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Mehr Kultur zur Natur!

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Häufig hört man: Die landschaftliche Schönheit Oesterreichs, zudem ihr Reichtum an Denkmälern aus Geschichte und Kunst sind so groß, daß wir sie unbedenklich für unbedroht halten können. Wozu also Naturschutz? Bildet doch ganz Oesterreich ein einziges Kultur- und Naturschutzgebiet I

In einer solchen Meinungsäußerung liegt eine Gefahr! Bei Ueberschätzung unseres ideellen Besitzes, der Natur wie der Kultur, glauben so manche unserer Mitbürger, man könnte unbeschwert durch Gedanken an Vor- und Fürsorge all das genießen und auch nutzen, was uns als Gottesgabe anvertraut und als Werk unserer Ahnen überliefert worden ist. Praktisch gesehen führt solcher Eigendünkel von der Kapitulation beim Verlust eines Barockschlosses durch Verfall bis zur widerspruchslosen Resignation vor der Bedrohung der österreichischen Donaulandschaft durch die Errichtung von 15 Großkraftwerken und die dabei verstärkte Kanalisierung des Stromes.

Wer jemals die antike Schönheit Italiens oder Südfrankreichs gesehen, wer die großartigen Gebirgslandschaften der Schweiz und die bizarre Romantik Jugoslawiens erlebt hat, und wer weiß, daß die Schönheit einer Lüneburger Heide, ähnlich wie jene der Pußta von Keszkemet, europäisches Format haben, der schätzt zwar stets Oesterreich wegen des vielfältigen Liebreizes im Antlitz seiner Landschaft, der gedenkt aber auch achtsam des Geschauten in der Fremde und bleibt klug bescheiden. So dürfte es nicht verfehlt sein, in diesem Zusammenhang unserem Fremdenverkehr, der im Jahre 1957 durch seine Rekordeinnahme fast zur Gänze das Defizit unserer Handelsbilanz in der Höhe von 2,79 Milliarden Schilling abdeckte, zu mahnen: Vorsichtig sein und weise! Die Konkurrenz des Auslands wird der österreichische Fremdenverkehr auf die Dauer vor allem und nur dann bestehen, wenn sein eigentliches Kapital, nämlich die Naturschönheit und der Reichtum an Kulturdenkmälern, Oesterreich erhalten bleibt, was der Fall sein kann, wenn dies alles mehr als bisher betreut und bewußter gepflegt wird. — So sollte es kftjghjn .biielsweise als unrichtig,£imv, runden werden,'!8,.Millionen Schilling — an -sich, für den Zweck gewiß nicht viel — für Fremdenverkehrswerbung auszugeben, aber nur 367.000 S für die Erhaltung des Kapitals, also der österreichischen Naturschönheit. Somit geben alle neun Bundesländer zusammen nur soviel für Naturschutz aus als etwa ein mittleres Einfamilienhaus kostet.

Es ergibt sich alsbald die Frage: Ist denn überhaupt ein Schutz der österreichischen Natur notwendig? Sind das Tier- und Pflanzenleben und das äußere Erscheinungsbild, die Landschaft, ernsthaft gefährdet? Um das zu beantworten, seien vorerst Worte von Dr. Adalbert D e f n e r, dem anerkannten Lichtbildkünstler österreichischer Landschaft, zitiert, die dieser anläßlich seines Vortrages „Das ewige Jahr“ im Auditorium maximum der Universität Wien im Jänner dieses Jahres gesprochen hat:

„Es wird immer schwieriger, die Tiroler Berglandschaft unverfälscht und schön — so wie wir sie lieben und der Fremde sie erwartet — auf die Platte zu bekommen. Bausünden aller Art, vom landfremden Baukörper bis zum Bauen auf falschem Platze, und insbesondere die zunehmende Verdrahtung durch das Ueberhandnehmen und die rücksichtslose Führung zahlreicher Hochspannungsund Telephonleitungen zerstören und bedrohen das Antlitz des Tiroler Landes.“

Bei den Aufnahmen zum österreichischen Naturfilm „Das heilige Erbe“ war es ungemein schwer, in Oesterreich noch Reviere zu finden, wo man etwa zehn Birkhähne auf einem Balzplatz, eine Schar Großtrappen, ein Paar Fischottern, wirklich zahlreiches Wasserwild, oder tatsächlich starke Gebirgshirsche ins Bild bekommen konnte!

Die Tatsache, daß mit der Verbauung der Donau die bisherige berühmte Eigenart der österreichischen Donaulandschaft verschwinden müßte, wenn es tatsächlich zu diesem Aus-, bau kommen sollte, wurde schon erwähnt. Aus der Fülle der nachteiligen Nebenfolgen seien hier nur die Störung des Fischzuges, die daraus bedingte Verminderung des Fischbesatzes sowie die gesamte Veränderung des Donaugewässers als Lebensraum, die beispielsweise das Aussterben des Donaulachses, des Huchens, zur Folge haben müßte, hervorgehoben, sowie vor allem die wahrscheinliche Vernichtung der Donauauen, darunter auch der gerne besungenen Lobau als eine der urwüchsigsten Waldlandschaften Mittel-euronas. der eisentlichen Heimat des ohnedies schon überstark bedrängten Auhirsches und zahlreicher Wasser- und Sumpfvögel. Es muß ferner angenommen werden, daß — falls einmal die Donaustufen vollendet wären — weite Teile der heutigen Ufer- und Augebiete durch Ein-polderung vom Strome abgeschnitten wären und zudem wahrscheinlich durch die notwendige Ausbaggerung der im Stauraum zum Absatz gelangenden Sande und Schotter zu sterilen Deponien, zu Schotter- und Sandhaufen verunstaltet werden müßten.

Aus den niederösterreichischen Oelgebieten und Raffineriebetrieben gelangen nach Auskunft eines Experten täglich bei 150 Tonnen, also 150.000 kg Erdöl in Donau und March. Diese unstatthaft eingeleiteten Oelmengen führen äußerlich zu Fischsterben, indem sie das innere Gefüge des Gewässers vernichten, so vor allem auch das Selbstreinigungsvermögen, töten die Uferfauna und — nach Ueberschwemmungen auch die Bodenfauna im Auwald, schädigen also die Forstwirtschaft, verölen überdies tödlich das Gefieder zahlreicher Schwimmvögel, verhindern den gesetzlich gewährleisteten Gemeingebrauch des Wassers, so seine Verwendung als Bade- und Tränkwasser und verunreinigen selbst das Grundwasser, also das Trinkwasser.

Fast alle Bäche, Flüsse und zahlreiche Seen, somit fast sämtliche Gewässer Oesterreichs sind durch Unrat aller Art, angefangen von Glasscherben und Blechdosen bis zu ungeklärten Abwässern aus Siedlungen, Industriebetrieben, ja selbst Spitälern bereits derart verunreinigt, daß, wie beispielsweise in Mürz und Mur — das Baden als gesundheitsschädlich verboten werden mußte, oder aber wie in der Donau östlich von Wien als ähnlich abträglich untersagt werden sollte. Da aus einer Parlamentsdebatte jüngst bekannt wurde, daß 80 Prozent aller österreichischen Gemeinden über keine oder keine genügende Müllabfuhr und nur in unzureichendem Ausmaß oder überhaupt nicht über Müllablagerungsplätze verfügen, darf es uns nicht wundernehmen, wenn unsere Gewässer, aber auch unsere Wälder geradezu schandbar mit Unrat aller Art beschickt werden. Diese Ablagerung von Mist in Wald, Feld und Gewässer isrsänttätsi und *g'eVet2w!dtigr da gefährlich! also verboten, und es'geschieht doch unter den Augen der zuständigen Behörden und Gesetzeshüter — zu unser aller Nachteil!

Es ist längst kein Geheimnis mehr, daß der österreichische Waldbestand überschlage ist und wird, also wir mehr an Holz ernten, als jährlich zuwächst. Das Ausmaß dieses offenkundigen, auch öffentlich zugegebenen Raubbaues, betrug bis vor kurzem in einzelnen Bundesländern bis zu 90 Prozent und dürfte noch im Durchschnitt für ganz Oesterreich wenigstens 30 Prozent über dem normalen Jahreszuwachs liegen. Unverständlich dabei ist, daß noch immer das für heutige Verhältnisse unzureichende Forstgesetz von 18-53 in Geltung ist, also das Gesetz aus einer Zeit, da in unseren Wäldern noch Bären und Wölfe hausten und man eine zweckmäßige Verwertung des Holzes in seinem Verkohlen in den Holzmeilern sah.

Im Waldviertel werden Wackelsteine, prädestinierte Naturdenkmäler, zu Bausteinen und zu Straßenschotter verarbeitet, obwohl das gleiche Gesteinsmaterial 300 m weiter aus einem Steinbruch gewonnen werden könnte; eben dort werden mit Hilfe von Subventionen aus öffentlichen Mitteln schützenswerte Blocklandschaften des Granits durch Sprengungen vernichtet, statt sie durch rechtzeitigen Schutz als heimatliche Naturschönheit und Fremdenattraktion zu schützen. Aus dem Lande Salzburg hört man bereits wiederum von Gesprächen, nach denen neuerlich versucht werden soll, die faaft der Krimmler Wasserfälle als Kilowattstundepiu nutzen, und am Neusiedler See schössen noch im Vorjahr zwei Jäger im Verlaufe einer Wette an einem Tage 258 Wildgänse ab, weil dort noch immer die Jagd mit Lockvögeln — ähnlich wie in Italien — als noch „weidgerecht“ gilt.

Ist also Naturschutz auch in Oesterreich nötig? Sicherlich ja und dies mehr und dies noch entschiedener als bisher! — Naturschutz gilt als ein Kulturmaßstab. Wir müssen ihn als bedeutende Gegenwirkung zur vielfach vorhandenen Humanitätslosigkeit im Sinne der Philosophie Albert Schweitzers betrachten. Er stellt ein Stück Erziehung des Menschen zur Ehrfurcht vor Tier und Pflanze und zur Liebe zu Gottes Schöpfungswerk dar.

Aus solchen Ueberlegungen richten nunmehr angesehene Kulturinstitutionen Oesterreichs eine Resolution an die österreichische Bundesregierung. Sie hat die Schaffung von Nationalparks, vordringlich in den Hohen Tauern und am Neusiedler See, zum Gegenstand. Wenn dieser Entschließung, was wohl anzunehmen ist, ein Erfolg beschieden ist, so würde damit der Wille jenes Teiles der Bevölkerung verwirklicht, die hinter Institutionen wie der Oesterreichischen Akademie der Wissenschaften, der österreichischen Touristen- und Alpenvereine, der Jagd-und Fischereivereine, der Tierschutzvereine und der Landesverbände für Fremdenverkehr stehen.

Die Resolution wird also von mehreren hunderttausende)! Ofsterrelc her Muntlrsfüt ie darf if Irtitativ'e Oesterreichischen Naturschutzbundes begrüßen. Es wird nun art der österreichischen Bundesregierung und an den zuständigen Landesregierungen liegen, diese Vielzahl von Stimmen zu hören. Möge dabei von niemanden übersehen werden, daß die Schaffung von Nationalparks in Oesterreich vor allem ein Beweis unserer kulturellen Reife aber auch ein Beweis unserer wirtschaftlichen Vernunft darstellen würde.

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