6741757-1966_44_04.jpg
Digital In Arbeit

MARTIN GUSINDE / NEUES LICHT AUF DIE ALTVOLKER

Werbung
Werbung
Werbung

Am 29. Oktober 1966 tritt der Ethnologe und Anthropologe von Weltruf Prof. Dr. Martin Gu- sinde in sein neuntes Lebensjahrzehnt. Er wurde in Breslau geboren, trat 1905 in den Steyler Missionsorden SVD. in Sankt Gabriel bei Wien ein, studierte zunächst Philosophie und Naturwissenschaften, h 'mach Theologie und wurde 1911 zum Priester geweiht. Von dem damals in St. Gabriel wirkenden großen Gelehrten P. Wilhelm Schmidt SVD.

wurde er zur Erforschung primitiver Jäger- und Sammlerstämme, der sogenannten Altvölker, angeregt. Und diese Aufmunterung sollte sein ganzes Leben bestimmen. 1912 entsandte ihn sein Orden als Lehrer der Naturwissenschaften ins Liceo Alemän in Santiago de Chile; 1917 wurde er Professor an der katholischen Universität in Chile. Den Grad eines Dr. phü. erwarb er später an der Wiener Universität.J

Bald trat die große Wendung in seinem Leben ein. Im Auftrag der chilenischen Regierung führte er von 1918 bis 1924 vier Expeditionen zu den vor dem Aussterben stehenden Jägerstämmen der Selknam, Yamana und Halak- wulup an der Südspitze Südamerikas, in Feuerland, durch, die überaus erfolgreich verliefen. Bei seiner dritten Feuerlandreise fungierte sein Mitbruder P. Wilhelm Köppers als Mitarbeiter. Die reichen Ergebnisse dieses Forschungsunternehmens sind in zwei umfangreichen Bänden von zusammen 1676 Seiten veröffentlicht worden. Diese Monographien stellen zweifellos das Beste dar, das jemals über die Ethnologie südamerikanischer Indianerstämme publiziert wurde. 1924 erhielt Gusinde eine Berufung nach Rom, wo er als Mitarbeiter von P. Schmidt am Aufbau des Pon-

tificio Museo Missionario-Etnolo- gico Lateranense beteiligt war.

In einigen Jahren eröffnete sich für Gusinde eine neue Möglichkeit für das Studium von Altvölkern. 1934135 begab er sich nämlich mit dem berühmten Pygmäenforscher P. Paul Schebesta SVD. zu den Pygmäen im östlichen Kongowald, wo er sich vor allem biologischen Untersuchungen widmete. 1949 wurde er als Professor für Anthropologie an die katholische Universität in Washington berufen. Aber schon 1950 zog es ihn weder hinaus zu einfachen Naturvölkern nach Afrika, diesmal zu den Buschmännern in der Wüste Kalahari, wo er eingehende Forschungen durchführte, die er 1963 fortsetzte. 1954 bot sich ihm die Gelegenheit, die kleinwüchsigen Indianer vom Stamme der Yupa im Hochland zwischen Venezuela und Kolumbien zu studieren, wobei ihn vor allem die Frage des Zwergwuchses dieser Gruppe interessierte. Seinen Aufenthalt als Gastprofessor in Japan benützte er 1955, um die Negritogruppe der Aeta auf den Philippinen aufzusuchen. Sein schwierigstes Forschungsunternehmen war zweifellos seine 1956 durchgeführte Expedition zu den kleinwüchsigen Ayom Papua im unwegsamen Gebirgsland von Neuguinea. Hier muß bedacht werden, daß damals Gusinde bereits 70 Jahre alt war, ein Hinweis auf seine erstaunliche Gesundheit und Widerstandskraft.

Gusindes starke Seite ist die ethnologische Feldforschung. Er zeichnet sich durch außerordentliche Anpassungsfähigkeit, scharfe Beobachtungsgabe und seine humane Art aus, bald das volle Vertrauen der Eingeborenen zu gewinnen. Trotz seiner mobilen Lebensweise fand er immer wieder Zeit für wissenschaftliche Schreibtischarbeit. Sein publiziertes Schrifttum umfaßt rund 200 Publikationen.

Der Jubilar kann mit Genugtuung auf sein reiches Lebenswerk zurückblicken, aber er gönnt sich nicht die wohlverdiente Ruhe. Unermüdlich ist er an der Ausarbeitung seiner schier unerschöpflichen Forschungsmaterialien tätig, voll Spannkraft und Begeisterung. Er hat im Laufe der Jahre viele Ehrungen und Auszeichnungen erhalten. Aber am wertvollsten betrachtet er jene Auszeichnung, die ihm einst von „seinen" Feuerlandindianern zuteil wurde, als sie ihn als Mitglied in ihren Stamm aufnahmen, als einen der „Ihrigen“. Mögen dem Jubilar noch viele fruchtbare Jahre in ungebrochener Schaffenskraft beschieden sein.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung