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Meister der steirischen Gotik

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Ein oberösterreichischer Forscher hat vor Jahren ausgerechnet, daß sich von den gotischen Skulpturen, die sein Land nachweisbar hervorgebracht hat, nur rund ein Prozent in unsere Zeit herübergerettet hat. Hauptgrund dieser bedauerlichen Tatsache ist der S t i 1 w a n d e 1 : Wie die Werke der Romanik denen der Gotik weichen mußten, so diese denen der Renaissance und des Barocks. Was damals noch verblieb, fiel zum Großteil dem — Kunsthandel zum Opfer. Ein einziger Münchener Antiquitätenhändler des vorigen Jahrhunderts — sein Name ist bekannt — kaufte in Tirol aHein über 20 Flügelaltäre auf. Ihre Schnitzwerke zieren heute Museen in München, Berlin, Nürnberg, Köln, Hamburg usw.

In der Steiermark, zumal in der südöstlichen, haben die steten Feindeinfäüe das Zerstörungswerk „gekrönt“, in den Bezirken Hartberg, Fürstenfeld, Feldbach und Radkersburg verblieben betrüblich wenige gotische Madonnen oder gar Kruzifixe. Auch im heutigen G r o ß - G r a z, in dem von 1055 bis 1517 immerhin 15 Kirchen und Kirchlein entstanden, hat sich an ihren ursprünglichen Ausstattungsstücken blutwenig erhalten: In der Hofkirche, heute Dom, zwei, in ihren drei Filialen St. Peter, St. Veit und St. Leonhard — insgesamt null- ebenso „viele“ bei den Franziskanern, in der Stiegenkirche, im uralten St. Martin;' dagegen in der Leechkirche und in Straßgang je zwei, in Hl. Blut, St. Andrä und in der Bürgerspitalkirche je eine. Dabei besaß der Dom mindestens zwölf, die Stadtpfarrkirche zehn gotische Altäre ...

Der kunsthistorische Trost ist die O b e r-Steiermark. Sie war als Bergland vor Feindinvasionen ungleich besser geschützt, war auch wirtschaftlich nicht in der „glücklichen“ Lage, in Architektur, Plastik und Malerei alle Stilwandlungen prompt mitzumachen. Wieviel Kostbares und Kostbarstes an Kunstwerken der fernen Vergangenheit hier geborgen blieb, erfuhren konkret und anschaulich Ausland und — Inland durch das 1941 erschienene Werk „Mittelalterliche Plastik in Steiermark“ von Karl G a r z a r o 11 i von Thurnlackh. Unermüdlich war der langjährige Vorstand der Alten Galerie im Joanneum landauf, landab tätig, das Gerettete inventarisch aufzunehmen. Besonders verdienstlich war es, daß der Autor nicht bloß die allgemein zugänglichen Stücke in Kirchen und Museen behandelte, sondern auch die im Kunsthandel und Privatbesitz. Die Bilanz war unerwartet erfreulich: Steinplastiken natürlich einbezogen, 680 zum Teil mehrfigurige Werke! In 112 Bildtafeln ward aufgezeigt, daß das Oeuvre nicht bloß umfangreich, sondern zum Großteil auch künstlerisch vollwertig ist. Von den Arbeiten des Meisters von Großlobming konnte er mit Recht rühmen, daß sie in der Musik nur fei den Tonwerken eines Amadeus Mozart ein Gegenstück haben.

Garzarolli hat es nicht mit der Inventarisierung der steirischen Bild- und Steinhauerei bewenden lassen, scharfsichtig und sprachgewandt hat er die stilverwandten Stücke zu Gruppen zusammengefaßt und sie ihren Meistern zugeschrieben. Leider ist keine einzige gotische Plastik signiert, die bisher besonders von Dr. Othmar W o n i s c h beigestellten Archivalien bezeugten zwar die Tätigkeit von namentlich genannten Bildschnitzern in St. Lambrecht und Bruck, ihre allgemeine Formulierung ermöglichte leider nicht die eindeutige Feststellung ihrer konkreten Leistungen. So mußte sich Garzarolli mit Notnamen begnügen. Er und noch 1953 eine Dissertation über die steirischen Flügelaltäre kamen zu dem elegischen Schluß, daß man derzeit kein einziges Stück archivalisch einem namentlich bekannten Künstler zuordnen könne. Hierin ist nun ein grundlegender Wandel eingetreten.

Am 26. Dezember 1421 übertrug die Verwaltung der Stadtpfarrkirche von Bozen dem Maler Hans von Judenburg die Erstellung eines Hochaltars, 1947 wies der rührige Direktor des Bozener Stadtmuseums Dr. Nicolo Rasmo in der Zeitschrift „Cultura Atesina, Kultur des Etschlandes“ archivalisch seine Reste in Deutschenofen nach. Als ursprünglich zu ihnen gehörig hatte schon 1935 C. T. Müller eine Verkündigungsmaria im Bayrischen Nationalmuseum zu München erklärt, Rasmo reihte ihr überzeugend an Figuren in Museen zu Nürnberg und Köln und Agram. Damit ist der weitaus größere Teil des Altars, der einem Michael Pacher für seinen Grieser Altar zum Vorbild anempfohlen ward, rekonstruiert.

Die Auffindung und Auswertung von fünf Rechnungsbüchern aus der Jesuitenzeit ermöglichte es mir, von den neun Altären des Domes, von denen erst vier ihren Meistern zugewiesen waren, vier andere ihren Schöpfern zu „geben“. Das brachte mich auf den Gedanken, in den steirischen Stadt-, Stifts- und Pfarrarchiven systematisch nach Kirchenrechnungen zu fahnden. Die kunsthistorische Ausbeute war auch hier für Renaissance und Barock unerwartet groß, selbst für die Gotik erfolgreich. Von diesen Funden sei hiermit in der „Furche“ erstmalig Bericht erstattet.

In fünf Riesenbänden hat um 1753 Archivar P. Alanus Lehr von R e i n die Geschichte seines Stiftes handschriftlich niedergelegt. An Hand von Codices, Urkunden und Stiftungsbriefen. Auch eine Bauabrechnung fügte er ein, die

älteste unseres Landes. 1406 begann man mit dem Bau der Kreuzkapelle, 1409 wurde sie geweiht. Die lateinisch abgefaßten Rechnungen nennen außer dem „Werck maister“ Friedrich auch die Maler Johannes und N i c o 1 a u s. Letzterem wurden „de ymaginibus sculptis“, für geschnitzte oder gemeißelte Bildnisse, neun Pfund Pfennige ausbezahlt. Ausdrücklich erwähnt ist nur eine Selige Jungfrau. Erhalten hat sich eine Maria mit Kind aus Sandstein. Garzarolli setzt sie um 1390 an. An der unlängst ergänzten und neu gefaßten Skulptur fällt der altertümelnd und großzügig geraffte Umhang auf, aber auch die seltsam abhängende Nase. Gerade sie aber berechtigt uns, diese Plastik als ein Ausstattungsstück der Kapelle zu erklären. Sie findet sich womöglich noch ausgeprägter am Kopfe einer Konsolenplastik dieser Kapelle. (Abgebildet im Kirchenschmuck 1890, Seite 73). Die

Abrechnung führt ausdrücklich auch die „Slos-stain“, die Schlußsteine, und die Kapitelle an.

Durch ein besonderes Entgegenkommen des Stiftsarchivars Oberstudienrat Dr. Krause konnte ich in Admont die alten Bestände des Archivs durchsehen. Dabei fand ich ein pergamentgebundenes Rechnungsbuch der Liebfrauen-Bruderschaft in Pürgg aus den Jahren 1488—1517. Von 1497 bis 1500 wurden Zahlungen geleistet für eine „tavel“ (Flügelaltar). Empfänger -Maister Hainrich Maler zu Mänsee, Mondsee, das Werk ein Bruderschafts-, also ein Marienaltar. Ihr Kernstück, eine eindrucksvolle Gottesmutter, steht im Diözesanmuseum, von seinem Begründer Dr. Johannes Mandl im Katalog „um 1500“ datiert. Der Künstler ist wohl identisch mit Heinrich Maler, 'der von 1487 bis 1502 für Salzburg arbeitete (Otto Fischer, Die altdeutsche Malerei in Salzburg, Seite 214), und mit dem Meister von Mondsee, dessen Flügelbild „Die Flucht nach Aegypten“ im Wiener Kunsthistorischen Museum hängt. (Ludwig von Baldaß, Conrad Laib und die beiden Rueland Frueauf, Abbildung (18). Die muldrige Faltenbildung am Kleid Mariens verläuft hier wie dort weitgehend analog, obzwar sie am Tafelbilde sitzt und in der Plastik steht.

Laut Kirchenrechnungen im Steiermärkischen I.andesarchiv zahlten die Zechleute von St. O s w a 1 d bei Zeiring in Jahresraten 1508 bis 1511 insgesamt rund 91 Pfund für eine „Taffl“, den Bruderschaftsaltar St. Wolfgang. An Maler Leonharten von Rottenmann. Am „Allerkindleintag“ 1511 transportierten zehn Knechte und zehn Rosse die Tafel auf sieben Schlitten von Rottenmann nach St. Oswald. Sie ist leider verschollen. Nun fand ich im nahen Bretstein ein Päckchen Rechnungen, die als Erbauer der Kirche den Baumeister Christoph (Marl von Rottenmann), als Maler und Bildhauer des Hochaltars den „Mayster zwn Rottenman“ nennen. Insgesamt bekam er für die „Taffei auff den forderisten alltar“ 82 Pfund. Sie ward 1506 geliefert. Da wohl nicht anzunehmen ist, daß der Altarlieferant ausgerechnet 1507 gestorben ist, so ist es Maler Leonhard von Rottenmann. Das gotische Gesprenge mußte um 1750 einem barocken Aufbau weichen, die gotischen Statuen wurden glücklicherweise auf denselben übernommen: Die Kirchenpatronin St. Katharina zwischen St. Ulrich und einem anderen Bischof. Schon Konservator Graus rühmte von ihnen, daß der unbekannte Bildhauer die Modelle für seine Gestalten im bodenständigen Volk der Umgebung ausgesucht habe.

Das Sonderarchiv Pols im Landesarchiv verwahrt hohe Stöße von Kirchenrechnungen dieser uralten und angesehenen Dekanatskirche. Darunter auch etliche aus dem Mittelalter. Darin lesen wir nur, daß ein leider ungenannter Maler 1459 ein „Vasten tuech“, ein Fastentuch malte, um die Heiligen an der „Taffei“ zu verdecken, 1487 ein Maler Hans (von Judenburg?) Gold für die Krone eines Bildnisses gab, für das Goldschmied Lienhart zu Judenburg 12 Pfund bekam. 1520 aber tritt auf den Plan Maler Caspar vonFriesach Mit einem „Khnechte“ arbeitete er an einer „Taffel“ mit Kruzifix und Vesperbild. Noch 1522 bekommt er Zahlungen für die „Taffl des heyligen Krewz altar“, 1526 erhielt er die Restschuld auf einen Annenaltar. Dieser ist nicht mehr vorhanden, auch die Pieta nicht. Das Kruzifix aber hängt noch ehrfurchtgebietend vor dem Chorscheidebogen von der Decke nieder. Dehio nennt es das hervorragendste Stück der Ausstattung.

Damit sind vier verschiedenen Bildhauern und Bildschnitzern, nach Wohnsitz und Namen eindeutig gekennzeichnet, nicht bloß die vier genannten Werke zugeeignet, sondern auch manche andere, die dieselbe plastische „Handschrift“ aufweisen. Bei Maler Heinrich von Möndsee wurde schon eines genannt, weitere dürften sich in Oberösterreich und Salzburg finden. Zur Gottesmutter von Rein gesellen wir eine Schutzmantelmadonna in einer Kapelle von Uebel-bach. Bildhauer Conrad war wohl in Rein seßhaft, ebenso wie Maler Johannes, dessen Gesellen (!) einmal mit Bibalibus, mit Trinkgeldern, bedacht werden. Mit Lienhards von Rottenmann Bretsteiner Hochaltarfiguren sind engst verwandt eine Schmerzhafte Mutter und ein Lieblingsjünger in demselben Gotteshaus, aber auch einige Holzplastiken der Stadtpfarrkirche Knittelfeld, die glücklich das Bombardement der Stadt und die Zerstörung der Kirche überlebten. Das getreue Ebenbild des Pölser Cruzifixus ist der von St. Lambrecht, den Dozent Dr. Othmar Wonisch auf Tafel 126 seiner Kunsttopographie zeigt. Garzarolli datiert es 1515 und schreibt seinem Meister den Schnitzaltar von Pontebba und die Flügelreliefs zu St. Wolfgang in Grades zu.

Von den vier „Meistern der steirischen Gotik“ ist also einer ein Oberösterreicher und einer ein Kärntner. Sie waren bisher beide unbekannt. Ich möchte von Herzen wünschen, daß zur „Revanche“ bei gründlicher Durchforschung von Archiven der Nachbarländer auch ein steirischer Bildhauer oder Maler zum Vorschein käme.

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