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Mit Bildern leben

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Kunst ist nicht eine Sache der Professoren, sondern der Liebhaber. Die größten Kunstkenner und Sachverständigen waren immer noch Liebhaber, die aus Freude an der Sache sich ihr Leben lang mit Kunst beschäftigten — mit Bildern lebten.

Kurt Kusenberg, früher im Kunsthandel und auch als Kunstkritiker tätig (Kunstkritiker sind laut Lexikon kunstverständige Laien, die Werke zeitgenössischer Kunst deuten und bewerten), hat das entzückendste Buch über Malerei publiziert, das sich nur vorstellen läßt. Bücher über Kunst gibt es viele — ein solches wohl noch“, nicht. Wer über Kunst so leicht schreiben kann, der muß viel wissen und viel verstehen. Und Kusenberg weiß viel — die Fülle der Zitate allein zeigt es. Aber ich habe bisher nicht gewußt, daß sich so viel so heiter zitieren läßt; als ob alle großen Maler nur Bonmots von sich gegeben hätten. Und Kusenberg versteht viel — Causeur und Connaisseur in einem —, wie insbesondere die scharmanten Kapitel „Ist die Moderne destruktiv?“ und „Die Kunst, Kunst zu fälschen“ zeigen. Dabei geht er ganz und gar unsystematisch vor, manches widerspricht sich ein wenig, und in manchem kann man anderer Ansicht sein. Aber Kusenberg will ja keine Lehre vortragen, er will nur Freude an Bildern wecken — einem solchen Menschen kann man nicht böse sein.

Eine Meisterleistung für sich ist der ausgezeichnet komponierte Bildteil. Verschiedene Möglichkeiten des Porträts, Fälschungen und ihre Vorbilder, Anregungen und ihre Umsetzung, Harmoniegesetze und Perspektive, die „Ersten“ (Bildnisse, Porträts, Landschaften) werden einander gegenübergestellt; und wir, ohne daß wir etwas davon merken, belehrt.

Das Buch „Augenschein und Inbegriff“ von Kurt Leonhard schließt an seine frühere Publikation „Die heilige Fläche. Gespräche über moderne Kunst“ an. Sie ist aus der lebendigen Beziehung des Kunstfreundes, der jahrelang an einer Volkshochschule über moderne Kunst vortrug, mit denen, die um ein Verständnis der Malerei unseres Jahrhunderts bemüht sind, entstanden. Mit den Werken von Werner Haftmann („Malerei im 20. Jahrhundert“), Will Grohmann und „Knaurs Lexikon moderner Kunst“ (das jetzt zur lahreswende erschienen ist) gehört dieses Buch zu den Standardwerken über die neue Malerei; mit den Bildbetrachtungen von Gotthard ledlicka, „Anblick und Erlebnis“, und Franz Rohs Werk „Der verkannte Künstler“ zählt es zu den besten Kunstpublikationen der letzten zehn Jahre. Keiner, der es gelesen (und mitgedacht) hat, wird noch irgendwelchen groben Mißverständnissen der heutigen Kunst („Verlust der Mitte“) huldigen können. Und es ist nicht schwer, hier mitzudenken: denn Leonhard schre bt einen einfachen, klaren, fesselnden Stil, unübertrefflich ist seine Gabe, die langsamen Uebergänge von einem Stil zu einem anderen (oder zu mehreren anderen) Schritt für Schritt zu verfolgen und dabei immer die ganze geistige Situation der Zeit im Auge zu behalten Ebenso ist -es ihm gegeben, eine Zeitepoche zt charakterisieren, in dem er einzelne Phänomen herausgreift und dabei den Zusammenhang vor Philosophie, den Künsten und den Naturwissenschaften aufzuzeigen, ohne im einzelnen immei gewaltsame Parallelen zu ziehen. So versteht er es vor allem Entwicklungstendenzen und Stilphasen dei Malerei an literarischen Beispielen zu verdeutlichen (Dies ist auch der Vorzug des Werkes von Wachtmann, dessen Stärke in den prägnanten Künstlermonographien liegt.) Dabei verfällt er nicht in den Fehler, ein Phänomen durch das andere zu erklären, sondern er führt beide auf ihre gemeinsame Wurzel zurück.

Leonhards Buch ist eine sorgfältige, bedachte Untersuchung. Er geht induktiv vor, betrachtet die tatsächlichen Gegebenheiten; nie verliert er sich in philosophische Spekulationen. Er vertritt keine a-priori vorbereiteten Thesen, sondern er kommt zu Ergebnissen: und das ist immer mehr. Der Zeitdiagnose des satten, gesicherten 19. Jahrhunderts mit seinem Streben nach dem „schönen Schein“ und der Dekadenz des fin de siede folgt die des zerrissenen 20. Jahrhunderts, mit der Gefährdung und Isolierung des einzelnen und seiner fehlenden Sicherheit auf allen Lebensgebieten. Kunst ist aber nun, und das erkennt Leonhard sehr richtig, nicht Ausdruck der Zeit, sondern deren Ueberwindung. So erscheint insbesondere als Aufgabe des Expressionismus (dessen Würdigung Leonhard vorzüglich gelingt) die Gewinnung eines neuen Gemeinschaftsgefühls und die Ueberwindung der Angst. Die Wurzeln der absoluten Malerei (in ihrer Untersuchung liegt der zweite Schwerpunkt des Buches; Leonhard prägt für sie den sehr glücklichen Ausdruck: urbildende Malerei, im Gegensatz zur abbildenden) findet er u. a. in der ornamentalen Volkskunst; tatsächlich geht ja das Streben der absoluten Malerei dahin, wie die Natur zu schaffen und eine neue Annäherung von Kunst und Volk zu ermöglichen. Und nur ein Publikum, das lediglich gewöhnt ist, auf Bildern Gegenstände der äußeren Wirklichkeit wiedererkennen zu wollen, anstatt Formen und Farben zu sehen, das alle echte Naivität verloren hat und nicht mehr bereit ist, in der Anschauung eines Bildes etwas zu leisten, wird dieser einfachen und klaren Kunst nicht folgen können. Kunst ist weniger Zeiterscheinung als der bewußte Versuch, die Enge einer jeden Zeit zu überwinden: Nur so wird uns die notwendige Hinwendung zum Archaischen, zu einer Welt der großen, lauteren, ungebrochenen Zusammenhänge erklärlich und verständlich. Jeder, der aufgeschlossen ist und sich ein wenig Mühe nimmt, kann die Sprache der modernen Kunst verstehen; sie ist kein Religionsersatz, sondern nur ein Hinweis darauf, daß wir unser Leben auf neue Grundlagen zu stellen haben.

Eine Diskussion mit Leonhard hätten wir nur in einigen Einzelfragen zu führen; so scheint es uns, daß Kusenberg Picasso richtiger sieht als Leonhard; dann scheint es uns falsch, die aufgezeigte Entwicklung der neuen Malerei zur Fläche als eine Entwicklung in Richtung auf die Musik hin zu charakterisieren. Und schließlich hat Leonhard, sonst allen Simplifikationen abhold, im Schlußabschnitt doch (vor allem das Weltanschauliche!) zu sehr vereinfacht.

William Butler Yeats sagte einmal von Ezra Pound: „Wenn man ein Gedicht mit ihm bespricht, ist es, als brächte man einen Satz in Mundart. Alles wird klar und natürlich “ Dasselbe läßt sich von den beiden Büchern Kusenbergs und Leonhards sagen: Alles wird klar und natürlich.

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