Werbung
Werbung
Werbung

Europäische Avantgarde und indigene Volkskultur: Mexikanische Malerei in der Sammlung Essl.

Lateinamerika. Der Hinterhof des Nordens, billiges Reservoir für Bodenschätze und landwirtschaftliche Produkte. Und dann und wann ein bisschen Musik, ein bisschen mehr an Literatur als zusätzliche günstige Importe. Aber Malerei? Da hieß es lange, dass das nur in die Gegenrichtung funktioniert: Der anmaßend kultivierte Norden lagerte seine verbrauchten Avantgarden in den Süden aus, Second-hand-Kunst für die Zurückgebliebenen. Wenngleich die Kehrtwende noch nicht in ein allgemeineres Bewusstsein vorgedrungen ist, muss man sich heute oftmals dem Kunsthaus von der anderen Seite nähern - die spannenden Werke sind im ehemaligen Hinterhof zu finden. Eine gewisse Vorreiterrolle bei dieser Kehrtwende kann man sicher den Mexikanern in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zusprechen. Die Sammlung Essl präsentiert daher eine Auswahl der Mexikanischen Moderne aus dem Museo de Arte Moderno in Mexiko-Stadt.

Vom Kultur-Kolonialismus...

Und sie sind alle da, die großen Zugpferde aus den 1920er und 30er Jahren, die vielen nachfolgenden Generationen entweder als Vorbilder oder als Reibebäume gedient haben. Natürlich kann man nicht erwarten, dass alle großen Meisterwerke vertreten sind - was schon deswegen nicht möglich ist, weil einige davon in Freskotechnik an Häuserwänden ausgeführt wurden und daher nur schwer transportabel sind. Dennoch findet man Werke der drei großen Muralisten Diego Rivera, José Clemente Orozco und José Siqueiros. Als der erste wichtige Philosoph Mexikos José Vasconcelos, damals im Amt des Erziehungsministers, im Jahr 1921 mit einem ehrgeizigen Programm begann, das vor allem die Ausmalung öffentlicher Wände vorsah, brachte er den Muralismo in Gang. In der Ausstellung ist Diego Rivera mit drei Arbeiten vertreten, wobei vor allem das Porträt seiner ersten Frau Lupe Marin heraussticht. Das Bildnis zeigt eine selbstsichere Frau vor einem Spiegel, mit überproportionierten Händen gibt sie sich selbst Halt, über das Gesicht huscht eine Mischung aus Überheblichkeit und Traurigkeit.

... zu subversiven Bildern

José Clemente Orozco, der Meister der unverblümten Botschaft, präsentiert mit seinem "Tyrannen" eine Weiterführung von "Des Kaiser neue Kleider". Ein bis auf die Militärmütze nackter Mann sitzt, von weiteren Soldaten flankiert, auf einer Wolke. In der Linken hält er eine Trompete - schließlich gibt er den Ton an -, in der Rechten hält er dem Betrachter Ketten entgegen. Unter ihm taumeln die von ihm Verstoßenen. Die roten Socken dürften auf Orozcos politischen Mittelweg hinweisen. José Siqueiros zeigt " Unser gegenwärtiges Bildnis" als männlichen Torso in starker Untersicht, der seine leeren geöffneten Hände aus dem Bild herausstreckt. Er hat nichts anzubieten und offensichtlich auch nichts zu erheischen, obwohl sein muskulöser Oberkörper diesen Prototyp von einem Mann zum festen Zupacken bestens eignen würde. Denn sein Problem liegt im Kopf, dieser ist nämlich aus Stein. Zeichneten die drei in vielen ihrer Arbeiten ein konkretes soziales Engagement aus, so geht es in den hier vorgestellten Arbeiten allgemein um die conditio humana in Zeiten der Unmenschlichkeit.

Indigen und europäisch

In der Auswahl der anderen Arbeiten stechen noch drei Namen heraus. Einmal die erste Frau, die sich in der harten Männerwelt des Kunstmarktes behaupten konnte, Maria Izquierdo. An den beiden gezeigten Darstellungen von Kindern sieht man, warum: Kaum einmal wurden Kinderbildnisse derart unprätentiös, ohne Anflug von Süßlichkeit dargestellt, ohne deswegen gleich die scharfe formale Zerrissenheit der klassischen Moderne einsetzen zu müssen.

Eine Sonderstellung nimmt Rufino Tamayo ein. In seinem langen Leben hat er die präkolumbianischen Vorbilder aufgenommen und ohne Brüche in seine an der europäischen Moderne geschulte Malweise integriert. Octavio Paz sah in der Sonne die Zusammenfassung der Kunst von Tamayo. "Sie ist in allen seinen Bildern, sichtbar oder unsichtbar, präsent: selbst die Nacht ist für Tamayo nichts anderes als verkohlte Sonne."

Eine weitere Sonderstellung nimmt Frida Kahlo ein. Sie ist zwar nur mit zwei Bildern vertreten, dafür mit einem ihrer Hauptwerke. "Die zwei Fridas" stellt sie in einem Doppelporträt vor einem wolkenverhangenen Himmel vor. Das rechte Bildnis zeigt sie in europäischer Kleidung, das linke in einer mexikanischen Tracht und nimmt damit Bezug auf ihre doppelte Herkunft, den jüdischen Vater aus Deutschland und die mestizische Mutter aus Mexiko. Die Herzen der beiden Frauen schlagen öffentlich sichtbar und sind miteinander verbunden. Während eine Ader des linken Herzens zu einem Bildnis von Frida mit ihrem Mann Rivera führt, endet jene des rechten Herzens im Nichts, die Abklemmschere kann das Verbluten nur hinauszögern. Kahlo malt sich als Leidende, als physisch Leidende nach Krankheit und Unfall, und als psychisch Leidende nach der Trennung von ihrem Mann. Nur die beiden Fridas halten sich noch die Hände. Wer nicht irgendwann sowieso nach Mexiko fahren will, sollte zumindest jetzt einen Abstecher nach Klosterneuburg einplanen.

Mexikanische Moderne

Meisterwerke aus de Sammlung des Museo de Arte Moderno in Mexiko-Stadt

Sammlung Essl, An der Donau-Au 1 3400 Klosterneuburg

www.sammlung-essl.at

Bis 12. 6. Di-So 10-19, Mi 10-21 Uhr

Katalog: 144 Seiten, e 27,-

KULTURTIPP:

Vortrag des Autors zum Thema:

Freitag, 10. Juni 17-18.30 Uhr

Führung durch die Ausstellung:

Sa 11. Juni 10.30-11.30 oder 12-13 Uhr

Anmeldung: Theologische Kurse

Tel. (01)51552-3708

fernkurs@edw.or.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung