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Mit Pop und Reihe provozieren

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Die 19. österreichische Jugendkulturwoche in Tirol war diesmal wie nie zuvor ein Treffen der Prominenz mit der schöpferischen Jugend Österreichs: Luigi Nono, Gottfried von Einem, Kazimierz Serocki, Hans Otte, von Radio Bremen, der bekannte Pariser Pianist Claude Helffer, ein Freund Pierre Bcrulez’ und Interpret seiner Werke, ferner Konrad Boehmer, ein junger Komponist und Musiktheoretiker, der eine aufsehenerregende Arbeit über „Die offene Form in der Neuen Musik" vorgelegt hat und zur Zeit im elektronischen Studio in Utrecht arbeitet, weiters Friedrich Cerha, der Leiter des Wiener Ensembles für Neue Musik, „die reihe", Erich Urbanner, Helmut Eder, Musikdirektor Karl Randolf und Professor Robert Wagner waren zu Gast. Die meisten der Herren beteiligten sich mit Referaten über die Situation des Komponierens heute und Diskussionsbeiträgen. Henzes Oper „Boulevard Solitude“ wurde zum festlichen Anlaß erstaufgeführt. Und wie die Dinge liegen, hat die Jugendkulturwoche die besten Aussichten, zu ihrem zwanzigsten Geburtstag, den Jubiläumsfeiern im kommenden Jahr eine wichtige Kulturenquete mit den Themen Musik, Literatur und bildende Kunst zu werden, ein künstlerisches Symposium, das absolut nach internationalen Maßstäben gemessen werden kann.

Die alljährlich mit finanzieller Großunterstützung des Kulturrings Tirol, des Bundesministeriums für Unterricht und etlicher anderer Institutionen im Mai oder Juni in Innsbruck abgehaltene Jugendkulturwoche hat eigentlich im deutschsprachigen Raum, ja in ganz Europa, keine Konkurrenz. Einmal jährlich werden Komponisten, vorwiegend arrivierte Avantgarde, und die jungen, in geistiger Aufbruchsstimmung schaffenden Kollegen, ferner Interpreten, Poeten — sofern sie nicht Vergißmeinnichtlyrik schreiben — und Dramatiker, junge Romanciers und, nicht zu vergessen, Maler eingeladen, am grünen Inn ©im bißchen Kunstklima mit Weltstadtfluidum hervorzuzaubem, in die Konzert- und Theatersäle eine Handvoll geistiger Provokation zu tragen, von der ¡man zehren kann.

Als Revanche lockt man mit Preisen die Artisten aus der geistigen Reserve. Der alternierend der Musik, Literatur und Malerei dedizierte Wettbewerb hat schon so manches unkonventionelle, mitunter sogar entscheidende Werk eines Jungen vorgestellt, das von da aus seinen Weg, etwa in die internationalen Konzertsäle, antreten konnte. Der diesjährige Wettbewerb war der Neuen Musik gewidmet. Drei Preise, getreu dem Motto „Nicht vom Lorbeer allein zehrt der Künstler“ finanzieller Natur, wurden an Boji- dar Dimov, Kurt Schwertsik (beide Jahrgang 1935) und Günter Kahowez (geboren 1940) vergeben. Diese Preise waren von der Vereinigung österreichischer Industrieller, von der Raiffeisen-Zentralkasse in Tirol und vom Metallwerk Plansee in Reutte gestiftet worden. In einem Festkonzert im Großen Stadtsaal in Innsbruck stellte man die Kompositionen unter Erich Urbanner vor, von dem auch ein Oboen-Concerto uraufgeführt wurde.

Die halbarrivierte Jugend, übrigens interessanterweise durchwegs Schüler Professor Karl Schiskes an der Wiener Musikakademie, hat sich durchgesetzt: Dimov, dessen „Incan- tationes II“ schon in Brüssel, Paris, Rom und Wien Aufsehen erregt hatten, legte auch mit „Incantationes I“ aus dem Jahre 1964 ein konzises, dichtgefügtes, Werk vor. Die

Schichtungen darin werden aus

Erinnerungen — etwa an byzantinische Musik —, aus Erlebnissen, Phänomenen der Außenwelt zu einem schillernden Gewebe ver flochten, und zwar derart, daß man stellenweise an parallele Erscheinungsformen in der Literatur von James Joyce denken kann. Wort-

kombimatorik, Spiele mit mystischen lateinischen Formeln und einem peruanischen Idiom werden im

Instrumentalpart kunstvoll ver arbeitet. Komplizierteste Strukturzusammenhänge öffnen sich dem

Partiturleser, ein subtiles Klangbild fasziniert.

Kurt Schwertsiks originelle fünfteilige „Liebesträume“, geistvoll und amüsant collagiert, wenden sich gegen die strenge Determination, das heißt die Vorausbestimmung und Berechnung in der seriellen Musik. Banales, brillant hochlizitiert, wird mit Pomp und Pathos im Satz montiert. Höhepunkt ist ein provokanter Trauermarsch, ein bis zum Skelett abgemagertes Musikmodell, in dem jede Rhythmik und Harmonik negiert, durch theatralische Aktion und Geräusche ersetzt wird. — In seiner dreiteiligen „Sommerpoesie—Winterpoesie“, aus dem Jahre 1965, einem aus Gruppen kombinierten Mobile mit bewußt unhomogenen Teilstrutoturen, benützt Günter Kahowez zur Verdeutlichung einer Vokalise szenische Gesten, um damit seinen „Vorstoß“ ins Musiktheater zu dokumentieren.

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