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Mimus Austriacus

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In einer Zeit, die fast an jedem größeren Ort Festspiele“ inszenieren läßt, so daß man schon von einer „Inflation des Festspielgedankens“ reden konnte, sollte man sich eigentlich wieder einmal jener Worte Hugo von Hofmannsthals erinnern, die er 1919 niedergeschrieben hat:

„Der Festspielgedanke ist der eigentliche Kunstgedanke des bayrisch-österreichischen Stammes. Gründung eines Festspielhauses auf der Grenzscheide zwischen Bayern und Österreich ist symbolischer Ausdruck tiefster Tendenzen, die ein halbes Jahrtausend alt sind.“

Diese Tendenzen erkennen wir schon in den „Trionfi“ der Humanistendichter unter Maximilian I. und sie lassen sich konsequent bis zu den jährlichen Festspielen des barocken Salzburg verfolgen als Ausdruck eines „Spieltriebs“, der in dieser Intensität eben nur unserem Volke eigen ist. Ob es sich um hohe oder um Volksdichtung handelt, immer werden wir auf die gleichnishafte Art stoßen, von der Gegenwart in Bildern der Vergangenheit zu reden, beziehungsweise sie gemäß dem herrschenden „Spieltrieb“ in Szenenbilder umzusetzen. Wenn der „Mimus“, den Hofmannsthal zu preisen und zu bedenken in vielen seiner Schriften nicht müde wurde, irgendwo eine geschlossene Tradition besitzt, dann in der „Literaturlandschaft“ Österreich, wo sie lückenlos vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart nachzuweisen ist.

Alle Gedanken wurden hier in Musik, Bild und Gebärde umgesetzt und nicht in die Sprache wie in den protestantischen Ländern. Und wieder ist es der alte „ordo universi“, der alle diese Dramatik im tiefsten gestalten wollte. Er ist wahrhaft der Orgelpunkt der gesamten österreichischen Literatur. Die Idee einer überindividuellen Seinsordnung, die das Mittelalter im Banne der aristotelischen und thomistischen Philosophie universalistisch erfaßt hatte, wird vom Barock, das seine humanistischen Anschauungen mehr von Piaton und Augustinus bezogen hatte, im Sinne dieser Denker den kommenden Geschlechtern weitergegeben und sie wirkt über Grillparzer und Stifter bis zu den Tagen Hugo von Hofmannsthals, Felix Brauns und Max Mells und selbst bei Arthur Schnitzler ließen sich Bezüge zum spanischen Barockdrama nachweisen. So wirkt der „Mimus Austriacus“ in seiner verfeinerten Form sowohl in der hohen Dichtung Österreichs als auch und mehr noch im österreichischen Volkstheater, denn kaum ein anderes Volk gab und gibt sich so naiv an die Kunst hin wie eben das osterreicriiscne. Daß sich nun Oer Mensch nicht im hohen Ideenflug verirre, dafür sorgt der gesunde Wirklichkeitssinn des Österreichers, der in der Gestalt des Hanswurst das allzu Erhabene wieder auf den Boden der Realität zurückholte. Aus den Bildern der hohen Ideen des Hochbarocks mit seinen festlichen, allegorischen Spielen wurden die Masken der Märchen- und Volksspiele, die am Ende nur noch be- und verzaubern konnten, weil der Geist der Aufklärung auch vor Österreich nicht halt machte. Der „Mimus“ aber behielt die ewig gleiche Aufgabe, die Bühne zum Gerichtsstand für das ganze Volk zu machen, vor den es hoch und nieder lud, um Kritik zu üben an den jeweiligen Nöten der Zeit.

Daran sollte man denken, wenn der „Festspielgedanke“ inflationistisch bedroht erscheint, und sich der „Spielbücher“ selbst erinnern, die sich der „Mimus Austriacus“ durch die Zeiten hin schuf. Auch hierzu gibt die Stiasny-Bücherei „Das Österreichische Wort“ dem Interessierten — und welcher Österreicher wäre selbst im Zeitalter des Films und der Television nicht irgendwie noch immer am Theatralischen interessiert? — reichlich Gelegenheit. Von den nun schon fast sechzig erschienenen Bänden sind bisher zehn den dramatischen Dichtern gewidmet, von denen sie bald ganze Stücke, bald sorgsam ausgewählte Szenen und Akte den Lesern vermittelt. Diese zehn Bände sind im 19. und 20. Jahrhundert beheimatet: die „klassische Zeit“ des österreichischen Biedermeier wird durch Grillparzer, Raimund und N e s t r o y repräsentiert, denen die Bände 26, 11 und 4 gewidmet sind, die von Friedrich Schreyvogel, Ernst Joseph Görlich und Heinz Kindermann sorgsam eingeleitet und interpretiert werden.

Die Tradition des echten, realistischen Volksstückes reicht von Anzengrubers „Doppelselbstmord“ (Band 2S) zu Schönherrs „Frau Suitner“ (Band 34); Anzengruber wird mehr philologisch von Karl P o 1 h e i m, Schönherr biographisch von seinem Stiefsohn Vinzenz K. Chiavacci betreut.

An die Sozialkritik der Jahrhundertwende erinnern uns die Bände 53 und 56, die Arthur Schnitzler und Anton W i 1 d g a n s gewidmet sind. Von Schnitzler, den Herbert F o 11 i n e k einer Generation in Erinnerung ruft, die von dem Dichter lange nichts hören durfte, bringt der Band neben den zwei charakteristischen Erzählungen „Die Fremde“ und „Der Ehrentag“ den Einakter „Große Szene“, während Hans Vogelsang in seine querschnitthafte Wildgans-Auswahl den berühmten vierten Akt, aus „Armut“ aufgenommen hat.

Selbst das expressionistische Drama ist mit einer Szene aus dem Schauspiel „Das Bergwerk“ von Hans Kaltneker vertreten. Auf die liebevolle Kalt-neker-Auswahl Helmut Himmels, „Gerichtet! Gerettet!“ (Band 47), wird noch in einem anderen Zusammenhang einzugehen sein, da ja Kaltneker zu den wenigen Vertretern eines christlichen Existentialismus in Österreich gehört.

Von Felix Braun bringt der Auswahlband 21, „Unerbittbar bleibt Vergangenheit“, eingeleitet von Walther E i I e r s, als Erstveröffentlichung, die drei-aktige Tragödie „Orpheus“, die den antiken Mythos auf sehr subtile Art mit christlichem Gedankengut im Sinne der Uroffenbarung belädt. Rudolf H e n z hingegen läßt auf gut altösterreichische „Spielbuchmanier“ den alten christlichen Gregorius-Stoff, die christliche Einkleidung des Ödipus-Motivs, einer sehr zeitnahen Auseinandersetzung mit den totalitären Tendenzen zum maskierenden Gewände dienen und hält der Gegenwart den „Büßer“ entgegen, der allein den „Schrei um Gnade“ noch auszustoßen vermag. Wer das Stück seinerzeit im Rundfunk gehört oder auf der Bühne gesehen hat, wird mit Interesse nach diesem 17. Band der Stiasny-Bücherei, den Oskar Maurus F o n t a n a eingeleitet hat, greifen.

Schon diese zehn Bändchen zeigen in bunter Vielgestalt die wechselnden Masken des „Mjprjffi',j&tjsjnji5p cus“. Der Katalog kündet weiterhin einen Conrad C e 11 i s, mit dessen „Ludus Dianae“ in der Reihe an, die damit in die Anfänge der großen Tradition zurückgreift und hoffentlich auch ein Muster der barocken Theaterkunst bringen wird. Das vorangekündigte Hugo-von-Hofmannsthal-Bändchen „Komödie“ wird auch Gedanken des Dichters über Raimund enthalten, die vielleicht am sinnfälligsten das Wesen des österreichischen Theatergeistes interpretieren:

„Vor allem ist er dies: ein Kind des Volkes. Darum ist er ein Individuum und ist zugleich auch eine Welt.“

In die Welt des expressionistischen und großen historischen Dramas wird der angekündigte Band von Ferdinand Bruckner führen, dessen Humanität mit dem Humanitätsideal, wie es vor vierhundert Jahren geprägt worden ist, aufs innigste korrespondiert. So liefert uns auch die Reihe „Das Österreichische Wort“ die Bestätigung für die These Josef Nadlers:

„Die österreichische Dichtung ist seit dem Zeitalter des Barocks in ihrem wesentlichen Bestände Spielbuch und Musiktext.“

Und der „Mimus Austriacus“ wird noch manche Maske durch die Zeiten tragen, die verbergend enthüllt, was das Herz dieses spielfreudigen Volkes fühlt und denkt.

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