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Meisterzeichnungen der Albertina

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Während der letzten Kriegsjahre hatte man die Schätze der Albertina bergen und verlagern müssen, damit sie nicht das gleiche Schicksal erlitten wie das Gebäude selber. Nach dem Kriege aber und kaum zurückgekehrt, gingen die schönsten Blätter auf Wanderschaft in die Welt hinaus, um für Österreich zu werben. Jetzt erst sind sie endlich wieder daheim und bis in den September hinein in einer unvergleichlichen Ausstellung in der Albertina zu sehen.

Das Wesentliche an dieser Ausstellung, die von der Spätgotik bis zum Klassizismus, also bis an die Schwelle des 19. Jahrhunderts, heranreicht, ist, abgesehen selbstverständlich von der Qualität der Blätter, die mit dem Begriff der Meisterzeichnungen von vornherein gegeben ist, die Zusammenstellung.

Prof. Dr. Otto Benesch hat es bei dieser nämlich darauf angelegt, die Einheit der abendländischen Kunst und ihrer Entwicklung überzeugend darzutun. Nicht also, wie es gerne und oft geschieht, das nationale Moment herauszuheben und entweder gegen die Nachbarnationalität abzugrenzen oder es ihr gar voranzustellen, sondern vielmehr die Gleichzeitigkeit sowie die gegenseitige Befruchtung und Ergänzung der verschiedenen Stil- und Gestaltungsweisen von den einzelnen nationalen Schaffenskreisen her sichtbar zu machen, durch prägnante Beispiele zu belegen, ist der wohlgelungene Plan dieser Schau.

Deren Fülle macht es unmöglich, auf Einzelheiten näher einzugehen oder sie auch nur aufzuführen. Hier muß vielmehr ein kurzer namentlicher Hinweis auf die vertretenen Meister genügen, um einen annähernden Begriff vom Reichtum dieser Sammlung zu vermitteln. Hieronymus Bosch, Leonardo da Vinci, Dürer, der ältere Holbein, Mantegna, Schongauer, Michelangelo, Raffael, Altdorfer, Grünewald, Wolf Huber, Pieter Bruegel der Ältere, Rubens, van Dyck, Rembrandt, Poussin, Claude Lorrain, Ber- nini, Potter, Hondecoeter, Wouwerman, Schalken, Watteau, Boucher, Tiepolo, Paul Troger, Fragonard, Maulbertsch, George Romney, Guardi, der Kremser-Schmidt und Goya sind mit die wesentlichsten Glieder der gesamten Entwicklungsreihe und ihrer Beispielkette.

Unabhängig jedoch vom künstlerischen Rang dieser Namen und der von ihnen gezeigten Werke vermittelt die Ausstellung auch noch den Eindruck von etwas allgemein Bedeutungsvollem, das selbst über den Rahmen der Kunst hinausgreift, obgleich es gerade durch sie am deutlichsten zutage tritt. Es ist dies der Kampf, das Ringen des abendländischen Menschen um sein sich ständig wandelndes, vertiefendes, erweiterndes und nicht nur heute in gefährliche Grenzbereiche vorstoßendes Welt-, Lebens- und Mensdienbild. Die in der Albertina gezeigte Kunst also ist nicht einfach nur schön, erbaulich und ein Genuß, als welchen heute die meisten Menschen die Kunst am liebsten auffassen und sich betätigen sehen möchten, sondern sie ist geladen mit innerer Spannung, mit geistiger Auseinandersetzung, mit Leid, Verzweiflung, Sieg, kurz allem, was den Weg des Menschen und eben gerade des abendländischen Menschen zu seiner Selbst-, Welt- und Seinsverständigung bereitet.

Von hier aus also führt die Ausstellung mitten in unser Heute hinein, indem sie es zu verstehen oder doch wenigstens uns ihm aufzutun veranlaßt. Deutlich nämlich zeigt, um nur ein Beispiel herauszugreifen, die Zeit von etwa 1490 bis 1530, also die der Spätrenaissance (später Michelangelo, Bruegel, Tintoretto), mit welcher Fülle oft abgründiger Probleme der religiösen und geistigen Selbstbesinnung der Mensch sich beschäftigte. Die damalige Auseinandersetzung aber mit den letzten Dingen und Fragen steht der heutigen weder an Heftigkeit noch an Tempo nach, so daß auch wir keinen Anlaß haben, entweder zu verzweifeln oder aus einem wie immer gearteten Hochmut heraus der Gegenwart den Geist und das innere Leben abzusprechen.

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