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Maler entdecken Salzburg

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Der oft zitierte Ausspruch Alexander von Humboldts: „Die Gegenden von Salzburg, Neapel und Konstantinopel halte ich für die schönsten der Erde” war der fundkündende Ruf eines Entdeckers, der um die Wende des 18. Jahrhunderts der Welt den Weg zum Erlebnis der Stadt Salzburg und seiner Landschaft wies. Maler horchten auf und folgten dem Ruf, ihr Schaffen wurde zum Werben für die schöne Stadt, Schönheitsucher sahen das Werk und kamen.

Nicht, daß Salzburg vorher eine unbekannte Stadt gewesen wäre. Ihr Ruhm galt aber weder dem altertümlichen Habit, noch der Schönheit ihrer Umgebung, sondern der Fürstenresidenz als solcher, dem Glanz der Hofhaltung der von den Machthabern ihrer Zeit umschmeichelten souveränen Herren des mächtigsten geistlichen Fürstentums Deutschlands, allenfalls noch dem Ansehen ihrer barocken Prachtbauten.

Bis in das letzte Drittel war das 18. Jahrhundert seiner ganzen inneren Einstellung nach, die den Sinn des Daseins vorzüglich im Genießen sah, den fruchtverheißenden Böden der Ebene zugetan, mag seine Geste „a la paysan und paysanne” auch kaum mehr, als einen koketten Schnörkel bedeutet haben. Darum stellte es auch seine Lustschlösser ins Flachland — Kleßheim bei Salzburg oder Schloßhof, der Ansitz Prinz Eugens, im fruchtbaren Marchfeld, eine Gegend, die heute kaum um ihrer landschaftlichen Reize willen aufgesucht wird. Dem unwirtlichen Gebirge aber war diese Zeit abhold, die ragenden Bergriesen mit ihren tannendunklen Hängen waren dem heitertändelnden Rokoko zu ernst, die kahlen Kare und schroffen Grate unheimlich und abschreckend. Eine verwandte Empfindung mag noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Nikolaus Lenau nachgeklungen haben, wenn er die Landschaft um Salzburg nicht schön finden kann, „weil dort die Berge herumliegen, als wären sie unserem Herrgott aus der Tasche gefallen”. Aber auch den Zauber seines frühchristlichmittelalterlichen Einschlages durfte Salzburg nicht für sich buchen, denn das, was wir Romantik nennen, lag dem Geschmack des Rokoko völlig ferne. Man erinnert sich dabei, daß zur selben Zeit die Kirche Maria im Gestade in Wien, dieses Kleinod der Gotik, nur deshalb nicht dem Krampen geopfert wurde, weil idi die Stadtgemeinde nicht verpflichten wollte, den Abbruchschutt wegzuführen.

Bis dann in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts jener große Umschwung anhub, den Jean Jacques Rousseau vollbrachte. Nunmehr wandte sich der Geist von Äußerlichkeiten ab und suchte das Wesen, statt nach Genuß stand das Streben nach innerem Glück. „Zurück zur Natur!” Nicht Voltaire war es, den Kaiser Joseph II. in seinem Hause aufsuchte, wohl aber Rousseau.

Auf allen Gebieten machte sich die neue Anschauung geltend, in der Natur- und Kunstbetrachtung, im Ansehen der Landschaft, der Städte und in der Stellung zu ihrer Geschichte. Die Abneigung gegen das Gebirge wich einer empfindsamen Alpenschwärmerei, wie sie durch Adalbert Stifters „Nachsommer” schwingt. Der Geschmack wandte sich der Romantik zu und suchte seine Sensationen im Mittelalter, die Gotik, vor wenigen Jahrzehnten noch in Acht und Bann, feierte eine — freilich nicht immer glückliche — Auferstehung.

Wohl waren die Berge auch früher gemalt und gezeichnet worden, der Vorarlberger Wolf Huber, der Regensburger Albrecht Altdorfer, der Nürnberger Albrecht Dürer oder der Tiroler Michael Pacher, sie alle hatten sich mit den formgewaltigen Häuptern unserer Alpen und ihren kühnen Perspektiven auseinandergesetzt, Pieter Brueghel hatte sie sogar aus der Schweiz nach Antwerpen mitgenommen, um sie dort in die Ebene seiner niederländischen Heimat zu stellen. Doch das in der bildenden Kunst erst in gotischer Zeit erwachte Landschaftsempfinden war bei den Malern des 16. und 17. Jahrhunderts noch gegenständlich, sie stellten die Berge gleichsam als Kuriosa dar, bestenfalls als Wahrzeichen. Bei aller liebevollen Hingabe schwingt in ihren Landschaften — Altdorfer und Wolf Huber vielleicht ausgenommen — die Seele noch nicht recht mit. Auch bei Dürer bleibt das Landschaftliche Beiwerk.

Nicht anders die Darstellung der Städte. Wie oft wurde Salzburg „abkonterfeit”, angefangen vom Holzschnitt in der Schedl- schen „Weltchronik” und den beiden Stadtansichten von 1553 und 1565, bis zu der schönen, klaren Draufsicht von I. Philipps um 1640 und den vielen Stichen des 18. Jahrhunderts! Die ansprechende Bildhaftigkeit all dieser Zeichnungen, Gemälde, Holzschnitte und Stiche — ihre topographische und kulturgeschichtliche Bedeutung kann kaum hoch genug gewertet werden — wecken regsames sachliches Interesse, doch kein Anklingen der Seele. Der große Meister des barocken Städtebildnisses, Canaletto der Jüngere, wurde aber leider nie nach Salzburg gerufen.

Bis gelegentlich einer Künstlerfahrt im Jahre 1815 die „Nazarener” nach Salzburg kamen, schwärmende Romantiker, die fünf Jahre vorher der Wiener Kunstakademie wegen „schulmeisterlicher Unterdrückung jedes edleren Gefühles” den Rücken gekehrt und sich im verlassenen Kloster San Isidoro in Rom zu einer andächtigen prä- raffaelitischen Schule zusammengeschlossen hatten.

Mit ihnen Ferdinand Olivier. Er, der gebürtige Dessauer, war vom Anblick der Stadt inmitten ihrer Berglandschaft derart ergriffen, daß er in ehrfürchtigem Staunen vor so viel Schönheit ihr inneres Wesen gleich einer schöpferischen Vision erfassen und der Welt offenbaren konnte. Seine beiden bekannten Gemälde — der Untersberg vom Mönchsberg mit dem Pulverturm und das Kapuzinerkloster auf dem Imberg — wurden von der Dresdner und der Leipziger Galerie angekauft, eine von episch-gedanklichem Beiwerk getragene Lithographienfolge, „Sieben Gegenden aus Salzburg und Berchtesgaden”, die er selbst als sein künstlerisches Bekenntnis bezeichnet, wanderte in die Welt und warb nachhaltig für die altehrwürdige Bischofstadt an der Salzach.

Sein leiblicher Bruder Friedrich und sein „nazarenischer Klosterbruder” Philipp Veit, dann Rist, Frommei, der junge Julius Schnorr von Carolsfeld, Julius Schoppe, Carl Fohr, der Braunschweiger C. W. Gropius, Domenico Quaglio, C. Fr. Zimmermann, der Klassizist Schinkel und die Nürnberger Klein und Erhard, alle Maler, alle Romantiker, das war die Schar von Oliviers Weggenossen — wenn auch nicht alle in leiblichem Sinne. Von Schnorr — um nur einiges anzuführen — stammt eine schöne Zeichnung, der Göll vom Mönchsberg aus gesehen, von Fohr bewahrt das Dresdner Kupferstidikabinett eine ungemein reizvolle gefärbelte Federzeichnung, „Prozession auf dem Petersfriedhof”, ein Ölgemälde von Schoppe zeigt Aigen gegen Stadt und Staufen.

Zu Olivier hatten sich in Salzburg auch der Königsberger Arzt und bekannte Reiseschriftsteller L. H. Friedländer und der Sprachforscher Fr. Thiersch gesellt. „Mit Freund Olivier wanderte ich hinaus”, schreibt Friedländer in seinem Reisebericht, „er mit Geräth zum Zeichnen versehen, und ich mit einer Tabula rasa im Herzen. Wir bestiegen zuerst den Mönchsberg. Unten im Thal vor uns ausgebreitet lag die königliche Stadt mit ihren Kuppeln und flachen Dächern, fremd und südlich gestaltet… Eine erhabenere Aussicht ist nicht denkbar! Wir versenkten uns sprachlos in den unermeßlichen Anblick, an dem sich Auge und Herz nicht sättigen konnten …”

Dithyramben der Dichter und Reiseschriftsteller und Rufen im Werk der Maler lockte weitere Namen nach Salzburg, darunter Ludwig Richter und die Heidelberger Rottmann und Fries. „Von früh vier bis abends sieben oder acht Uhr zeichnete oder malte ich”, schreibt Ludwig Richter in seinen Lebenserinnerungen, „am häufigsten saß ich arbeitend auf dem schönen Mönchsberg mit seiner alten Feste…” Leider sind diese Zeichnungen verschollen. Nun kommen auch die Landsleute, die Österreicher, um Salzburg für sich zu „entdecken” — Johann Michael Sattler, Georg Waldmüller, Thomas Ender, Friedrich Loo , Johann Schindler, Johann Fischbach, Jakob Alt und schließlich sein Sohn, der große Meister des Aquarells, Rudolf von Alt.

Sattler ging die Arbeit mit aufgekrempelten Ärmeln an: in Arbeitsgemeinschaft mit Loos und Schindler schuf er ein Rundgemälde, das Salzburg und seine Umgebung vom Reckturm der Festung gesehen wieder- gibt, ein 27 Meter langes und 5 Meter hohes Bildwerk, dessen gewissenhafte Treue und anheimelnder Scharm vielfach an Canaletto gemahnt. Sattler tat noch ein übriges, er ging im Jahre 1830 mit dem Riesenrundgemälde auf Reisen, stellte es in Wien, Brünn und Prag aus, er zog mit ihm durch ganz Deutschland und zeigte es in Holland, Belgien und Frankreich, in Dänemark, Schweden und Norwegen und erntete überall Beifall und Ruhm. Der Dresdner Buchdrucker Gärtner hatte dazu ein Büchlein als Führer herausgebracht.

Bis zum Tage sind Maler am Werk, ihr starker Farben- und Formenwille läßt erschautes Salzburg Offenbarung werden. Die Romantiker und Realisten aber haben den Sesam geöffnet und den Schatz ans Licht gehoben. Das war zwischen 1815 und 1830. Die Eroberer der Alpen haben ihnen dabei geholfen.

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