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Maximilian von Werf el und Milhaud

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Die Tragödie des Erzherzogs Maximilian, des jüngeren Bruders des Kaisers Franz Joseph und Kaisers von Mexiko, die sich am 19. Juni 1867 erfüllte, reicht auf gespenstische Weise fast in unsere Zeit: Im Jahr 1927 erst starb, in geistiger Umnachtung, eine der Hauptakteurinnen dieses blutigen Dramas, Prinzessin Charlotte von Belgien. Den Stoff hatte Franz Wer fei schon 19,24, also noch zu Lebzeiten Charlottes, in der dramatischen Historie „Juarez und Maximilian“ gestaltet. Den Komponisten Darius Milhaud, der Anfang September dieses Jahres seinen 70. Geburtstag feiern konnte, hat am Stück Werf eis weniger die österreichische Komponente, als vielmehr das lateinamerikanische Milieu und der Gegenspieler Maximilians fasziniert, jener ehemalige Advokat und Bürgerpräsident von Mexiko, Benito Juarez, der einem offenen Krieg mit den Truppen des Kaisers aus dem Weg ging und seinen General Por-firio Diaz, den späteren Diktator Mexikos, einen zermürbenden Guerillakrieg führen ließ. Dieser endete, nachdem Napoleon III. seine Truppen unter dem General Bazain ^urü^kgrzofien^upd Charlttte an dg}, hoch-, sten. Stellen, in Europa,''Vergeblich Hilfe, gesucht hatte, mit der Niederlage Maximilians, dem Schauprozeß im alten Aztekentheater von Queretaro und schließlich mit der Erschießung des 37jährigen Kaisers.

Darius Milhaud, der aus der Provence stammende Komponist jüdischer Abstammung, war während des ersten Weltkrieges als Kulturattache an der von seinem Freund Paul Claudel geleiteten französischen Botschaft in Rio tätig. Dieser Aufenthalt hat Milhaud sehr beeindruckt und vor allem die Themenwahl seiner dramatischen Werke bestimmt: „Le Boeuf sur le Toit“ (1919), „Christophe Colomb“ (1928 geschrieben, 1930 in Berlin uraufgeführt), „Bolivar“ (1943) und dazwischen die 1930 komponierte, zwei Jahre später an der Pariser Oper uraufgeführte große Oper „Maximilien“.

Das Libretto richtete, nach Werfeis Stück, Milhauds fteund Armand Lunel ein, die Rückübersetzung ins Deutsche stammt von dem Wiener Musikschriftsteller Rudolf H o f f m a n n. Die neun Bilder sind in drei wohlproportionierte Akte gegliedert und durch sechs Zwischenspiele verbunden. Sehr charakteristisch — und den Gesamtstil des Werkes festlegend — ist die kurze „Ouvertüre fanfare“ über den historischen mexikanischen Revolutionsmarsch mit ihrem harten, polytonalen Bläserklang. In dieser Manier ist an vielen Stellen des Werkes das Orchester behandelt, sobald es eine gewisse Autonomie gewinnt. Sparsamer mit Dissonanzen geht Milhaud in den wirkungsvollen Chören um, deren es viele in dieser Revolutionsoper gibt. Die größte Ökonomie zeigt er in den Arien, Duetten und Ensemblesätzen der Solisten, die aber nirgends zum eigentlichen Belcantostil, zur großen Arie vorstoßen. Dies ist, was die Gesamtwirkung betrifft, vielleicht der einzige Mangel von Milhauds Partitur, die aber so viele andere Qualitäten aufweist, daß man sich von einer szenischen Realisierung den besten Effekt versprechen kann.

Da ist zum Beispiel, dem mehr epischen als dramatischen Stück Werfeis folgend, ein großer Abwechslungsreichtum bei der musikalischen Gestaltung der einzelnen Szenen: politische Gespräche und Auseinandersetzungen, nächtliche Parkszenen mit vokalisierenden Chören, Liebesduette (die den Kaiser verehrende Prinzessin Agnes Salm-Salm wird vom mexikanischen Oberst Miguel Lopez mit seiner Leidenschaft verfolgt). Südamerikanisch - Folkloristisches, spanisch gefärbt, Tänze und Kriegsmärsche, am Schluß die begeisterten Jubelrufe der Menge zum Empfang des siegreichen Juarez, der übrigens — ein besonderer Aussparungseffekt Werfeis (den Milhaud natürlich übernommen hat) — nicht persönlich auftritt. Aber vom ersten Satz bis zur Schlußszene ist immer Von ihm die Rede, bestimmt e r die Aktion und Gegenaktion.

Die Wiener (und österreichische) Erstaufführung dieses bedeutenden Opernwerkes danken wir dem Österreichischen Rundfunk, Studio Wien, im, Rahmen eines'öffentlichen Konzertes in dem bis auf den letzten Platz gefüllten Großen Sendesaal. Ein rundes Dutzend Solisten (von denen nur die Träger der Hauptpartien: Hans Günter Nöcker, Emmy Loose, Lukrezia West, Kurt/Equiluz, Alfred Poell, Ludwig Welter, Erich Majkut und Eva Maria Grossmann — eine Solostimme — genannt seien) sowie Chor und Orchester des Rundfunks musizierten unter der Spielleitung von Dr. Hans Sachs und der musikalischen Direktion von Ernst Märzendorfer, der vor allem für Kontraste, rhythmische Präzision und einen unfallfreien Ablauf sorgte. Lang-anhaltender Beifall für alle an dieser denkwürdigen Aufführung Beteiligten.

Das könnte unter anderem ein Grund mehr sein, daß sich auch die Wiener S t a a t s o p e r für das Werk interesssiert. Dieser „Maximilian“ wäre, in vielerlei Beziehung, für das große Haus am Ring sehr geeignet, zumal die Oper noch keineswegs „abgespielt“ ist. (Nach 1945 wurde sie nur an einer einzigen deutschen Bühne, und zwar 1953 in Oldenburg, gegeben.) Aber von den Herren der Staats-opemdirektion war niemand im Großen Sendesaal sichtbar. Vielleicht hört sich jemand die Rundfunksendung von „Maximilian“ am 1. Oktober um 19.30 Uhr im II. Programm an. Wenn es auch dazu nicht reicht, so könnte man sich mit Hilfe des in der Wiener Universal-Edition erschienen Klavierauszugs und der ganz ausgezeichneten und instruktiven Programmeinführung von Dr. Marcel Prawy informieren...

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