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Kurt Jooss und sein Ballett

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Nachdem das Ballett in Salzburg einige Jahre in betrüblicher Weise zu kurz gekommen war, rückte es in diesem Festspielsommer durch das Gastspiel des Essener Folkwang- Balletts wieder in den Vordergrund des Interesses. Kurt Jooss, einer der Senioren des deutschen Tanzes aus den zwanziger Jahren, hat nach dem Krieg in dem von iihm geleiteten Folkwang-Ballett einer denkwürdigen und zweifellos schöpferischen Periode der tänzerischen Renaissance unseres Jahrhunderts ein lebendes Monument errichtet, das als fortdauerndes Zeugnis von dem unbeirrbaren Glauben des Gründers an seine Ideale Respekt gebietet.

Jooss’ Platz in der Geschichte des Tanzes ist durch sein Verdienst er worben, den damals modernen Ausdruckstanz mit dem klassischen Ballett versöhnt zu haben. Damit wurde dem zur Pantomime drängenden Ausdruckstanz ein solider tänzerischer Kern erhalten, der eine Kombination mit klassischen, folkloristi- schen und Elementen des modernen Tanzes möglich machte. So ist es Jooss gelungen, das Lebensfähige im tänzerischen Expressionismus über die vergleichsweise kurze Dauer seiner Blüte für die weitere Entwicklung zu retten und dieser, die in ziemlich entgegengesetzter Richtung verlief, ein verfeinertes und bereichertes Ausdrucksvokabular als Erbteil mit auf den Weg zu geben.

Die Salzburger Gastspielabende des Folkwang-Balletts im Salzbur-

ger Landestheater erbrachten von dieser historischen Leistung ihres Leiters einen eindrucksvoll cm Beweis. Kurt Jooss’ eigene Tanzschöpfungen wirken auch dann „historisch“, wenn sie — wie etwa die Choreographie „Phasen“ zu dem dreisitzigen Streichquartett von Erich Sehlbach — nicht aus den zwanziger Jahren, sondern aus jüngerer Zeit stammen. Nicht daß man heute nicht mehr so tanzt, läßt sie fremd erscheinen, die „Phasen“ sind sogar augenscheinlich an Balanchine orientiert, sondern die hier tänzerisch exemplifizierte „Gesinnung“, die in dem Glauben lebt, Tanz müsse etwas mit Wahrheit und einem idealisierten Menschentum zu tun haben. Der sakrale Ernst und das idealistische Pathos ist es, jenes ungebrochene Vertrauen zu einer Heilsmission der Kunst, die den Tanzschöp- fungen Kurt Jooss“ ein ideelles Gewicht, eine Bedeutungsschwere oktroyieren, die heute, nach einer Wiederaufwertung des spielerischen Elementes in der Kunst, befremdlich wirken. Was soll uns noch die Forderung, der Tänzer müsse den harten Pfad des Wesenhaften beschreiten? Nicht das Wesenbafte ist seine Aufgabe, sondern das Tänzerische — und das kommt bei Jooss zu kurz, ebenso bei seinen beiden Schülern Lucas Hoving („Ikarus“) und Jean Cebron („Recueil“ und „Struktur“), ungeachtet der Feststellung, daß sich Cebron mit seinen beiden Tanzkompositionen als bedeutendes Talent auswies. „Recueil“ ist ein aus Bewegung gebildetes Gedicht, in dem in höchst sublimer Form die Gebärdensprache javanischer Tänze verwendet wird. Das verleiht dem in fast statischer Haltung „getanzten“ Lie-

besdialog der beiden Tänzer (Pina Bausch — Jean Cebron) eine große Zartheit, aber es ist doch eben mehr Pantomime als Tanz. Gewiß hat auch die Patomlmc einen künstlerischen Eigenwert und kann von einem so sensitiven Künstler wie Cebron ausgeführt, eine sehr fruchtbare Verbindung mit der Musik eingehen.

Cebrons pantomimische, oder genauer: Bewegungsinterpretation von Stockhausens Elektronischer Studie Nr. 1 ist ein Beweis dafür. Hier wurde eben nicht ein pantomimisches Drama der Musik als Programm koordiniert, sondern es wurden aus den Klängen und Rhythmen anscheinend „sinnlose“ Bewegungsimpulse übernommen, die sich aber zu einem seltsam pfl’anzenhaften Schwanken und Schweben formierten, als tauchte in den Bewegungen des Tänzers ur- weltliches Leben vom Meeresgrund empor. Dadurch wurde mit der Musik Stockhausens etwas assoziiert, das im bloßen Hören noch nie so sinnfällig geworden ist. Die Bewegung machte sichtbar, daß diese Musik in außermenschliche Bereiche, ins Anorganische und Vegetative, hinausweist, in geologische Urschichten des Lebens zurücksinkt oder verstößt, in denen Musik aufhört, Mitteilung zu sein.

Die von Jooss angeregte Entwicklung erreicht hier in dem Werk seines Schülers ihren Schlußpunkt. Der „harte Pfad des Wesenhaften“ führt aus der Welt des Menschen und damit auch aus der Welt des Tanzes hinaus. Eine Bereicherung oder gar Erneuerung des Tanzes ist von hier nicht zu erwarten, mag die historische, Leistung von Kurt Jooss auch eine solche dargestellt haben.

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