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Moderne sakrale Kunst in Frankreich

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Selten hat man bisher den Mut gehabt zur modernen Kunst im Gotteshaus. Architektur wird noch gewagt, mit gewissen Kompromissen; aber moderne Plastik oder Malerei in der Kirche?

Ist der Schritt vom modernen Christentum zur modernen Kunst zu groß oder zu klein, um getan zu werden? Ist die Ausstrahlung der religiösen Dynamik, die Bloßlegung sehr tiefer religiöser Werte, zu der die moderne Kunst in geradezu unbarmherziger Weise fähig ist, von einer solchen Macht, daß sie die Berührung mit dem modernen Menschen noch nicht erträgt, weder mit dem in einem modernen Existentialismus verharrenden noch mit jenem Lauen, für den die Kirche zur Konvention geworden ist, noch mit jenem, für den das Mysterium crucis immer von neuem, und am stärksten in unserer Zeit, eine Ungeheuerlichkeit ist? Diese Ungeheuerlichkeit bloßzulegen, gelingt der modernen Kunst wie vielleicht keiner vor ihr: sie ist das Aufgerisserisein, das Nackte schlechthin der modernen Seele: sie ist Gewissenserforschung und Spiegel, sie ist das Konfiteor und das Miserere, aber auch das Kredo und das Gloria unserer Zeit!

Das ungeheuerliche des „Crucifixus est“ mit den Mitteln der bildenden Kunst aufzuzeigen, ist seit Grünewald, Altdorfer und Cranach kaum mehr versucht worden. Auf unseren Altären steht seit damals der verklärte, nicht der leidende Heiland- Ihn, den Gottessohn in seiner ganzen menschlichen Erniedrigung, kann vielleicht erst wieder der Expressionismus in seiner ganzen Tragweite darstellen. Hat der moderne Mensch in seiner existentiellen Verlorenheit und Einsamkeit zu ihm nicht eine andere, neue Beziehung als zum verklärten Heiland des Barocks, des Klassizismus oder gar der Nazarener? Ist die Aufdeckung echter menschlicher und religiöser Werte, das Jungfräulich-Mütterliche nicht wesentlich eindringlicher und ehrlicher bei den Madonnen von Gauguin erfaßt als bei den zahlreichen konventionellen Marienbildern und -statuen? Zwingt der ruhige, nur auf große Proportion und edles Material zurückgeführte moderne Sakralraum nicht wesentlich zur Begegnung mit dem persönlichen Gott des Christen?

Diese großen verborgenen Möglidrkeiten der modernen Kunst aufzuzeigen und Laien und Klerus immer wieder vor Augen zu führen, hat sich eine Zeitschrift zur Aufgabe gesetzt, die, im Jahre 1935 von Dominikanern gegründet, seit Kriegsende in der Fdition du cerf in Paris unter der Leitung der PP. Couturier und Rcgamey wieder regelmäßig erscheint: „L'Art sacre“.

Die Zeitschrift ist in doppelter Weise von Interesse. Sie zeigt mit Deutlichkeit die Wandlung der religiösen Kunst in Europa und sie zeigt die große geistige Wandlung der französischen Nation.

Der zweite Weltkrieg ist in vielfacher Beziehung ein Wendepunkt in der Geschidite Frankreichs. Das entscheidendste im geistigen Leben der Nation ist vielleicht, daß ihre besten Geister eine neue Existentialebene auf dem Boden der Kirche gefunden haben — was einer Konversion oder, besser gesagt, Reversion großen Ausmaßes gleichkommt. Das laizistische Frankreich, die Nation, die die größten Spötter über die Kirche hervorgebracht hat, ist im Begriffe, da« führende Land der Christenheit zu werden. Es ist ein Katholizismus modernster Prägung: nicht nur im Abstrakt-Geistigen, sondern auch darin, daß weite Teile der Nation eine -Synthese von Katholizismus und Sozialismus in den Problemen des praktischen Lebens gefunden haben.

Es ist daher nur ein logischer historischer

Prozeß — dessen Systematik für die Logik des französischen Geistes symptomatisch ist —, daß diese neue Geistigkeit Frankreichs, jener Nation, deren Formansinn und deren Ausdruckskraft in den bildenden Künsten besonders differenziert ausgeprägt ist, in einer neuen religiösen Kunst ihren Niederschlag findet.

Diese moderne religiöse Kunst Frankreichs tritt plötzlich in die Geschichte ein, sozusagen ohne Entwicklung und ohne Vorläufer. Wegbereiter in geistiger Beziehung war allerdings die französische Literatur, in formaler Beziehung die große malerische Tradition Frankreichs. In der Literatur — und in der gleichzeitigen französischen Philosophie — bahnte sich eine geistige Haltung an, die bedeutendes erwarten lassen durfte. Aufmerksamen Beobachtern der französischen Kulturentwicklung wird es schon in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen nicht entgangen sein, daß sich dort eine katholische Renaissance anbahnt, die in irgendeiner Form vehement zum Durchbruch gelangen müsse. Mußte man nicht aufhorchen, wenn neben den ausgesprochen katholischen Schriftstellern Frankreichs eine große Zahl von zwar nicht christlichen, aber eminent religiös begabten Schriftstellern, nicht nur eigene, sondern auch Ausländer, die Nation eroberten? Der große „Heide“ Rainer Maria Rilke hat von allen modernen Dichtern die größte Gemeinde in Frankreich. Die religiöse Substanz seiner Dichtungen hat für viele den Boden umgepflügt, auf dem der Weg zum persönlichen Gott — mit dem Umweg über den „philosophischen“ Gott — sichtbar wurde. Unbewußt — durch seine religiöse Problematik — haben dieser und viele andere Verneiner des Christentums dort für zahlreiche den Weg zu Christus bereitet: das religiöse Erlebnis Pascals wiederholt sich in potenzierter moderner Form. | Die Vehemenz, mit der das moderne Frankreich auf Christus gestoßen ist, zeigt vielleicht am deutlichsten seine bildende Kunst und seine durchaus neue Einstellung zu seinen Kirchenbauten. Nicht zu seinen großartigen Kathedralen, die erhaben über dem Kreuzfeuer der künstlerischen Tagesmeinungen im Wandel der Jahrhunderte stehen. Aber zu den zahlreichen kleinen und größeren Stadt- und Landkirchen, deren oft herrliche Räume mit sentimentalem religiösem Kitsch schlimmster Prägung übersät und dadurch bis zur architektonischen Wirkungslosigkeit verstümmelt wurden.

In Frankreich gibt es noch Kirchenräume von großer architektonischer Qualität, deren Hochaltäre aber eher der Kredenz einer gutbürgerlichen Speisezimmergarnitur übelster Möbelkonfektäon von Anno dazumal ähneln als dem Tisch des Herrn. Nicht selten ist dieser Tisch „geschmückt“ mit Heiligenfiguren aus lackiertem Gips, die frommer Unverstand — durch eine geschäftstüchtige Devotionalienindustrie reichlich ausgenützt — dort aufstellte. Solche Altäre gehören entfernt — auch wenn sie von einst bekannten Architekten, wie Viollet le Duc, stammen. Es ist höchste Zeit — so fordert die Zeitschrift —, daß jene sentimentalen und süßlichen Darstellungen fles Heilands, der Muttergotces und vieler Heiliger, die in Form schlechter Kopien auf die Nazarener zurückgehen oder — wie bei den in vielen Kirchen anzutreffenden Herz-Jesu-Statuen auf Thorwaldsens Christus in der Erlöserkirche in Kopenhagen — aus den Kirchen eliminiert werden. Auf eine Kunst, die ein Endprodukt in de^ Entwicklung darstellt, kann keine neue aufgebaut werden. Das religiöse Gefühl hat sich seit jener Zeit, als diese Altäre errichtet und diese Figuren aufgestellt wurden, ungemein gewandelt — die Gestalt zahlreicher Kirchenräume isq in vielen Fällen noch immer dieselbe. Unsere Zeit hat wesentlich mehr Ähnlichkeit mit dem Realismus der Gotik als mit der Empfindungswelt der Nazarener und deren Epigonen!

Unsere Zeit verlangt den Tisch des Herrn, auf dem das Opfer dargebracht wird, in seiner ganzen erhabenen Größe und Schlichtheit. Auf diesen Tisch gehört wieder das Kreuz, nicht klein und unscheinbar, sondern groß und eindringlich.

In Frankreich hat man — das beweist die Zeitschrift „L'Art sacre“ in eindringlicher Weise — den Mut zur modernen Kunst in der Kirche.

Mit sicherem Instinkt und eingeborener Beziehung zur bildenden Kunst haben Priester und kunstbeflissene Laien in Frankreich die ungeheuren Kräfte erkannt, die in der modernen Malerei und Plastik und in der modernen Architektur begründet liegen, das „Religiöse“ auszudrücken.

Bei der Lektüre der Hefte der „Art sacr£“ fällt vor allem auf, mit welchem Geschick und mit welcher Entschiedenheit die französischen Kirchen von allem unsakralen Beiwerk gereinigt werden. Angefangen von den „Fleurs artificielles“, die teilweise noch immer auf französischen Altären anzutreffen sind, wird vielfach alles Störende entfernt und die guten alten Kunstgegenstände, die meist in großer Fülle, nur verschüttet oder schlecht placiert vorhanden sind, neu aufgestellt. Zu welch großartiger Wirkung ein

Bau durch eine solche Neuordnung gelangen kann, zeigt auch bei uns die Wiederherstellung der Stiftskirche von St. Paul in Kärnten, die von Hofrat Professor Holey in vorbildlicher Weise in den Jahren vor 1938 ausgeführt wurde. In vielen Fällen entschloß man sich, in gotischen Kirchenräumen, deren oft gute barocke Altäre im Zuge der Re-gotisierung im vorigen Jahrhundert abgetragen wurden, um durch sehr verwässerte neugotische ersetzt zu werden, diese zu entfernen und eine einfache Mensa zu errichten. Die architektonische Wirkung der Räume wird — wie auch durch Beispiele und Gegenbeispiele in „L'Art sacre“ gezeigt wird — außerordentlich gesteigert.

Großes Interesse bringt die Zeitschrift dem modernen Kirchenbau entgegen, und Beispiele moderner Kirchen aus ganz Europa, insbesondere der Schweiz, zeigen, daß es bereits eine moderne Kirchenbaukunst gibt, die wesentlich weiter ist als jene modern sein wollenden Sakralbauten, die eher einem Industriebau ähnlich sehen und im Volksmund nicht unzutreffend mit „Vaterunsergaragen“ bezeichnet werden.

Das eigentliche Anliegen der „Art sacre“ aber scheint die moderne religiöse Malerei und Plastik zu sein sowie das Kunstgewerbe, soweit es für die sakrale Kunst durch kirch-liehe Geräte und Gewänder von Bedeutung ist. Ein breiter Raum ist der „Education du clerge“ gewidmet, der künstlerischen Erziehung der Priester auf dem Lande und des Priesternachwuchses.

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