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Moderne französische Gobelins

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Man weiß seit längerem, daß in Frankreich ’ namhafte Künstler viel Mühe und Sorgfalt aufwenden, um das uralte, teit dem 18. Jahrhundert verkümmerte Kunsthandwerk der Tapisserieweberei wieder zu beleben und mit neuem Geist zu erfüllen. Die seit einigen Monaten angekündigte Ausstellung moderner französischer Gobelins im Kunstgewerbemuseum am Stubenring, die nun eröffnet wurde, durfte also großer Erwartungen gewiß sein. Und in der Tat, sie ist interessant, sie ist vielleicht sogar interessanter als alle die bedeutenden Expositionen, die der rührigen französischen Kunstmission in Österreich bis jetzt zu danken waren; sie schafft bedeutsame Einblicke in das französische, damit aber auch in das gesamte Kunstschaffen der Gegenwart.

Die ausgestellten Dinge sind aus einem so spezifisch französischem Geist geboren, daß man ihnen mit den Eigenschaftswörtern unserer Sprache gar nidit gerecht werden könnte; diese Teppiche sind eigentlich weder schön noch neuartig, weder bemerkensweit noch auch prachtvoll. Aber sie sind delikat, subtil, voll Raffinement und Esprit, sie sind luxuriös und auf rrordentlich interessant. Und doch — oder gerade deshalb — erfaßt den unbefangenen Betrachter, vor dem man diese unglaubliche Kunstfertigkeit ausgebreitet bat, unweigerlich das Gefühl von etwas zwar Bestaunenswertem, aber zu- . gleich Fremdartigem, vielleicht sogar Abseitigem. Woran liegt dies?

Zum Teil vielleicht daran, daß viele von den Gobelins eigentlich gewebte Ölbilder sind. Verblüffend, gewiß, wie bei den Kompositionen von Rouault, Picasso und B r a c q u e jeder einzelne Strich des Ölpinsels mit unbeschreiblicher Sorgfalt nach- geahmt, ja, selbst der Holzrahmen des Bildes noch genau imitiert wurde —, aber das so entstandene Produkt bleibt ein Zwitter- ding, in dem der Stil nicht mit dem Material übereinstimmt. Experimente bekannter Meister also, aber sehr bemerkenswerte Experimente. Man sollte diese Versuche, in neuen Techniken zu arbeiten, mögen sie auch vorderhand noch ein wenig spielerisch sein, nicht unterschätzen; sie beweisen sehr deutlidi, daß in gewissen Grenzgebieten der zeitgenössischen Malerei die Ölfarbe durch andere Mittel bereits verhältnismäßig leicht ersetzbar ist.

Aber das sind Ausnahmen; scheidet man sie und zwei weitere Wandbehänge, die in Kinderkunstmanier aus Flecken und Stoffresten zusammengenäht sind, aus, so ist da immer noch eine große Anzahl von Gobelins, die wirklich nur Gobelins und keine Bilder sein wollen. So vor allem die Schöpfungen Jean Luręats, den man uns als den eigentlichen großen Wiedererwecker der französischen Teppichkunst vorstellt. Er schafft wirklich ausgesprochene Gobelinentwürfe, reduziert die Farbskalen auf einige dem Material besonders entsprechende Töne zwischen Braun, Gelb und Grün und bevorzugt das flächenhafte Ornament, die dekorative Stilisierung. Seine Mitarbeiter und Schüler, so Picart le Doux, folgen ihm in allen Stücken. Die meisten Erzeugnisse dieser „Schule von Aubusson“ sind, man kann es nicht anders nennen, farbige und technische Meisterleistungen. Nur freilidi ließ man es sich damit nicht genug sein, und füllte die Teppiche mit „Inhalt“, einem anspruchsvollen, leicht surreal getönten Apparat von ymbolen, Allegorien und literarischen Anspiegelungen. Aber dem Bedeutungsvollen, das man da suchte, haftet etwas Spielerisches und Esoterisches an —, Kunsthandwerk ersten Ranges, das leider um jeden Preis Offenbarungen bieten will. Das Künsdiche überwuchert derart das Künstlerische und beeinträchtigt sogar noch die Kunstfertigkeit. Gerade hier erweist sich, daß die Wiederbelebung des Gobelins vor allem eine Leistung des Intellekts sein dürfte, aber keine organischen Wurzeln besitzt. Ob er sie noch schlägt? Man wird es jedenfalls von Herzen hoffen.

Für die Teppiche Luręats, wie für viele andere, gilt übrigens jenes natürliche Gesetz, dessen Wirkung in der ganzen neueren Kunst und auf weiten Strecken der alten nachweisbar ist: daß nämlich die Kunst formen, wenn sie ihren Glanz schon verloren haben, noch geraume Zeit als Dekorationsformen weiterleben. Die „moderne Sachlichkeit" wurde dem Dekorateur und dem Kunstgewerbler erst ein Begriff und zur Methode, als die Zeit der sogenannten sachlichen Malerei schon vorbei war. Wenn wir also jetzt am Stubenring kubistische, konstruktivistische, surrealistische und abstrakte Teppiche sehen können, werden wir wohl mit Recht annehmen dürfen, daß die entsprechenden „Ismen" in der Kunst selbst ihre Gültigkeit schon verloren haben.

Das mindert natürlich ein Urteil über diese Gobelins in keiner Weise. Es zeigt sich im Gegenteil, daß etwa die Verwendung der Abstraktion — die man rüdcblickend gerne als ein bloß experimentelles Stadium der modernen Malerei betrachten möchte — einem der Dekoration dienenden Wandbehang durchaus angemessen ist; man vergleiche hiezu den Gobelin von Lenor- m a n d. Allerdings, selbst hier erheben sich wiederum Bedenken: in vielen Fällen wirkt sich die Kälte, in anderen die Gespenster- haftigkeit, die ja manchen der „Ismen“ eigentümlich waren, störend aus. Ein Gobelin, der den Raum nicht erwärmt, sondern kälter macht, ist ein Widerspruch in sich selbst — und vor den Entwürfen von Fernand Leger oder Le Corbusier friert man.

In mehr als einer Beziehung also spiegelt sich in dieser Schau — mag der Gobelin auch an sich einen Spezialfall darstellen — die ganze Problematik, aber auch das zähe, unaufhörliche Ringen um neue Formen, neue Ausdrücke wider, welche die Geschichte der Kunst in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts auszeichnet: wie selteij noch eine Ausstellung, lockt diese zu Auseinandersetzungen.

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