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LEBENDIGE KIRCHENMUSIK

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Daß im Rahmen des Jubiläums „150 Jahre Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien" der zwar jüngsten, aber in rasantem Aufschwung zu einer ihrer wichtigsten Sparten gewordenen „Abteilung für Kirchenmusik" besondere Bedeutung zukommt und auch zugemessen wird, betonte Präsident Dr. Hans Sittner in der Eröffnungsrede der von dieser Abteilung veranstalteten Woche der Musica sacra; der Verlauf der Veranstaltungen, die als Ereignisse bezeichnet werden können, rechtfertigte in überzeugendster Weise diese Wertung. Gottesdienste, Konzerte, Vorträge, Orgelvorführungen und Aussprachen eröffneten ein Wirkungsfeld von einer Strahlungsbreite, die selbst Eingeweihten nicht immer bewußt ist. Die Ursachen dieser wenn auch meist stillen, doch immer weiter ausgreifenden Wirkungen der Wiener Schule liegen in ihrem geistigen Habitus. Das kameradschaftliche Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern — und es sind Lehrer von internationalem Ruf (Gillesberger, Dopf, Haselböck, Heiller, Kronsteiner, Tittel u. a.) die Menschen- und Musikerbildung, die Führung zu Künstlertum und Persönlichkeit, zu Leistung und Wertung, die fast bruchlose Verbindung von Tradition und Moderne, die Leitung im Umbruch der Liturgie und ihrer musikalischen Neuerungen, die ökumenische Bedeutung von kirchlichem Volks- und Chorgesang, das Dominat der Orgel — es mag wenig Schulen geben, die alle diese und noch weitere Belange zu so dichter Substanz und unmittelbarer Einheit zu verschmelzen imstande sind. Bedenkt man außerdem, daß Kirchenmusik nicht reich macht, sogar kaum die Existenzprobleme löst, muß man den Lehrern die außerordentliche Fähigkeit zusprechen, den Idealismus junger lernender Menschen zu höchster Entfaltung zu bringen. Befänden wir uns in einem großen reichen Land, würden dieser Abteilung für Kirchenmusik vermutlich weltweite Propagandamittel zugeteilt. Aber auch ohne diese bat sich ihre Bedeutung bereits in mehreren Sprachen herumgesprochen, das bezeugt der internationale Schülerkreis.

Unter dem Motto „Cantare amantis est“ sprach der Leiter der Abteilung Prof. Dr. Hans Haselböck vom Sinn und Wesen der Musica sacra, die in ihren tausend vokalen und instrumentalen Formen und deren zeitlichen Veränderungen das unveränderliche Tedeum laudamus bleibt und nur von diesem Ursinn her zu verstehen ist, über alle Formen und Stile und Sprachen hinweg; ein klingendes Sursum corda, ein Geistiges somit und daher zur höchsten Formung des menschlichen Geistes gestaltet, zum Kunstwerk, auch im einfachsten Liedgesang. Im engeren liturgischen Sinne wurde dieses Thema fortgesetzt durch den Vortrag Prof. Hermann Kronsteiners: „Kirchenmusik heute.“ Hier wurden die Ge-

fahren aufgezeigt, denen alle Neuerungen ausgesetzt sind und für welche die von heute auf morgen unter neuen Gesichtspunkten stehende Kirchenmusik besonders anfällig ist, die als Dienerin der Liturgie deren Forderungen zu gehorchen hat ohne ihr Gesicht als heilige Kunst aufzugeben, die ein Neues nur auf Grund jahrhundertealter Bewährung gestalten kann; die ihre musikalischen Gesetze den liturgischen wohl unterordnet, aber nicht verleugnet, die aber dennoch ungeahnte neuen Möglichkeiten der Gestaltung wahrzunehmen berufen ist. Daß sie dies immer tat. bewies P. Dr. Hubert Dopf in seinerm Referat „Kirchenmusik und Ökumene“, der auf Grund eingehender musikgeschichtlicher Studien, besonders alter Gesangbücher, aufzeigte, wie bereits zur Reformationszeit und seither immer wieder durch gegenseitige Anregung und Austausch von Liedgut die Kirchenmusik einen weit größeren Beitrag zur Ökumene geleistet hat und immer noch leistet als alle theologischen Konferenzen, zumindest von unten her immer den Boden bereifet für die spirituellen Lösungen.

Zwischen diesen Vorträgen gab es musikalische Darbietungen, besonders auf den verschiedenen Orgeln, ausgeführt von Lehrern und Schülern. Die bedeutendste, weil eigentlich eine Uraufführung in Wien, war wohl die Interpretation von Joh. Seb. Bachs „Orgelbüchlein“ durch Prof. Anton Heiller, der auch jedes Stück erklärte und dies auf eine derart spannende Weise, daß man schließlich erstaunt war, über zwei Stunden zeitlos verbracht zu haben. „Die Kunst des Orgelspiels in der Liturgie“ hieß eine Darbietung von Orgelschülern auf der Orgel der Don-Bosco-Kirche, mit Werken von Frescobaldi, Buxtehude, Couperin, Reger, Walter Pach und Oliver Messiaen. Ebenfalls Studierende spielten auf der ältesten Kirchenorgel Wiens von 1642, mit Erklärungen von Prof. Josef Mertin. Eine Überraschung besonderer Art war die Besichtigung der Orgeln im neuen Gebäude der Abteilung (Seilerstätte), auf deren jener Anton Heiller eine oder mehrere Variationen desselben Themas improvisierte.

Der Abschluß der Woche der Musica sacra fand im Stift Klosterneuburg statt, an der Stelle der Gründung der Abteilung für Kirchenmusik. Im Saal ihrer 1910 erfolgten Eröffnung sprach der Historiograph der Schule, Prof. Dr. Ernst Tittel, über ihr Werden, Wachsen und Wirken. In seiner humorigen, menschlich verbindlichen Weise, Historia und Anekdotą liebevoll verbindend, gelang es ihm mühelos, die

Bande der Zusammengehörigkeit aller Anwesenden noch enger zu knüpfen, Lehrer, Schüler und Gäste zu einer intensiven Interessengemeinschaft zu verbinden, die für die Zukunft versprechend und daher im höchsten Sinne pädagogisch zu nennen ist. Ein Marianischer Wortgottesdienst in der Stiftskirche mit Choralgesang und Orgelspiel in Alternativ- weise, wobei an der Festorgel von 1642 die Lehrer wirkten (Haselböck, Heiller, Pach), gab ein bedeutendes Bild moderner Gottesdienstgestaltung. Anschließend vereinte eine Agape alle Anwesenden zu fröhlichem Beisammensein und Gedankentausch, der, durch den besprochenen Vortrag Professor Dr. Tittels angeregt, Meister und Schüler, Reife und Jugend Vergangenheit und Zukunft in lebendigster Gegenwart vereinte.

Die Abteilung müßte nicht „für Kirchenmusik“ sein, wenn nicht an den beiden die Woche umrahmenden Sonntagen ihre oberste Aufgabe, die musikalische Gestaltung eines liturgischen Gottesdienstes gestanden hätte: ein Cho- ralordinarium mit mehrstimmigem Proprium von Peter Pla- nyavsky am ersten, ein Choralproprium und und die Missą prima von Leonhard Lechner am zweiten Sonntag, beides ausgeführt vom Akademiekirchenchor unter Leitung von Hans Gillesberger und Hubert Dopf, deren Mitwirkung auch innerhalb der Veranstaltungen der Woche mehrmals im Programm eingebaut war.

Mit dem Dank an die Veranstalter und Ausführenden vereint sich der Wunsch, durch ähnliche Unternehmungen die Intensität des kirchenmusikalischen Interesses und Erlebens zu verbreitern und zu vertiefen.

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