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Kunstfälscher haben es leicht

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In Zeiten, in denen das Erlebnis der Kunst dem natürlichen Erlebnis einer sinnvollen Welt entsprach, ist weniger von Kunst geredet worden als in Zeiten, die mit dem Selbstbewußtsein ihre innere Sicherheit verloren haben.

In der Zeit des „Dritten Reiches” malte Lothar Malskat bei seiner Fälschung gotischer Fresken im Schleswiger Dom in Lübeck irrtümlicherweise Truthühner, die in Europa bis zur Entdeckung Amerikas noch gar nicht bekannt waren. Ergebnis: Die prominenten Verfechter einer germanischen Rassentheorie im Sinne des Nationalsozialismus erbrachten den lückenlosen wissenschaftlichen Beweis, daß es sich hier um ein Dokument der Entdeckung Amerikas durch nordgermanische Seefahrer lange vor Kolumbus handeln müsse. Heute ist es nicht viel besser. Malskats Nachkriegsfälschungen in der Lübecker St.-Marien-Kirche wurden jahrelang als bedeutungsvolle Wiederherstellung gotischer Wandmalereien staatlich subventioniert. Ja. es erschien sogar eine Sonderbriefmarke, und bei der 700-Jahr-Feier wandelte die politische Prominenz der Bundesrepublik zum Kirchentor, um die Heiligenbilder und Mariengestalteri zu betrachten, die doch nur Ausgeburten Malskatscher Phantasie waren. Nebenbei betrieb Lothar Malskat (beziehungsweise sein Auftraggeber) mit modernen Fälschungen nach van Gogh, Kokoschka, Picasso oder Utrillo einen schwunghaften Handel, ebenso wie das Jan van Meegeren mit Fälschungen alter Meister erfolgreich versucht hatte. Eine Fälschung van Meegerens wurde 1943 als angeblich neu entdeckter Vermeer van Delft für 1,5 Millionen Gulden an Hermann Göring verkauft.

Die Welt läßt sich täuschen, weil sie getäuscht sein will. Kunstfälscher haben es gerade in unserer Zeit nicht schwer. Lothar Malskat bemerkte auf eine Frage: „Gotik zu malen, det is ziemlich einfach …” Und beim Lübecker Bildfälscherprozeß äußerte er: „Meine größte Aufgabe ist es immer gewesen, zu beweisen, daß die Kunsthistoriker die größten Idioten sind Nun — ein gewisser Martin Porkay hat mit seinem soeben erschienenen Buch „Auf dem Karussell der Kunst” vielleicht deshalb den wesentlichsten Beitrag zum Rembrandt-Jahr und zum Problem der Kunstfälschungen beigesteuert, weil er kein starrköpfiger Kunsthistoriker ist. Er ist ein Kunstfreund von Kindesbeinen an, ein ungarischer Weltreisender, der den Meisterwerken der großen Bildergalerie aller Länder gegenüberstand, ein international geschätzter und gefürchteter Kunstdiagnostiker, der nicht in professoraler Weise theoretisiert, sondern die Kunst wie ein Weinkenner Herkunft und Jahrgang des Weines „schmeckt”. Die wissenschaftliche Beweisführung wird nicht ausgeschaltet, auch nicht die moderne technische Praxis mit Quarzlampen und Röntgenapparaten, mit chemischer und physikalischer Untersuchung der Farbstoffe und dergleichen — aber all das kommt in zweiter Linie. In erster Linie kommt das geheimnisvoll ganzheitliche Erfassen des Kunstwerkes als Organismus, demgegenüber eine Fälschung wie eine Maschine wirkt.

Schon mit jungen Jahren entdeckte Porkay unter der biedermeierlichen Uebermalung eine Gemäldes ein Hauptwerk von Jakob Jordaens. Umgekehrt bereitete er der Kunstwelt immer neue Ueberraschungen, indem er anerkannt Meisterwerke berühmter Maler als Fälschungen enthüllte. Zuerst wehrten die Kunstwissenschafter entrüstet ab, dann redeten sie um den heißen Brei herum, und schließlich mußten sie Porkays temperamentvollen Behauptungen zögernd rechtgeben. Ein Beispiel aus Martin Porkays Buch, das sich wie ein Kriminalroman liest: Im Jahre 1937 erwarb der frühere amerikanische Schatzkanzler Mellon ein Madonnenbild des italienischen Malers Masaccio (1401 bis 1428) für nicht weniger als 395.000 Dollar. Das Bild, das Mellon der National Gallery of Art in Washington vermachte, schien über allt Zweifel erhaben zu sein, zumal der weltberühmte Kunstexperte italienischer Malerei, Bernard Berenson, in einem Artikel voll Begeisterung geschrieben hatte, „daß heute niemand die Qualität der hier zum ersten Male veröffentlichten Madonna bestreiten wird oder daran zweifelt, daß sie von Masaccios Hand stamme. Es ist nicht der Mühe wert, das Offensichtliche beweisen zu wollen …” Doch Porkay hielt es für der Mühe wert, dem scheinbar Offensichtlichen auf den Zahn zu fühlen. Und siehe da -- das gefeierte Paradestück der National Gallery of Art in Washington wurde von ihm als Bild entlarvt, das in den zwanziger Jahren in einer als „Restaurierungs-Atelier” getarnten Wiener Fälscherwerkstätte entstanden war. Nach der Buchveröffentlichung des Falles wird der Skandal nicht mehr lange auf sich warten lassen. Doch Martin Porkay geht es nicht um den Skandal — es geht ihm in unserer Welt der Täuschungen und Fälschungen um die Wahrheit der Kunst!

Der Kunstwissenschaftler Professor Fritz Baumgart scheint das nicht für so wichtig zu halten, wenn er über einen von Jan van Meegeren gefälschten Vermeer schreibt: „Die Erlebnisse aber, die zahlreiche Menschen während des ,Hypnosezustandes’ hatten, waren nicht unbedingt falsch. Denn da das Gemälde aus dem Geiste Vermeers heraus erdacht war, hat es viele in die Welt dieses Künstlers eingeführt und ihnen den Genuß der echten Werke ermöglicht … Martin Porkay ist durchaus anderer Meinung, denn er weiß, daß eine mit theatralischem Pathos nach unserem zeitgebundenen Geschmack servierte Fälschung jeder Gefühlsregung entbehrt, die der wahren Kunst eigen ist. Wenn Porkay ein gefälschtes Bild entdeckt, dann hat er den Mut, hinter die Kulissen des internationalen Kunsthandels zu leuchten und üble Geschäfte aufzudecken.

Da ist die schon erwähnte Episode mit dem angeblichen Masaccio. Die Entlarvung dieses Madonnenbildes als simple Fälschung teilte Martin Porkay einigen New-Yorker Kunsthändlern mit, die plötzlich erklärten, sie hätten schon von der Sache gewußt. Porkay fragte darauf, warum sie dies dann nicht den maßgebenden Herren der National Gallery in Washington mit- teilen würden, wo das Bild ausgestellt ist. Die Antwort war eine Antwort nackter Geschäftemacherei: „Wir wollen selbst noch einige Bilder an die Galerie über die verschiedenen Stiftungsfonds verkaufen. Wir können doch nicht die dortigen Herren erschrecken und ihnen die Kauflust nehmen!”

Dann ist da noch die langwierige und mit Prozessen gespickte Episode um die zwielichtige Gestalt des kürzlich verstorbenen Schweizer Kanonenkönigs und Kunstsammlers Emil Georg Bührle, dessen für eine Million Franken gekauftes Rembrandt-Selbstbildnis Martin Porkay als eine um 1800 entstandene Fälschung bezeichnet hat. Bührle zeigte sich daraufhin weniger von seiner Kunstliebhaber-, vielmehr von seiner Kanonenseite, fuhr mit schweren Ges:hützen auf und versuchte in skrupelloser Weise das Erscheinen des Buches zu verhindern, in dem Porkay seine überzeugenden und von bekannten Persönlichkeiten unterstützten Argumente entwickelt hatte.

Vor allem wendet sich Martin Porkay gegen Jene lügnerische Leichtfertigkeit, mit der Bilder, die als Fälschungen erkannt oder in ihrer Urheberschaft umstritten sind, in Museen einer ahnungslosen Oeffentlichkeit als Meisterwerke dargeboten werden — wie es Bührle mit seinem falschen Rembrandt-Selbstbildnis im Kunsthaus in Zürich getan hat, oder wie es Professor Buchner, Generaldirektor der Alten Pinakothek in München, mit zwei Porträts der holländischen Schule versuchte, die er zum 350. Geburtstag Rembrandts gewissermaßen als Rembrandt- Musterexemplare in München präsentierte. Porkay fuhr dazwischen: Zwei Rembrandts, die gar keine Rembrandts sind, zum Gedenken des großen Meisters, dem die künstlerische Wahrheit über alles ging?! Die Lawine kam ins Rollen.

Bei einem Interview zitierte Porkay den Kunst- gelehrten Alfred Lichtwark, der um die Jahrhundertwende zur Ueberwindung der Geschmacksverirrung und Wirklichkeitsentfremdung seiner Zeit entscheidend beigetragen hat: „Das Kunstwerk geht als Realität zuerunde. wenn die Seelen nicht mehr da sind, die es aufnehmen können.

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