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Lob des Balkons

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Es ist mit der Sache so wie mit dem Worte — von unserem Volke geschaffen, ist es in dfce Fremde gewandert und dann in teilweise fremder Form zurückgekehrt, so ist es dem „Balkon“ ergangen und seinem Namen.

In der Bauweise der germanischen Zeit begegnet uns bereits jene Hausform, die heute noch im Salzburgischen und in Tirol weiterlebe Dort ist das steingebaute Erdgeschoß des Hauses mit einer mächtigen Balkenlage abgedeckt und darüber dann das Stockwerk als Holzblockbau aufgesetzt. Das Gebälke ragt beiderseits weit über die Wände des Erdgeschosses vor und so entstanden Balkengänge an zwei Seiten des Hauses, lange bevor sonst im europäischen Hausbau ähnliches in Erscheinung trat. Denn die Häuser der Mittelmeervölker waren nach griechischen oder römischen Vorbildern geschaffen oder in Fortführung dieser Hausformen, denen ganz andere Baugedanken zugrunde lagen, waren sie reine Steinbauten. Darum enthalten die romanischen Sprachen auch kein eigenständiges Wort für Balkon.

Als die Franzosen und Italiener die Vorliebe für solche Ausbauten an mittelalterlichen Bauernhäusern nördlich der Alpen kennenlernten, da begegnete ihnen das Ding noch unter dem Namen b a 1 k o, was eigentlich Balkenvorsprung heißt. Sie übernahmen Sache und Wort und verwandten das Neue mit ihrem großen und alten Baugeschick, so daß uns dann zum ersten Male an den Architekturen der italienischen Renaissance die dekorative Verwendung der Balkone in der Front von Prunkbauten auffällt.

Das Klima des Südens und vielleicht auch die Schaulust seiner Menschen begünstigte nun den Balkonbau auffallend, während schon im mittelalterlichen Burg- und Stadthausbau deutscher Siedlungen der Balkon durch den Übergang zum Ganzstein- oder Fachwerkbau mehr und mehr verschwindet, abgelöst durch den Söller oder den Erker. Der erstere ist eigentlich ein Saal mit einer offenen Säulenwand an der Sonnenseite (solarium), der zweite eine aus der Häuserfront vorspringende, aber geschlossene Zimmernische — beides wohl aus dem Morgenlande stammend, für dessen Häuser der Erker ja noch heute charakteristisch ist. Zu uns kam der Erker unter seinem mittellateinischen Namen „arcora“, also wie Arkade: der Bogenbau. Klima und Raumnot ließen im mittelalterlichen Städtebau den Erker besonders geschätzt erscheinen und so begegnen wir diesen „C h ö r 1 e i n“, wie man sie zum Beispiel in Nürnberg nannte, schier überall in den mittelalterlichen Städten, indes der offene Balkon dort fast gänzlich fehlte.

Es sind erst die Barockbauten des frühen 17. Jahrhunderts, an denen wir in unseren Gegenden den Balkon wieder begrüßen können — und nun auch unter dem romanisier-ten Namen, schien er doch etwas ganz Neues und wesentlich anderes zu sein als der Balkenumgang alter Bauernhäuser. Steinbalkone mit Balustraden oder kunstvollen schmiedeeisernen Gittern, in die Wappentiere, Jahreszahlen oder Namensmonogramme hineinver-woben sind, wahre Meisterwerke der Kunstschlosserei, umgeben den barocken Balkon. Er ist häufig über dem reich geschmückten Eingangstor angebracht, ein besonders betonter Bauteil; Säulen oder wulstige Konsolen, Atlasfiguren oder strenge Kariatydengestal-ten tragen seine Ausladung und sein bedeutendes Gewicht, aber er ist nicht mehr nur ein architektonisch wichtiger Bauteil, er hat auch seine praktische Bedeutung, er ist nicht nur ein barocker Baumeistereinfall, sondern auch ein Willensausdruck der Bauherren, der pracht-und machtliebenden Fürsten der Barockzeit. Er ist ein Stück absolutistischer Lebensform, darin liegt sein politisch-kultureller Sinn. Man sitzt nicht auf den Baikonen der Barockschlösser, man hält sich dort nicht auf, aber man tritt auf sie hinaus in bedeutenden Augenblicken. Man nimmt auf dem Balkon Huldigungen und Paraden entgegen und zeigt sich dort bei großen Festen. So ist der große Schloßbalkon ein Stück der Barockwelt selbst, der Ausdruck einer Haltung und nicht bloß ein Bauteil wie Sims oder Pilaster. Gerade die vielen Barockpaläste Wiens zeigen darum auch fast immer Balkone und ihre Funktion wird wohl am sinnfälligsten bei den Palais Liechtenstein und Trautsohn, wo die Balkone über den Hauptportalen flankiert sind von Puttis und allegorischen Gestalten, die voll barocker Lebhaftigkeit und in wunderbarer Linienführung nur dazu hingestellt sind, Rahmen und Geleite für die vornehme Gesellschaft zu sein, die jeden Augenblick aus den weiten Flügeltüren auf den Balkon heraustreten kann.

Als die' Romantik diese untergegangene Welt noch einmal verklärte, da sahen ein Tieck, ein Eichendorff die Herren und Damen ihrer traumhaft seligen Erzählungen in den Mondnächten auf die Schloßbalkone herauskommen, dem Rauschen der Brunnen und der Bäume oder dem Sang der Dichter und ihrer Gitarren lauschend.

Doch in der rauhen Wirklichkeit wurde es dort oben nach den unruhigen Zeiten um 1789 immer stiller und es ist nur bekannt, daß der Korse gerne auf den Baikonen der vielen Schlösser stand, die so oft seine Quartiere waren, da er durch Europa zog. Das Jahr 1 8 4 8 aber sah aufgeregte Volkshaufen vor so vielen Adels- und Regentenschlössern, sah sie hinaufstarren zu den leeren Baikonen, auf die jene heraustreten sollten, von denen man die Freiheiten forderte, deren Genuß und Besitz als das Tor zu einem neuen Paradiese der so oft enttäuschten Menschheit erschien. Und mehr als eine Abdankungsurkunde, aber auch manches Konstitutionsdekret wurde in diesem Sturmjahr vom Balkon eines Regentenschlosses der jubelnden Menge bekanntgegeben.

Es war der letzte politische Tag des Balkons, denn andere Lebens- und Gesellschaftsformen ließen ihn von nun ab nur mehr als ein bloßes Stück Bauwerk erscheinen, wie er es zuerst gewesen. Allerdings ist er seit der Mitte des 19. Jahrhunderts kein Merkmal bestimmter Völker mehr, kein Vorrecht von Schlössern und Palästen, man baut allenthalben, wo es Lage und Klima gestatten, Häuser mit Baikonen. Die rasch aufstrebenden Großstädte verwenden den Balkon wieder gerne an ihren vielen Neubauten. Freilich, ein Stück Luxus bleibt er trotz allem, er ist ja nicht unbedingt nötig, er vergrößert die Bau- und Erhaltungskosten, und so fehlt er dem reinen Geschäftshaus, der großstädtischen Zinskaserne, tritt aber häufig dort auf, wo die Neubauten der großen Prachtstraßen auch architektonisch wirken sollen. Darum ist das Vorhandensein von Balkone auch am modernen Wohnhause noch ein gewisser Wertmaßstab, wenngleich viele dieser Balkone nie gewürdigt werden, verlassen und verstaubt sind oder höchstens einigen Zimmerpflanzen als zeitweiliger Aufenthaltsort dienen. Nur zuweilen, bei großen öffentlichen Veranstaltungen und Aufzügen gewinnen diese städtischen Balkone auf einmal Wert und Bedeutung, man besinnt sich ihrer, und in der lebhaft bewegten Geschichte Wiens in den letzten 70 Jahren sah manch großer Tag die sonst unbeachteten Balkone der Hauptstraßenzüge plötzlich beängstigend überfüllt von festlich frohen Menschen und umflattert von farbig-heiteren Fahnen und bunten Wimpeln. Sind aber diese großen Anlässe vorüber, dann versinken die meisten dieser Stadtbalkone wieder in staubige Vergessenheit. Erst dort, wo bei den Neubauten des Stadtrandes, bei Siedlungs- und Landhäusern durch die verhältnismäßige Enge des Wohnraumes und die stärkere Naturverbundenheit ein vorhandener Balkon auch dankbar und häufig benützt wird, da gewinnt er wieder den rechten Wert und schenkt den Menschen viele schöne Stunden: Man ist durch den Balkon sozusagen „daheim im Freien“ und kein offenes Fenster, möge es auch noch so viel Luft und Licht in den Raum lassen, kann gewähren, was der Balkon bietet, der uns in den freien Raum hinaushebt, wie dies sonst nur auf Bergeshöhen der Fall ist. Vielleicht liegt in dieser Freiräumigkeit und in der Möglichkeit des Tiefblickes auch der Grund, warum uns der Aufenthalt auf einem Hausbalkon ähnliche Erlebnisse schenken kann wie der auf den Bergen. Man fühlt sich — und liege der Balkon auch selbst über einer belebten Großstadtstraße — mit eins in der Natur, man ist dem Himmel und seinen Wolken, der Sonne oder den nächtlichen Gestirnen plötzlich näher. Vielleicht muß man einmal länger krank gewesen sein und dann als Genesender, der das Haus noch nicht verlassen darf, zum ersten Male auf den Balkon getreten sein nach Wochen der Zimmerhaft, um ganz zu wissen, welches Glück er schenken kann. Ohne Mühe, mit einigen Schritten so ganz im Freien sein, das ist eine schöne Sache und dafür sollst du, lieber schlichter Hausbalkon, gelobt werden, wie es um ihrer stolzen Linienführung wegen so vielen deiner prächtigen Brüder an welschen und deutschen Schlössern widerfuhr-

So laßt uns denn zu des Balkons Lobe all die schönen Augenblicke beschwören, da wir am grauen Morgen nach dem Erwachen auf ihn hinaustraten, in die Stille der Stadt hineinhorchend und des kommenden Tages Wetterzeichen am Himmel grüßend, dann die schweigenden Sommersonntage, da wir auf unserem Balkon die Glut des Mittags genossen, mitten in der großen Stadt und doch auf unserem Balkon so abgeschlossen, daß wir mit Eichendorff sagen durften: „Da draußen stets betrogen saust die geschäft'ge Welt...“; oder jene Augenblicke der Erfüllung und Entspannung, da wir nach vollendeter langer Arbeit die Feder ruhen ließen und mit einigen Schritten vom Schreibtisch weg hinaus ins Freie traten, Geist und Auge der verdienten Ruhe zugewandt; dann die Abendstunden, in denen das Dunkel leise in die Straßen sinkt und das Leben des Tages draußen abklingt, indes auch in unserer Seele des Tages Eindrücke und Fragen sich langsam klären und ordnen und über ihnen unser tieferes Sein wieder zu Worte kommt, da wir sinnend nach den ersten Sternen sehen, die aus der Dämmerung des Himmels treten. Wir haben Stunden erlebt, da Unwetter heranzogen und wir auf „hohem Balkone im Sturm“, wie es Droste erzählt, das Heranbrausen erwarteten, uns dann mit doppeltem Behagen in des Zimmers Geborgenheit zurückziehend, und wir sind in schwarzer Nacht auf dem Balkon gestanden und haben dort den Glockenschlag gezählt, der ein neues Jahr kündete, indes uns rings die Finsternis umgab, undurchdringlich wie die Zukunft, in die wir damit hineinschritten.

Das alles danken wir dir, du lieber Balkon!

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