Meister zwischen zwei Zeitaltern

19451960198020002020

Michael Pacher - dem großen Tiroler Altarmaler des 15. Jahrhunderts und seinem Kreis - ist eine einmalige Ausstellung im Kloster Neustift gewidmet.

19451960198020002020

Michael Pacher - dem großen Tiroler Altarmaler des 15. Jahrhunderts und seinem Kreis - ist eine einmalige Ausstellung im Kloster Neustift gewidmet.

Werbung
Werbung
Werbung

Ein kleiner Engel mit anbetendem Händegestus lugt aus der grün umrandeten, kreisrunden Öffnung. Nur sein linker Flügel und der schräg nach oben gedrehte Kopf mit dem Heiligenschein schieben sich nach vorne, sein Blick wie verzückt auf ein weiter entferntes Ziel gerichtet. Das pausbäckige Gesicht mit der weich geschwungenen Nase, dem kleinen, vollen Mund und dem molligen Kinn ist umrahmt von rötlich gelocktem Haar. Die Malerei auf einem Gewölbeschlußstein aus gebranntem Ton, nicht größer als eine Kuchenplatte, läßt die Illusion von Plastizität und - wenn auch nur angedeutet - von Räumlichkeit entstehen. Hier kündigt sich bereits die künstlerische Handschrift Michael Pachers an, der für dieses Frühwerk 1459 als "maister Michel maler" entlohnt wird. Es ist derzeit in der Ausstellung "Michael Pacher und sein Kreis" zu sehen, mit der das Land Südtirol seinen wohl bedeutendsten Künstler anläßlich seines 500.Todestages ehrt.

In den spätmittelalterlichen Räumen von Kloster Neustift ist unter der wissenschaftlichen Leitung von Arthur Rosenauer (Wien) eine dichte Präsentation entstanden, die das lokale Umfeld vor Pacher ebenso einschließt wie Werkstattarbeiten, Tafeln des Meisters von Uttenheim, von Friedrich Pacher und Marx Reichlich. Aus konservatorischen Gründen jedoch muß sie auf alle Werke Michael Pachers verzichten, die sich seit 1812 in der Alten Pinakothek in München befinden: auf die Tafeln des Laurentius-Altares aus St. Lorenzen, die Marienkrönung und auf den Kirchenväteraltar aus Neustift.

Der große Wandelaltar von St. Wolfgang ist als einziger seit 500 Jahren unverändert in situ. Von den etwa ein Dutzend als gesichert geltenden Werken Pachers, die unter anderem auch im Zuge von Barockisierungen entfernt wurden und sich an verschiedensten Orten befinden, kann die Ausstellung dennoch einige belegen. Vom Laurentiusaltar (um 1465) die Wiener Tafeln, die Madonna mit Kind (St. Lorenzen), die zugehörigen Predellenflügel (Wien/Innsbruck) und die Skulptur des Heiligen Michael (München), vom Marienaltar in Bozen/Gries, der von St. Wolfgang 1471 in Auftrag gegeben wurde, das Relief der Anbetung der Könige und die stehende Madonna mit Kind. Nur weniges hat sich von dem größten bekannten Altarwerk der deutschen Gotik, dem Hochaltar für die damalige Stadtpfarrkirche (Franziskanerkirche) in Salzburg erhalten, für den 1484 der Vertrag unterzeichnet wurde.

Die Wiener Tafelfragmente mit der Vermählung Mariens und der Geißelung Christi zeigen die hohe Kunst des späten Pacher. Die in dieser Form sicher nicht wiederholbare Präsentation sensibler Holztafeln und -bildwerke ist in ihrer Konzeption eine Schule des Sehens, in der weniger die Information, umsomehr die vergleichende Betrachtung im Vordergrund steht.

Seit der Wiederentdeckung Michael Pachers im 19. Jahrhundert halten allgemeine Bewunderung und wissenschaftliche Diskussionen unvermindert an. Zu- und Abschreibungen, Rekonstruktionsversuche verstreuter Werkteile, Fragen um die künstlerischen Wurzeln des Bildhauers wie des Malers Michael Pacher, um Werkstattbeteiligungen und Nachfolge haben eine umfangreiche Literatur entstehen lassen.

Relativ wenig Anhaltspunkte gibt es zu Michael Pachers Biographie. Geburtsort und -jahr sind unbekannt. Wohl aus dem Pustertal stammend, ist er seit 1455 als verheirateter Meister in Bruneck ansässig und besitzt dort seit 1460 einen umfangreichen Werkstattbetrieb, ehe er 1495 nach Salzburg übersiedelt, um seinem größten und teuersten Auftrag nachzukommen.

Sein künstlerischer Werdegang erschließt sich allein aus den Bildtafeln und Bildwerken: seine Ausbildung im Umkreis des heimischen Meisters Leonhard von Brixen, Kenntnis süddeutscher und oberrheinischer Kunst während der Wanderjahre in Schwaben, Auseinandersetzung mit der Kunst vor allem Andrea Mantegnas, Jacopo Bellinis in Oberitalien in Padua, vielleicht auch mit jener Donatellos und Masaccios in Florenz.

Seine außergewöhnliche künstlerische Bedeutung beruht auf der Verschmelzung von nördlichem und südlichem Formengut, von noch spätmittelalterlicher Auffassung der bildlichen und bildnerischen Gewandfigur mit der neuen, den Raum weitenden Perspektive. Pachers Malerei ist nicht nur von höchster Qualität der Farb- und Stoffwerte, der Physiognomien und Gesten, der kompositorischen Raffinesse. Die Dramaturgie seiner Gesamtkunstwerke mit dem spezifischen Repertoire von Raum und Inszenierung der handelnden Personen, von Licht und Schatten erschließt sich vor allem vor den großen Altären. Von der Pacher-Route zwischen Bozen und Innichen sind Abstecher nach St. Wolfgang und München ein Muß.

Bis 31. Oktober,täglich 10 bis 18 Uhr Augustiner-Chorherrenstift Neustift, Vahrn bei Brixen/Südtirol

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung