Lebenslange Sehnsucht

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Eine große Ausstellung feiert den 150. Geburtstag des Exzentrikers Paul Gauguin, einem der Väter der Moderne.

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Eine große Ausstellung feiert den 150. Geburtstag des Exzentrikers Paul Gauguin, einem der Väter der Moderne.

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Ich bin ein großer Künstler.": Paul Gauguin, das Enfant terrible der Pariser Kunstszene gegen Ende des vorigen Jahrhunderts, war trotz mangelnder Anerkennung von sich selbst überzeugt. Eine der widersprüchlichsten und faszinierendsten Persönlichkeiten der Kunstgeschichte - leidenschaftlich das Leben, Begegnungen aufsaugend und doch im Inneren bis zum Schluß einsam und menschenverachtend geblieben - sollte recht behalten: In einer Reihe großer Ausstellungen feiert man heuer hymnisch den 150. Geburtstag des exzentrischen Künstlers, der neben Vincent Van Gogh und Paul Cezanne als dritter Vater der Moderne gilt. Derzeit würdigt eine umfassende Bilderschau im Museum Folkwang Essen Paul Gauguin mit über 100 Exponaten.

Im Juni des Revolutionsjahrs 1848 wird Paul Gauguin in Paris geboren. Der Vater, ein liberaler Journalist, ist gezwungen das Land zu verlassen und flüchtet mit der Familie nach Peru, stirbt aber bereits auf der Überfahrt. Bis zu seinem siebten Lebensjahr lebt Gauguin mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in Lima. Die farbintensive südamerikanische Umgebung seiner Kindheit wird er stets als Urheimat und Sehnsucht in sich tragen. Mit 43 Jahren verläßt Gauguin erneut Europa und begibt sich auf die Suche nach dem "verlorenen Paradies". "Woher kommen wir, wer sind wir, wohin gehen wir?", wird der Suchende zeitlebens in seinen Bildern fragen. Die erste Reise in die Südsee beendet endgültig die bürgerliche Existenz als Börsenmakler und Freizeitmaler. Es ist eine Flucht vor der zivilisatorischen Last, auch vor der wenig glücklichen Ehe mit der Dänin Mette, mit der er fünf Kinder hatte. Genauso aber ist es ein Aufspüren exotischer Einflüsse und fremder Sichtweisen für die Erneuerung der Kunst.

"Paradis perdu" - das Paradies gibt es nicht mehr, es ist verloren - wird der zynische Maler kurz vor dem Tod in seiner letzten Tropen-Atelier-Hütte, dem "Haus der Freude", resümieren. Papeete, die Hauptstadt war europäisch geworden: "Europa! - von dem ich mich befreit zu haben glaubte". Seine Erlebnisse hält Gauguin in dem autobiographischen Buch "Noa Noa" fest. Dieses ist in der Ausstellung durch eine große Auswahl an Holzschnitten, die Gauguin zur Illustrierung des Textes fertigte, eingebunden.

Paul Gauguin ist mit seinen farbkräftigen, kontemplativen, primitivistische Elemente aufgreifenden Bildern zum Inbegriff der Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, nach dem paradiesischen Zustand geworden. Was er in Tahiti zu finden glaubte, entdeckt der Betrachter in seinen Bildern: Wunschträume. Aus Gauguins Arbeiten sprechen Lebensfreude gepaart mit Melancholie, Sinnlichkeit, Muße und einer antibürgerlichen Haltung. Die Mischung fesselt Tausende von Besuchern. Auch wenn Gauguin enttäuscht von der Südsee war, kehrt er nach längeren Europaaufenthalten wieder dorthin zurück. 1903 stirbt er 54jährig in einer Pfahlhütte in Atuana, Hauptstadt der Marquesas-Insel Hiva Oa. Damals war er bereits längere Zeit morphium- und alkoholabhängig und litt schwerkrank unter starken Schmerzen.

Es ist die Synthese aus europäischer malerischer Tradition und außereuropäischen Elementen, die uns Gauguins Bildwelt so vertraut erscheinen läßt. Sie eröffnet Projektionsräume für Wunschvorstellungen. Gauguins Werke sind voller Widersprüche, wie die Essener Schau veranschaulicht. Als Überwinder des Impressionismus und Vorläufer der Fauves und Expressionisten entwickelte Paul Gauguin Form und Farbe zu eigenständigen Ausdruckswerten. Zugleich bezieht er sich immer wieder auf große Vorbilder wie Edgar Degas, dessen Motiv "Reiter am Strand" er in einem Bild aufgriff. Auch Klassiker wie Tizian und Botticelli erkennt man als Vorfahren - den Bildaufbau oder die Figurengestaltung betreffend.

Die Farbe bekommt bei Gauguin emotionale Bedeutung, ersetzt Erzählendes. Seine Bilder tragen oft Bildtitel, die auf Kommunikation anspielen wie "Das Gespräch" oder "Warum bist Du ärgerlich?". Im Gegensatz zu den Titeln scheinen die Figuren auf den Bildern aber zu schweigen. Sie stehen untereinander in räumlicher Beziehung und bleiben doch in sich verschlossen. Es ist die Unausgesprochenheit, die Einsamkeit trotz Beziehung, die Paul Gauguin auf die Leinwand bannt. Auch biographische Assoziationen ergeben sich. Viele von Gauguins Werken stellen eingeborene "Vahinas" (tahitisch für Frauen) dar, die er als Modelle und Geliebte eine Zeitlang zu sich nahm, ohne eine länger andauernde Bindung zu ertragen.

Das Intensivieren der Farbigkeit und Betonen der Flächen zeigt sich in dem leuchtenden Bilderpaar "Wie! Du bist eifersüchtig?" und "Gibt's was Neues?" (1892), das in seinen rosa-gelb Kontrasten zu den beeindruckenden Höhepunkten der Ausstellung gehört.

Eine Weltpremiere findet in Essen durch die Präsentation von "Ruperupe" ("O wunderbares Land"), eines großformatigen Hauptwerks Gauguins, statt. Zum ersten Mal konnte das 1899 gemalte Bild aus dem Moskauer Puschkin-Museum im Westen gezeigt und in einer Ausstellung mit sechs vorbereitenden Studien und Variationen zusammengeführt werden.

Interessant an der hervorragenden Zusammenstellung der Schau ist, daß man nicht nur Paul Gauguin ehrt, sondern die Paradiessuche als Motiv einbettet in eine Tradition vor und nach Paul Gauguin: mit Bildern von Lucas Cranach und Jan Breughel bis zu expressionistischen Werken von Ernst Ludwig Kirchner und Emil Nolde.

Bis 18. Oktober Museum Folkwang, Goethestr. 41, D-45128 Essen, Tel. : 0049/201/8845001

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