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Moderne religise Kunst in Palstina

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Wenn von moderner religiöser Kunst in Palästina die Rede ist, wird unsere Übersicht praktisch umfassen, was zwischen den beiden Kriegen geschaffen wurde. Die zahlreichen Kirchenbauten, welche Katholiken und besonders Russisch-Orthodoxe 1914 begonnen hatten, sind ausnahmslos nicht wieder aufgenommen worden. Sie bilden den jüngsten Beitrag zu den Ruinen dieses ruinenreichen Landes. Unsere Übersicht wird sich auf Jerusalem beschränken können. Mit zwei Ausnahmen ist zwischen 1918 und 1939 im Lande nichts geschaffen worden, das der Erwähnung wert scheint.

Es muß vorausgeschickt werden, daß die östlichen Kirchen in der derart umgrenzten Periode in Palästina nichts hervorgebracht haben, das als moderne religiöse Kunst bezeichnet werden könnte. Durch den Zusammenbruch des russischen Kaisertums sind die orthodoxen und armenischen Kirchen von ihren alten Kraftzentren abgeschnitten. Den Kopten und Abessiniern gelingt bisweilen noch ein Bild, dessen naive Schlichtheit zu Herzen geht. Die Nestorianer und Jakobiten existieren nur mehr durch die Hilfe, welche die anglikanische Kirche diesen uralten Gemeinden zuteil werden läßt. Die Kunstauffassung der unierten orientalischen Kirchen ist über die süßliche Lieblichkeit der Sasso-ferrato und Genossen noch nicht hinausgekommen.

Die anglikanische Kirche hat sich bis nun in Architektur und Innenausstattung von ihrem traditionellen Tudorstil nicht losreißen können. Nur ein ausgezeichneter Kirchenbau der schottischen Presbyterianer verdient Erwähnung. Wenn derart von moderner christlicher Kunst in Palästina die Rede ist, kann es sich nur um die Architektur katholischer Kirchen und ihre Innenausstattung handeln. Was hier geschaffen wurde, teilt sich klar in zwei Gruppen: Die italienische Schule der Franziskaner und die, von Beuron beeinflußte, deutsche Schule der Benediktiner. Bei beiden Richtungen ist die vom Standpunkt des Landschaftsbildes bedauerliche Tatsache festzustellen, daß sie im großen und ganzen in der Wahl der Entwürfe für die Innenausstattung glücklicher waren als in denen für den Bau.

Architekt des Franziskanerordens in der Zeit zwischen den beiden Kriegen war Barluzzi, sein Maler della Torre. Barluzzis Hauptwerk ist die neue „Kirche aller Nationen“ im Garten von Gethsemane. Ihre Erbauung hat seinerzeit eine gewisse Opposition hervorgerufen, deren Wortführer, Sir Roland Storrs, der erste englische Gouverneur von Jerusalem war. Es muß auch als offene Frage bezeichnet werden, ob die neue Prunkkirche mit dem Verlust der Hälfte des wundervollen Gartens nicht teuer bezahlt war. Die ungeheueren Baukosten, zu denen (daher der Name der Kirche) alle Franziskanerprovinzen der Erde beizutragen hatten, mögen in der Notzeit der zwanziger Jahre auch gewisse Bedenken hervorgerufen haben.

Im Grundriß hielt sich Barluzzi völlig an die hier aufgefundenen Fundamente der byzantinischen Gethsemanekirche. . Im Aufriß schuf er völlig frei eine vielschiffige Hallenkirche, die mit zahlreichen Flachkuppeln gedeckt ist. Ihr schwerer Portikus, dessen Giebel mit stark farbigen Mosaiken geziert und von einem ägyptisierenden Cavettogesimse umrahmt ist, steht etwas hart in der Landschaft. Das riesige Bleidach mit den vielen kleinen Kuppeln stört den Blick vom ölberg ins Kidrontal. Daß der Inneneindruck der Kirche mit ihrem Wald von schlanken Marmorsäulen und den indirekt angestrahlten Kuppeln in köstlichstem Goldmosaik faszinierend und einzigartig ist, soll keineswegs bestritten werden.

Der zweite Großbau Barluzzis ist die Kirche auf dem Berge Tabor. Hier hielt er sich strenge an das Vorbild der berühmten syro-byzantinischen Basilika Mar Simon und es entstand ein glücklicher Bau, eine wahre Krone des heiligen Berges. Die Innenausstattung der Taborkirche muß bis nun als provisorisch betrachtet werden und steht nicht in Einklang zur Schönheit des Baues.

Barluzzis dritter wichtiger Bau ist die Doppelkirche „della Visitazione“ in Ain Karim, dem traditionellen Geburtsort Johannes des Täufers. Auch hier fand Barluzzi die Fundamente mittelalterlicher Bauten und errichtete auf ihnen eine glücklich gelöste Doppelkirche. 1939 war die Unterkirche vollendet. Deila Torre, von dem auch die Gethsemanemosaiken stammen, schmückte sie mit einem schönen Giebelmosaik und Fresken, von denen besonders das des Besuches der Heiligen Jungfrau in seiner Schlichtheit bezaubernd ist. Besonders gelungen ist hier auch Deila Torres Fischmosaik in Schwarz und Weiß in der Kreuzfahrerkrypta des Marienbrunnens. Vor dem Kriege legte er noch ein Mosaik in der Oberkirche,* welches ails das anmutigste moderne Mosaik Palästinas bezeichnet werden muß. Die Innenausstattung der Oberkirche, die nun fortgesetzt wird, leidet an der Häufung kostbaren Materials und vor allem darunter, daß Manetti, der an della Torres Stelle getreten ist, als süßlicher Fra-Angelico-Epigone mit seinem Vorgänger nicht verglichen werden kann.

Als einziger moderner Bau, der in Palästina weder von Franziskanern noch von Benediktinern geschaffen wurde, sei hier das neue Trappistenkloster in La-trun erwähnt. Hier schaffen die Schweigenden Mönche, im Sinne der Ordensregel vom Entwurf bis zum letzten Detail der Ausführung mit eigener Hand, ein wirkliches Kunstwerk. Im Stil der provenzali-schen Frühgotik entsteht langsam eine große Kartause, die sich harmonisch in den Hang des Hügels von Latrun fügt, der mit Palmen und Weingärten geschmückt über die Ebene von Sharon wacht.

Die künstlerische Tätigkeit der Benediktiner konzentriert sich auf das Kloster der Dormitio Mariae auf Jerusalems Zionshügel. Der Entwurf für Kloster und Kirche stammt von dem Kölner Dombaumeister Renard und hat den Fehler aller Wilhelminischen Bauten in Palästina. Er ist zu schwer für seine Umgebung. Das riesige graue Zeltdach der Kirche stört die feine Silhouette des Zion. Der, vom karolingischen Oktogon in Aachen beeinflußte Innenraum der Rundkirche ist aber viel harmonischer als ihre Fronten. Sein Schmuck, an dem die Benediktiner nun seit fast einem halben Jahrhundert arbeiten, macht die Dormitio zum wichtigsten Denkmal moderner kirchlicher Kunst in Palästina.

Der Hochaltar und vor allem das monumentale Apsismosaik sind das Werk eines Klosterkünstlers, des Famiiiaren Bruder Radbot, der sein Leben dem Schmuck der Dormitio gewidmet hat. Sein Stil ist freier Neobyzan-tinismus und durchaus individuell und eigen, obwohl Einflüsse der Romani Beurons unverkennbar sind. Neben seinem Hauptwerk, der Maria und den Propheten der Apsis, hat er in der Krypta eine chryselephantinische Statue der schlummernden Madonna geschaffen und zahlreiche andere Mosaiken in Kirche und Kloster ausgeführt. Da während des Krieges Mosaikmaterial nicht beschaffbar war, löste er die Nische eines Benedik-tusaltares in geschnittenem und vergoldetem Gips, einer altorientalischen Technik, mit ausgezeichnetem Erfolg. Gegenwärtig arbeitet Bruder Radbot, von dem auch das schöne Mobiliar der Kirche stammt, an dem Mosaik der Hauptkuppel. Der holländische Bruder steht in bestem Mannesalter, und so mag es ihm vergönnt sein, als Greis sein Lebenswerk vollendet, die Dormitio im Glänze ihres vollen Schmuckes zu sehen.

Die Seitenaltäre der Kirche wurden von deutschen Kongregationen gestiftet und die Altäre der Stadt Köln und der deutschen Malteserritter weisen Mosaiken von erlesener Schönheit auf. In der Krypta stehen die Altäre Österreichs und Ungarns. Der ungarische Altar mag westliche Augen durch allzu lebhafte Farbenpracht seiner Mosaiken und Emaillen überraschen. Der Entwurf des österreichischen Altars stammt von Alfred Crepaz und ist der einzige der Dormitio, in dem der eigentliche Altar und die mosaikgeschmückte Rundnische einheitlich gestaltet sind. Während bei allen anderen Altären der schwervergoldete Aufsatz in romanisieren-dem Beuronstil unorganisch vor dem Mosaik steht und sein Metallgold das Glasgold der Mosaiksteine schlägt, sind hier Altar und Hintergrund eins. Kruzifix und Statuen aus schlichtem, weißem Sandstein heben sich von tiefblauem Mosaik ab, aus dem die vertrauten Gestalten der österreichischen Heiligen grüßen. Es gibt wahrscheinlich keinen zweiten Altar in Jerusalem, an dem so wenig Gold glänzt, wie an dem der Österreicher.

Ich stimme mit zahlreichen Freunden aus aller Herren Ländern überein, die nicht des österreichischen Lokalpatriotismus verdächtigt werden können, wenn ich neben den Propheten des großen Mosaiks von Bruder Radbot den österreichischen Altar von Alfred Crepaz als das stärkste Werk moderner christlicher Kunst in Jerusalem bezeichne.

Selbst diese knappe Übersicht wäre nicht vollständig, wenn sie nicht die beiden anderen Religionen einbeziehen würde, denen Palästina heilig ist. Die modernen arabischen Architekten haben zwischen den beiden Kriegen nur ein paar Moscheen in oberflächlich mißverstandenem Taj-Mahal-Stil geschaffen. Als wahres Unglück ist es zu bezeichnen, daß allzu gründliche Restaurierung die El-Aksa-Moschee auf dem Tempelplatz in Jerusalem geradezu in eine moderne Moschee verwandelt hat. Es galt offenbar die Erinnerungen an die Marienkirche Justi-nians und den Palast der Tempelritter so weit als möglich auszumerzen. Das ging so weit, daß die herrlichen römischen Säulen entfernt und knapp vor dem Krieg durch neue, aus zuckrig-weißem Karraramarmor ersetzt wurden, daß man die Ostfront im Übergangsstil des Kreuzfahrerkönigreiches niederlegte und durch eine „neusachliche“ Wand mit großen Fabriksfenstern ersetzte. Da der Tempelplatz als mohammedanisches Heiligtum nicht dem palästinensischen, sondern dem ägyptischen Denkmalamt untersteht, konnte dieser bedauerliche Vandalis-mus nicht verhindert werden. Moderne mos-lemitische Kunst oder Kunsthandwerk gibt es in Palästina nicht.

Die modernen Synagogen Palästinas sind im großen und ganzen konventionell, wenn man von zwei noch unvollendeten Neubauten absieht, der Jeschurun-Synagoge in Jerusalem und der Synagoge in der Kolonie Gedera. Die ausgezeichneten Entwürfe zu beiden stammen von dem ungarischen Architekten Eugen Stolzer (der origineller Weise auch die beiden berüchtigten Versammlungsstätten der Nazis, die Krolloper und den Sportpalast in Berlin erbaut hat). Das jüdische Kunsthandwerk Palästinas, dessen Zentrum die New-Bezalel-Schule in Jerusalem ist, leistet dagegen Ausgezeichnetes im Schmucke der Synagogen. Die hier abgebildete Garnitur für eine Gesetzesrolle stammt von Volpert, einem früheren Lehrer der Berliner Kunstgewerbeschule, und darf nicht als Spitzenleistung, sondern als typisches Beispiel gewertet werden.

Durch das ganze Mittelalter hat Palästina die Kunst Europas in einem Grade beeinflußt, den die Kunstwissenschaft vielleicht noch nicht zur Gänze erfaßt hat. Es war gleichsam der Freihafen, in dem die künstlerischen Ideen des Westens und Ostens ausgetauscht werden konnten. Hier durfte der Pilger einen Blick über den Abgrund des Schismas wagen. Hier durfte er die Kirchen der anderen besuchen, Anregung von dem künstlerischen Ausdruck einer Ideenwelt empfangen, die ihm in der Heimat strenge verschlossen blieb.

Es wäre denkbar, daß ein modernes Palästina einmal diese Stellung zurückgewinnen könnte. Die Voraussetzungen dazu müßten freilich in einer Sphäre geschaffen werden, die von der künstlerischen und leider auch der religiösen noch durch Welten getrennt ist.

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