Kunstwerke als Eingriff in die Realität

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Der israelisch-palästinensische Konflikt spiegelt sich in der Ausstellung „Overlapping Voices“ des Essl-Museums. Normalität wird dabei nicht vorgetäuscht.

In einem verdunkelten Raum sind halbkreisartig fünf Videoprojektionen zu sehen. Sie zeigen Männer, eine Frau und ein Kind vor einem blauen Himmel. Gemeinsam singen die fünf Palästinenser in einem disharmonischen Chor den Stufenpsalm nach dem Text des Psalms 126 aus dem Alten Testament. Die Musik ist eine jahrhundertealte jüdische Melodie, wobei im Video anstelle des hebräischen Textes eine arabische Übersetzung zu hören ist.

Die palästinensische Künstlerin Jumana Manna, die die Videoinstallation „The Songs of Ascents“ für die Sammlung Essl gestaltete, geht mit der visuell und akustisch eindringlichen Arbeit dem israelisch-palästinensischen Konflikt ideologisch und kulturell auf den Grund: „Singen diese Palästinenser das Lied aus Loyalität und in Anerkennung des jüdischen Staates? Oder singen sie es wegen des Traums von der Erlösung aus der Unterdrückung, die im Lied zum Ausdruck kommt? Singen sie es gezwungenermaßen oder handelt es sich um die Transformation des traditionellen jüdischen Traumes in einen palästinensischen Traum nach 1948?“

Neue Kunstlandschaft

Dass diese Raumsinszenierung trotz der harmonischen Wirkung den Finger auf Wunden legt, verdeutlicht die Tatsache, dass ursprünglich sieben Personen in der Videoinstallation zu sehen waren. Zwei davon verweigerten jedoch ihre Teilnahme an dem gemeinsamen Ausstellungsprojekt von Israelis und Palästinensern, das derzeit unter dem Titel „Overlapping Voices“ in der Sammlung Essl zu sehen ist. Sie waren der Meinung, dass eine gemeinsame Ausstellung die „Normalisierung einer Situation darstellt und somit unter allen Umständen zu vermeiden ist“. Jumana Manna fand eine ästhetisch entsprechende Lösung für die Leerstelle: Anstelle der fehlenden Personen zeigt sie in der letzten Projektion lediglich den Himmel.

Nach „Blut & Honig“ über Kunst aus den „Balkanländern“ und einer Ausstellung über die Mexikanische Moderne widmet sich die Sammlung Essl zum dritten Mal einer in Europa selten gezeigten Kunstlandschaft. Von den bisherigen Präsentationen sticht die gegenwärtige Zusammenstellung als besonders gelungen heraus. Dies liegt zum einen daran, dass sie sensibel mit der heiklen Thematik umgeht, indem sie die Problematik einer westlichen, verzerrten Sicht explizit anspricht und in Form einer Informationslounge versucht, die künstlerischen Arbeiten in die historisch-politische und geographische Situation einzubetten.

Zum anderen lebt die Ausstellung von der Konzentration auf 22 ausgewählte Positionen (elf israelische und elf palästinensische) und der Qualität der großteils fotografisch-dokumentarischen Exponate. Bereichernd erweisen sich die neben die Werke gehängten Künstler-Kommentare. Sie geben die Möglichkeit, den Entstehungskontext nachzuvollziehen, und spiegeln wider, wie sehr die Künstler von den Konflikten im Nahen Osten geprägt sind, so Osama Zatar: „Ich wurde 1980 im besetzten Palästina geboren. Grenzen, Militärkontrollpunkte und das Gefühl des Eingesperrtseins haben mich mein gesamtes Leben begleitet und wurden natürlich auch zum zentralen Thema meiner künstlerischen Tätigkeit.“

Stimme der Frauen

Die Werke zeigen, dass gegenwärtige Kunst sich nicht als heiler Zufluchtsort versteht, sondern dass sie gestaltend in die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen eingreifen möchte. So sind vier der eigens für die Ausstellung geschaffenen Projekte das Ergebnis einer spannenden Zusammenarbeit zwischen israelischen und palästinensischen Künstlern und NGOs. In Kooperation mit der jüdisch-arabischen Frauenorganisation „Achoti“ versucht die in den Armenvierteln von Tel Aviv geborene Künstlerin Shula Keshet den marginalisierten Frauen des Nahen Ostens aus unterschiedlichen Ethnien eine Stimme zu geben.

Während des Rundgangs hat man die Möglichkeit, Keshets feministisch-künstlerische Aktivität zu unterstützen, indem man kleine Objekte (bestickte Handtaschen, Olivenöl, Zeitschriften) aus der bienenstockförmigen Skulptur nach dem Fair-Trade-Prinzip kauft. Erwerben kann man auch bei Yoav Weiss etwas: Unter „Buythewall.com“ bietet der Künstler in Anspielung auf die Berliner Mauer um 15 Euro ein Stück der Barriere an, die zwischen Israel und dem besetzten Westjordanland gebaut wird.

Das Schweigen brechen

Zu den eindrucksvollsten Beiträgen der Ausstellung gehört die Nische mit Werken Tal Adlers. Das Projekt „Unrecognized“ (Nicht anerkannt) des israelischen Künstlers veranschaulicht, wie Kunst kulturaktivistisch in die Gesellschaft eingreifen kann, ohne auf ihre visuellen Eigenschaften zu verzichten. Seit 2003 will Adler in Ausstellungen, Filmen und Vorträgen „die Geschichte einer zum Schweigen gebrachten und marginalisierten ethnischen Gruppe in Israel, der Beduinen im Negev, erzählen“.

Im Zentrum der Arbeit stehen glänzende Panoramafotos. In leuchtenden Farben zeigen sie einen Hirten mit seiner Schafherde, Kinder vor einem Wassertank, einen Kamelzüchter in der Wüste. Unterhalb eines jeden Bildes liegen Text-Blätter zur Entnahme. Sie bringen den Alltag der Dargestellten näher, berichten von dem Abbruch einer gerade erst errichteten Moschee, von der Hoffnung der Mädchen auf Bildung, von der Schließung von Schulen und fehlenden Krankenhäusern. Adler belehrt nicht, sondern bietet den Besuchern textliche und visuelle Puzzelteile an, um sich selbst der Problematik zu stellen. Und berührt gerade mit dieser Zurückhaltung umso mehr.

OVERLAPPING VOICES.

ISRAELI AND PALESTINIAN ARTISTS

Sammlung Essl

An der Donau-Au 1

3400 Klosterneuburg

www.essl.museum

Bis 26. 10. Di–So 10–19, Mi 10–21 Uhr

Ein zweisprachiger Katalog erscheint Anfang August.

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