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Moderne englische Malerei

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Der Einfluß französischer Malerei auf alle Schulen europäischer Kunst ist unleugbar. England macht keine Ausnahme von dieser Regel, jedoch stellte der französische Impressionismus in England weniger eine Neuerung als die Entwicklung von Tendenzen dar, die der englischen Malerei schon innewohnten. Die Liebe zur Landschaft und die Bevorzugung ihrer natürlichsten und wenigst theatralischen Seiten war ein charakteristischer Zug der Norwich-Sditile und Con-stables, während der erste Versuch, Lichteffekte durch lebhafte Töne und Malen mit reinen prismatischen Farben zu erreichen, von Turner gemacht wurde. Als Monet und Pissarro im Jahre 1870 während des deutschfranzösischen Krieges nach England kamen, waren sie entzückt, in der englischen Malerei die Lösung einiger solcher Probleme zu finden, mit denen sie selbst beschäftigt waren.

So setzten die Führer des englischen Impressionismus, George Clausen, Wilson Steer und Henry Tonks, eine englische Tradition fort, angeregt durch die zeitgenössische französische Malerei. Steer war gründendes Mitglied des New English Art Club, des Sammelpunktes für einige der begabtesten englischen Künstler um die Jahrhundertwende; sein Schaffen ist außerordentlich vielfältig, es umfaßt Figurenkompositionen und Porträts wie auch Landschaften und verbindet Constables intimes Gefühl für Naturschönheit mit Turners harmonischen Entwürfen und leuditenden Farben.

Viele Jahre lang waren sowohl Steer als auch Tonks stark mit der Slade-Schule verbunden, und ihr Unterricht brachte eine glänzende Künstlergeneration hervor. John, Orpen, McEvoy, Gertler, Stanley, Spencer, Ethel Walker, Wyndham Lewis und Paul Nash sind einige der hervorragenden Künstler, die durch ihre Schule gingen. Steers großer Zeitgenosse, Walter Sickert, spielt eine wichtige Rolle in der englischen Malerei und erlangte einen weit-reidienden Einfluß durch seinen Unterricht an der Westminstor-Schule und durch die Gründung einer Künstlergesellschaft, die ursprünglich den Namen „Camden Town Group“ erhielt, später zur „London Group“ wurde und heute die lebendigste Gesellschaft englischer Maler ist, die unentwegt neues Blut aufnimmt, alle Arten abstrakter und surrealistischer Experimente begrüßt und gleichzeitig ein hohes Niveau bei ihren Ausstellungen einhält.

Eine andere formende Gestalt in der Geschichte der modernen englischen Malerei ist W h i s 11 e r, der sowohl in London als auch in Paris arbeitete und einen Einfluß auf die englische Malerei hatte, der mit dem von Manet und Degas in Frankreich zu vergleichen ist. Einerseits bestand er auf der Beachtung des Tones und andererseits führte er eine orientalische Art des Entwurfs ein. Eine ganze Malergeneration in den neunziger Jahren ahmte seinen Stil nadi. Wilson Steer, Ethel Walker, Walter Sickert, William Rothenstein, James Pryde, William Nicholson und Orpen stehen alle in Whistlers Schuld, obwohl sie schließlich alle selbst Originalität auf die verschiedenste Weise erreichten. Obwohl sie dje Welt primär mit d:n Augen des Malers sehen, schließen sie dramatisches und menschliches Interesse nicht aus und schenken den plastischen Verbindungen und der Wichtigkeit der Komposition beträchtliche Aufmerksamkeit.

Wenn man den Weg der englischen Malerei mit der kontinentalen Entwicklung vergleicht, fällt einem die Abwesenheit irgendwelcher heftiger, revolutionärer Bewegungen und die Vermeidung von übermäßiger Introspektion auf. Gerade vor dem ersten Weltkrieg gab es eine Gruppe von Neuerern, die sich „Vortizisten“ nannten; sie organisierten ein revolutionäres Kunstzentrum und veröffentlichten eine Zeitschrift unter dem Namen „Blast“, die aber nur kurze Lebensdauer hatte. Die meisten der Künstler wurden von der Regierung als Kriegsmaler beschäftigt, eine Gelegenheit, die bei einer Anzahl von hochbegabten Künstlern das Beste hervorgebracht zu haben scheint.

Stanley Spencer, John und Paul Nash, Henry Lamb, Wadsworth und William Roberts und viele andere trugen zu dem Kriegsmuseum 1914 — 1918 bei und ihre Werke zeigen ein endgültiges Abweichen von dem impressionistischen Ziel, visuelle Erfahrungen wiederzugeben. Sie sind alle phäntasievolle Maler, die das ausdrücken, was sie fühlen und erfassen, obwohl sie die Erscheinung zu diesem Zwecke nicht so verzerren wie ihre kontinentalen Zeitgenossen. Und hiezu muß wieder bemerkt werden, daß sie darin einer tief verwurzelten britischen Tradition folgen. Die zarte Beobachtung des Details war ein Zug englischer mittelalterlicher Kunst und erschien wieder in den Werken der präraffaelitischen Brüderschaft in der Mitte des 19. Jahrhunderts und wird in vollkommen neuer Art von Stanley Spencer angewandt, sowohl in seinen frühen religiösen Bildern, wie auch in seinen neueren satirischen Motiven.

Zwischen den zwei Kriegen wurde der Einfluß französischer Malerei immer weitreichender, besonders derjenige von Ce-zanne, Gauguin, Matisse, Rousseau und Picasso. Duncan Grant und Matthew Smith verstehen es meisterhaft, denselben zu absorbieren und gleichzeitig mit einem rein englischen Sinn für Farbe und Zeichnung zu kombinieren. Ein seltener Reiz durchzieht die Werke von Christopher Wood und Ivon Hitchens. Im Gegensatz zu der fröhlichen Vitalität dieser Künstler • finden wir eine mehr nüchterne Rückkehr zu einer Form des Impressionismus bei einer jüngeren Gruppe von Malern, die sich die Euston-Road-Schule nannten. Victor Pasmore ist der begabteste unter ihnen.

Englische Malerei, die immer in Österreich höchstem Interesse begegnete und aus deren klassischem Zeitalter das Wiene Kunsthistorische Museum eine kostbare Repräsentanz beherbergt, wird nun wieder einmal in Wien zu sehen sein. Die Ausstellung, die vom 5. bis 27. September im Kunsthistorischen Museum stattfindet, wird m 100 Werken moderne englische Malerei vorführen.

Bei der Ausstellung wird auch der Bildhauer Henry Moore mit einigen seiner Kriegszeichnungen vertreten sein; auch einige Proben aus dem Schaffen John Pipers, Werke von Graham Sutherland, Burra und Armstrong, die den surrealistischen Künstlern, die England bisher hervorgebracht hat, am nächsten kommen.

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