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Maskenursprung im alpenländischen Winterbrauch

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Mit dem Martinstampfen setzen die lärmenden Umzüge der Dorfbunschen ein. Mit dem Scheibenschlagen am Kässonntag finden sie zumeist am ersten Fastensonntag ein leidenschaftliches Ende. Verschwärzte Gesichter, groteske Masken, kühne Kopfaufsätze, wilder Glockenlärm und absonderliche Tänze rufen Glauben und Brauch aus alter Zeit in Erinnerung. Es sind nur mehr wenige Täler und Ortschaften, die inselgleich daran in starker Naturverbundenheit festhaltcn. Stans bei Schwaz zeichnet sich durch sein Anklöpfeln aus. Das andere Unterinntaler Dorf Breitenbach und der anstoßende Angerberg erleben noch jedes Jahr den dämonischen Brauch des Berchtlspringens. Masken halten sich vornehmlich im westlichsten Nord- und Südtirol und in der benachbarten Schweiz, aber auch im Salzkammergut und Ammergau, in Friaul, Val Camonica und Wallis. Das alte Rätien erscheint als ältester und zähester Boden. Daher finden die Winter- und Vorfrühlingsbräuche dieser Landschaften besonderes Augenmerk in der Wissenschaft. Hier wird die Frage nach Ursprung und Herkunft des europäischen Maskenwesens am eifrigsten gestellt.

Westlich des Gardasees, in der Nähe der bergamasken Berge, deren Bewohner als erste Typen in die Commedia dell’arte eingingen und von Bozner Impresarios nach Deutschland geführt wurden, liegt das Tal Camonica, das vom Süden der Ortlergruppe ausgeht. An seinen Felswänden sind vorrömische Felszeichnungen zu sehen. Sie stellen Scheiben und Radkreuze, Spiralen und Scheiben auf Stellen dar, die ihresgleichen in den skandinavischen Felsbildern der Bronzezeit besitzen. Man bringt sie mit den Scheiben und Feuern der Kässonntage und mit der Sonne in Beziehung. In den dazugehörigen Männern mit erhobenen Armen erblickt man Sonnenanbeter. Der Sonnenkult hielt sich lange in Südtirol und Graubünden. Man brachte sogar die noch verbliebenen Masken mit Lichthauben auf den Köpfen, wie man sie zu Telfs, Einsiedeln und Ebensee noch trägt, und die erleuchteten Sterne der Sternsinger wie nodi andere Figuren der Winterbräuche mit solchen angeblichen Sonnenmasken in Zusammenhang; denn selbst in heutigen Fastnachtsspielen wie in St. Johann im Ahrntal benützt man noch Sonnenmasken.

Diese Ausdeutungen der Felsbilder sind jedoch nicht genügend gesichert. Ein ursächlicher Zusammenhang mit den Lichthauben und erleuchteten Sternen von Sternsingern ist nicht herzustellen. Auch die zeitnächsten Anhaltspunkte für Maskenbräuche in den Alpen beweisen noch keine unmittelbare Verbindung mit den neueren Masken. Die Anschauungen über die Felsbilder gehen weit Auseinander. Auslegung steht Auslegung, Annahme einer anderen gegenüber. Ich habe daher schon vor zehn Jahren in meiner Darstellung des „Schemenlaufens in Tirol“ empfohlen, den Ton nicht sosehr auf einen germanischen oder besonders lango- bardischen, einen indogermanischen oder einen orientalisch-byzantinischen Ursprung unseres Maskenwesens zu legen, wie O. Höf- ler, K. Meuli und R. Wolfram, A. Haber.- landt, W. Liungman und andere bedeutende Gelehrte in ihren Werken getan haben, als vielmehr etliche und gemeinsame Möglichkeiten solcher Herkunft freizulassen und den starken Einfluß der Hochgebirgsland- schaft und Bergbevölkerung auf die Entstehung, Gestaltung und Bewahrung der Masken in Betracht zu ziehen. Auch in meinem Buch über die „Tiroler Fastnacht innerhalb der alpenländischen Winter- und Vorfrühlingsbräuche“, das der österreichische Bundesverlag in Wien anfangs 1949 herausbringen will, gehe ich von den vitalen Elementarkräften aus und nehme viele Kulturschichten bei den formbestimmenden Einwirkungen als weitere Stufen an. Die Brauchkultur ist in den Berggrenzländem gleich der gegenständlichen vielgeschichtet und ineinander verschoben. Ethnisches und kulturelles Strandgut drang darauf ein. Landschaft und Raumschicksale prägten Eigenarten aus. Manches, was an Volkskultur vor Ankunft der Langobarden, Bajuwaren und Alemannen sich aus natürlichen Verhältnissen und überirdischen Vorstellungen gefestigt hatte, blieb erstaunlich wirksam und beharrlich, wenn auch in weiterer Vermischung, und ist von europäischer Bedeutung, so schwierig seine Bloßlegung in den wenigen verbliebenen Resten und Spuren auch ist. Ist gerade dieses Gebiet für den Prähistoriker das aufschlußreichste, so kann auch der Volkskundler selbst in Fragen von Umzug, Spiel, Lied, Maske und Schmuck hier weit zurücktasten.

Schon die Antwort auf die Frage, woher die Bezeichnung Maske stammt, stößt hier auf Schwierigkeiten grundsätzlicher Natur. Im Volke ist nur der Ausdruck „in die Masgara gehen“ geläufig. Es verwendet für die Gesichtsmaske das Wort Larve. Jener Bezeichnung liegt am wahrscheinlichsten das italienische maschera oder spanische mascara (= Larve) zugrunde. Ihnen ging wohl das arabische maskharat (= Possenreißer) voraus, das zum Moreskentanz hinüberführt. Meuli lehnt diese Ableitung ab. Er geht von einer langpbardischen Erwähnung aus dem Jahre 643 aus, in der mascą durch striga (Wilde, Hexe) erklärt und ein Zusammenhang mit den Schweizer Fast- nachtsgcstalten der Sträggele hergastellt wird. Hier bedeutet masca Masche, Netz, Gesichtsmaske und schließlich Maskierung überhaupt. Netze und schlcierhafte Gesichtsverhüllungen waren und sind noch in den Alpen üblich als nächste Stufe nach dem Anschwärzen. Die Gittermasken dagegen, die Adelige bei Mummereien, zum Beispiel unter Ferdinand II. von Tirol, durchwegs trugen, stehen kaum in einem ursächlichen Zusammenhang mit den Netzmasken.

Vermummungen, die Vorläufer der Maskenbräuehe, lassen sich als Selbstverständlichkeiten bei den meisten naturstarkeji Völkern nachweisen. Jäger wollten mit Hilfe von Tiermasken Bestien in ihre’ Gewalt bekommen oder schrecken. In der Folge versinnbildeten Masken auch Geisfsr und Götter, Dämonen und Abgestorbene, Verwandelte. Zugrunde liegt wohl die Anschauung, daß das Bild einen Teil des betreffenden Wesens darstellt und man ich darin verwandeln oder darüber Macht erlangen kann, wenn man sich entsprechend verkleidet. Mit dem Fell des Bären angetan, erwarb man sich Bärenkraft und so fort,

Unter den germanischen Völkern treten Langobarden als Maskenträger für uns bisher am deutlichsten hervor. Sie besetzten Rätien bis Bozen und den Vintschgau. Ob sie den Brauch gleich anderen germanischen Stämmen mitbrachten oder von den Kelten im Westen oder von den Rätern übernahmen, läßt sich kaum mehr klären. In einem Lande, in dem Bären und Wölfe, Hirsche und Rinder in das Dasein der Bewohner tief eingriffen, dürften Tier- maskereien früh veranstaltet worden sein, so daß die Felsbilder der Val Camonica rätische Zustände darstellen könnten. Noch andere Verwandlungen spielten in diesen Raum hinein, so das Sinnbild des Hundes, das die Cangrande von Verona als Wappentier führten, und der Sterzinger Spielanführer V. Raber als Übernamen auf die Veroneser verwendete. Daß sich in diesem Paßland naturmythologische und biblische Vorstellungen kreuzten, dafür seien nur zwei verschiedenartige Zeugnisse angeführt: die Pustertaler Sag-en von den Schnabeltisr- menschen und das Fresko der Bozener Dominikanerkirche aus der Zeit am 1350, das den heiligen Christoph im Dienst des Teufels und die zackengekrönten Teufelsmasken mit Hörnern und Schnabelnasen vorführt. Die Vorstellung von der Lichtträgerin Bercht, deren Namen man von giperaht , der leuchtenden Nacht vom 5. auf den 6. Jänner ableitet, scheint in diesem Fresko schon in die der luziferischen Teufelin abgesunken zu sein.

Nach Tacitus standen die Langobarden den Sueben nahe, was die Verbreitung und Verwandtschaft solcher Masken im Alemannischen erklärte. Jedoch bestehen noch andere Möglichkeiten der Erklärung. So war zum Beispiel auch in der westdeutschen Stadt Rheinbach bei der Gerichtshandlung gegen Sittenwidrige Ehrensache, sich am „Tierjagen“, dem maskierten Femegericht ähnlich dem Haberfeldtreiben, zu beteiligen.

Neben Geisterglauben und Abwehrzauber wirkten Verwandlungslust, Spieltrieb und Karikatureinfälle am Maskenwesen schöpferisch bis auf den heutigen Tag mit. Immer wieder tauchen köstliche Vogelmasken auf, die bestimmte menschliche Eigenheiten übertreiben. Oder einer kleidet sich in zahllose Zeitungsstreifen, um die rauschende und trügerische Pressemacht zu veranschaulichen. Solche Improvisationen empfinden die Veranstalter als besonderes Erlebnis ihres Maskenumzugs, als Volksjustiz und dergleichen mehr. ‘

Die kirchlichen Verordnungen der Alpenländer kennzeichnen die Masken und Maskenbräuche nicht im besonderen. Das aus Spanien hervorgegangene Poenitentiale Vigi- lanum des 8. Jahrhunderts erwähnt die Kleidung „in majas et orcum“, in denen man Majen und Wildenmann des Imster Schemenlaufens erblicken möchte. In etlichen Orten Alttirols heißt man Wildemänner noęh Orken. Doch dürfte es sich bei diesen Namen um spätere Übertragungen handeln.

Die erste Erwähnung und Ausdeutung von Scheme und Larve findet sich in einer Alttiroler Klostęrhandschrift des

13, Jahrhunderts. Eindeutige literarische Zeugnisse für Maskenumzüge, Masken, leuchtende Sterne der Sternsinger, Lichthauben sind erst aus dem absinkenden

Mittelalter überliefert. Die ältesten Masken stammen aus den großen geistlichen Bürgerspielen Sterzings, Bozens usw. um 1500, Damals stellte man die Dämonen und Teu fei abschreckend und gefräßig dar. Die Renaissance und vor allem der Volksbarock verwandelten die Maskenbräuehe am farbenfrohesten und formenreichsten. Daß sich das Pranggefühl des Volkes darin auswirkte, habe ich in dem Einführungsband zu den „Bozner Bürgerspielenf‘ ausgeführt. Mit dem Schwinden des alten Glaubensgehaltes trat das Schaugepräge als Selbstzweck hervor. Man wurde stolz auf die örtliche Vergangenheit und die Leistungen der Vorfahren, erprobte zugleich nach wie vor jungmännische Geschicklichkeit, Kraft und Mut, so daß man manche Leistung von Maskierten als frühere sportliche Ertüchtigung bezeichnen könnte, und freute sich der Maskenrechte.

Auch das Tanzen, Werben, Aufspringen der Edelmasken und das Tollen der Wildemänner mit ihren Bergstöcken reichen in Anfangszeiten der Tierbeobachtung und der Almkultur zurück. Die vielen Glöcklein und schweren Glocken der Hauptmasken erinnern an frühestes Sennenleben, wie ja auch die Bockshörner und das Jodeln schon in den ersten Erwähnungen rätischen Volkslebens zurückreichen. Die ältesten erhaltenen alpenländischen Masken, die in ausländischen Museen gezeigt werden, sind freilich kaum mehr als 200 Jahre alt. Vieles ist in und nach dem letzten Weltkrieg zugrunde gegangen. Die großen Kopfaufputze der Prachtmasken werden jeweils erst zusammengestellt. Ihre „Überbauten“ zählen zum ältesten Schmuck von Mensch und Tier, der zunächst in Geweihen und Hörnern bestand, wie ihn die Felsbilder aus den frühesten Siedlungszeiten festgehalten haben dürften, ohne daß man sagen kann, daß diese Kopfbedeckungen Masken gleichzustellen wären. So dürften Maskenbrauch und Maskenart in etlichen Orten unserer Alpenländer von der Hallstattzeit bis zur Gegenwart reichen. Freilich haben Sinn und Form dieser Masken und ihre Bräuche und mit ihnen die Einstellung ihrer Träger viele Wandlungen erfahren. Meist ist mjr mehr eine dunkle Vorstellung von der ursprünglichen Bedeutung und Gewalt der Masken übriggeblieben oder bricht die ehemalige Leidenschaft in äußerster Ekstase des Maskenspiels noch durch. Um so färben- und formenfroher ist das Bild einzelner Maskenaufzüge in den Alpen geworden, die schließlich auf die letzten Tage der Fastnacht zusammengedrängt und in etlichen örtlichen Ausgestaltungen, wie das Schemenlaufen in der tirolischen Spitzwegstadt Imst, ausgebildet wurden.

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