die Neue Galerie Graz dem Spiegelbild Europas.

Die Videoinstallation "Hey You" (2002) ist ein gesungener Brief an Europa: " If you ever want the peace in Balkans, you'd love the Albanians as your soul". Erzen Shkolollis Video der im kommunistischen Regime verfolgten albanischen Sängerin Shkurte Fejza ruft gleich zu Beginn die Verantwortung des "gray-haired Europe" auf.

Der Gang durch die über zwei Etagen "wegelagernde" Ausstellung "In search of Balkania" ist der enorme Versuch, dem Spiegelbild Europas zu begegnen. Ein Tor, und nicht nur das südöstliche Fenster für den Blick hinaus, will diese Ausstellung öffnen, behauptet Mitkurator Peter Weibel. Den Balkan bewusst wahrnehmen, heißt Gründe und Syndrome, aus denen Kriege, Städte, Ideen und Visionen gebaut sind, wahrzunehmen.

Arbeiten von rund 60 Künstlerinnen, Künstlern und Künstlergruppen aus Albanien, Bosnien, Bulgarien, Griechenland, Kroatien, Mazedonien, Rumänien, Serbien, Slowenien und der Türkei breiten sich als Kunstbazar aus.

Der Slowenin Eda ÇCufer, dem Amerikaner Roger Conover und Neue-Galerie-Chefkurator Peter Weibel gelang es, "eine Matrix balkanischer Räume zu konstruieren und einen Komplex von Metaphern zu zeigen, der nicht vom weißen Würfel der Museumslogik, sondern vom Straßen- und Marktleben balkanischer Erfahrung abgeleitet ist".

Die Ästhetik, das Schöne dieser imaginären Landschau ist das soziale Leben dieser Länder, nicht der "white cube". Nichts wurde dem westlichen Standard angepasst; die Verdoppelung der Gegenstandswelt von den Kuratoren akzeptiert. Kunst - wie Ware aus beschädigten Dingen zusammengerafft. Decken, Schemel, Flaschen: Fragmente einer Annäherung an Balkanien. Die Wortfolie wurde einem der mas-sivsten Romane des letzten Jahrhunderts entnommen. Robert Musils Kakanien, das habsburgische Österreich im letzten Jahr "vor der Flucht in den Krieg" (1914-1918), ein utopischer Gesellschaftspark, zwischen Technikglauben und Kulturpessimismus, Logik und Gefühl.

Balkanien als Metapher

Synonym dazu: Balkanien als Metapher für die komplexe Textur Europas, ohne deren kulturellen Blick, reale Bebilderung und politische Ikonographie die Zukunft Europas nicht vorstellbar ist. Die Neue Galerie knüpft an eine lange Tradition des Hauses an (etwa die TRIGON-Ausstellungen von Wilfried Skreiner lange vor der Wende). Einige der präsentierten Künstler sind keine (in Graz) Unbekannten.

Etwa RaÇsa Todosijevi´c: Seine Installation "Gott liebt die Serben" (1998) legt als Schlüsselbegriff das Hakenkreuz frei. Rot an die Wand gemalt, in eine leichte Schräglage gestellt, wird es von acht mattgelben Rollwägen ebenfalls in Form eines Hakenkreuzes überlagert. Utensilien aus einem Lazarett. Der Titel der Arbeit war ein populärer und pathetischer Slogan serbischer Nationalisten. Der Titel ist eine "ironic Germanization" deutscher Kriegsführung: "Gott mit uns".

Im selben Raum hängen fünf SW-Photographien. Gustav Mahler, Friedrich Smetana und Nikolay Rimsky-Korsakov sind zu erkennen. Zwischen den einzelnen Bildern rammte der serbische Künstler Braco Dimitrijevic sechs Äxte in die Wand. Seine Arbeit "Citizens of Sarajevo" (1993) ist eine Art visualisierter Gefahr, der die "Meister" des Kulturerbes ausgesetzt sind.

Ein subtiles Erlösungsszenario installierte Luchezar Boyadijey: "Neo-Golgotha" (1994). Drei schwarze vier Meter hohe Herrenanzüge, mit Hemd und Krawatte, an die Wand genagelt, behängen die neue Schädelstädte der freien Marktwirtschaft. Die Suche nach Balkanien konfrontiert mit politischen Ikonen.

Aus der Photoserie "Tito, Sarajevo" (1992-1995) des 1961 in Bosnien geborenen Photographen Milomir KovaÇcevi´c werden 10 Aufnahmen gezeigt. Alle wurden während der Belagerung Sarajevos gemacht und zeigen zerstörte und zerbrochene Porträtbilder Titos, die KovaÇcevi´c in Schulen, öffentlichen Gebäuden, Häusern und Geschäften während dieser Zeit fand. Für den Photographen reflektieren diese Bilder, was gekommen war.

Spiegelbild Europas

Einige Zeit später: Franjo Tudjmann: Der Tod des kroatischen Staatschefs wird in der Photoserie "11.-14. XII. 1999" (1999) von Boris Cvetanovi´c als kollektiver Zusammenhang nationaler Identität thematisiert. Die Egalität der pseudoreligiösen, nationalen Anbetung entging keinem Schaufenster. In musealer Umgebung wirken die Bilder heute komatös.

Die Künstlergruppe IRWIN aus Ljubljana spielt hingegen mit der berühmten Exportmarke Slavoj ÇZiÇzeks, dem unzeitgemäßen Lacan-Zeitphilosophen: Der posiert in einer mit Teppichen ausgelegten Box, die vor einigen Jahren als Caritas Werbung - noch als Kartonschachtel - im Gedächtnis geblieben ist; darüber der Ausschnitt der Vagina von Courbets "Der Ursprung der Welt" (die in der Ausstellung gleich dreimal bearbeitet und gezeigt wird).

Die Grazer Ausstellung ist, das zeigt das interessante, parallel im weltberühmten MIT-Press erschienene Textbuch ("The Balcan as Metaphor"), in dem nur Autoren aus dem Balkan geschrieben haben, vom Bundeskanzleramt besonders subventioniert. "In the search of Balcania" ist nämlich nicht zuletzt ein kulturpolitischer Event. Graz als Achse zu Südosteuropa war wohl das wichtigste Argument für den Titel "Kulturhauptstadt Europas 2003". Kunststaatssekretär Franz Morak versammelte zudem die Kulturminister von Süd-Osteuropa vom 4.- 6. Oktober in Graz: Europa als Ferrari, der bislang nur mit sechs Zylinder fahre - so das Plädoyer der Beschleunigung des Staatssekretärs in Punkto Erweiterung. Erhard Busek, prominenter Teilnehmer an der Tagung, gab die Frage weiter, mit der er als EU-Stabilitätsmann für den Balkan konfrontiert wird: "Warum ist Kultur kein Thema - sprich: Budgetposten - im EU Stabilitätspakt?" Seine Antwort: Seit den Römischen Verträgen habe man sich nur an Politik und Wirtschaft orientiert. Ein folgenschwerer Fehler: Das sollte festgehalten werden, trotz oder wegen einer exzellenten Ausstellung im Morgengrauen zur Kulturhauptstadt.

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