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Monolog und Plakat in der Musik

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Knapp vor dem Ende der Musikspielzeit gab es noch einige interessante Konzerte mit neuerer Musik, die nicht nur der Musikkritiker, sondern auch der Chronist mit Befriedigung vermerkt. Im Großen Musikvereinssaal leitete Heinrich H o 11 r e i s e r ein außerordentliches Konzert der Wiener Sympho- n i k e r, auf dessen Programm Werke von Schönberg, Berg und Honegger standen. Der „Tanz um das goldene Kalb" ist die dritte und markanteste Szene des 2. Aktes aus der von Arnold Schönberg bereits 1925 begonnenen, unvollendet hinterlassenen Oper „Moses und Aron“, die durch die konzertante Aufführung in Hamburg (1954) und die szenische in Zürich (1957) bekannt geworden ist. Schönberg als Textautor hat die in der Bibel knapp berichtete Situation — während Moses auf dem Berg Sinai die Gesetzestafeln empfängt, ist das Volk abgefallen und tanzt um ein Götzenbild — breit ausgeführt und diesen Tanz selbst zu einer „Orgie der Trunkenheit, des Wahnsinns und der entfesselten Sexualität“ gestaltet. Man muß zugeben, daß ihm das gut gelungen ist, obgleich die Häufung von allerhand Greueln und Exzessen ein wenig jugendlich und jugendstilhaft wirkt. Die Musik scheut vor grobrealistischen Effekten ebensowenig zurück wie vor Massierungen, die beim ersten Hören kaum aufzufassen sind, und sie ist so drastisch-bildlich, daß sie der illustrierenden Szene kaum mehr bedarf.

Das Konzert wurde mit zwei symphonischen Stücken und dem Lied der Lulu aus Alban Bergs fünfteiliger „L u 1 u - S u i t e“ eröffnet, und „wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein“! Obwohl man diese beiden Werke kaum miteinander vergleichen kann, ist für unser Gefühl hier die größere — wenn auch verhaltenere — Intensität, die dichtere Atmosphäre und die persönlichere Aussage. Neben den weichen, dunkelglühenden Klängen dieser monologischen Musik wirken die „raffiniertesten“ Farben der Impressionisten wie bunte Kitschpostkarten und die Alfresco-Effekte sowohl der Schönbergschen Tanzszene als auch der nachfolgende „Totentanz“ von Arthur Honegger ein wenig plakathaft. — „La Danse des morts“, deren Text von Claudel anläßlich eines Besuches des Basler Museums konzipiert wurde und in Wien (konzertant) beim Internationalen Musikfest, bei den Salzburger Festspielen auch szenisch aufgeführt worden ist, gelang Heinrich Holl- reiser weitaus am besten, obwohl die intensivste Arbeit und die meisten' Proben in Schönbergs Opernfragment investiert worden waren. — Das Publikum applaudierte minutenlang allen Ausführenden, an der Spitze dem Dirigenten und Mimi C o e r t s e, die die Arie der Lulu sauber, distanziert und gar nicht opernmäßig-konventionell sang. Ein Sonderlob gebührt dem Singverein und den Symphonikern, die an der Schwierigkeit und Größe der ihnen gestellten Aufgaben gewachsen sind, desgleichen den Solisten Sonja Draksler, Charlebois, Terkal und Wiener, insbesondere aber dem intensiven, stimmkräftigen und wohldisziplinierten Sprecher Klaus Kinski.

Ein recht ungewöhnliches Programm hatte auch Eugene O r m a n d y für das von ihm geleitete 7. Abonnementkonzert der Philharmoniker zusammengestellt. Zwar wurde mit der sehr simplen und knalligen Ouvertüre von Kabalewsk i (Jahrgang 1904),' der 5. Symphonie von Schostakowitsch (Jahrgang 1906) und dem „Concerto“ von Bart 6 k keineswegs avantgardistische Kunst geboten, denn jeder der drei Komponisten zielt bewußt auf Breitenwirkung. Kabalewski durch wirkungsvolle Orchestrierung und volkstümliche Melodik; Schostakowitsch gab mit seiner „Fünften“ die „praktische Antwort eines Sowjetkünstlers auf gerechte Kritik" und erzielt Allgemeinverständlichkeit vor allem durch plakathafte Anlage und monumentale Formen; und auch Bartok hat — wenn man sein 1944 im Auftrag der Kusse' witzky-Musikstiftung geschriebenes „Concerto per Orchestra“ mit früheren Werken vergleichen — Konzessionen gemacht, vor allem an die Programmusik. Dem robusten und gewandten Dirigenten Eugen Or- mandy, der seit vielen Jahren in Amerika tätig ist, liegt diese Art Musik besser als dem Orchester der Philharmoniker, die alle drei Stücke trotzdem hervorragend gespielt haben.

Neue Musik gab es auch im letzten Konzert des Wiener Kammerorchesters, das von Mil- tiades C a r i d i s geleitet wurde, der zwischen Händels „Wassermusik“ und Tschaikowskys „Serenade für Streichorchester“ das neue Bratschenkonzert op. 48 von Boris Blacher zur Erstaufführung brachte (Solist: Paul Angerer). Das vierteilige Fünfzehnminutenwerk ist in der Sprödigkeit seiner Tonsprache und der Sparsamkeit der aufgewendeten Mittel ein „echter Blacher“, überrascht aber in zweien seiner Sätze durch die eigensinnige, fast verbohrte Umkreisung eines bestimmten Tones und durch die meditative Ruhe und den intimen Charakter des Adagios mit Choarl-Intermezzo. — Die wie aus dem Traum gesprochenen monologischen Verse Trakls hat Hans Erich Apostel für eine Altstimme und sieben tiefe Streichinstrumente kongenial vertont: mit jener Wärme und Intensität des Ausdrucks, die man unter den Zeitgenossen wohl nur noch bei Alban Berg findet (Solistin: Margareta Sjöstedt).

Die junge Gruppe „die reihe“ widmete ein Kammerkonzert drei italienischen Komponisten der Avantgarde. Luigi N o n o (Polifonica-Monodia- Ritmica) ist zweifellos die bedeutendste Persönlichkeit unter ihnen, während Luciano Berio (Streichquartett und Variationen für Klavier) und Bruno M a d e r n a (Streichquartett) eine weniger deutliche eigene Handschrift zeigen. Alle diese Musik bedarf zu näherem Verstehen eines Einführungskurses (wie er im Programmheft versucht wird) sowie einer Partiturlesung, ist also zum nicht geringen Teil „optisch“ und dadurch dem Plakathaften verwandt, wenn auch zum Beispiel bei Nono „die Erscheinungsform der Substanzen in subjektiver Ordnung“ erfolgt. (Programmheft.) Ausgangspunkt aller drei Komponisten ist Anton Webern, dessen starke Konzentration nach innen zum geistigen Erlebnis (zur Monologie somit) hier keineswegs erreicht wird. Vielmehr bleibt es beim formalen Experiment, das an sich Format und Geist zeigt, aber doch nirgends überzeugend zur Gültigkeit durchbricht. Die Allgemeingültigkeit, wie sie die Kirche von ihrer Musik verlangt, würde auch der jungen weltlichen Musik ein wünschenswertes Korrektiv sein. Denn- sosehr sich in .den seriellen und punktuellen Versuchen der Jungen eine gewisse Gleichartigkeit der klanglichen Komplexe ergibt, bleibt sie doch zum großen Teil von der Allgemeingültigkeit ebensoweit entfernt als von der Allgemeinverständlichkeit.

Im Rahmen „50 Jahre Staatliche Musikakademie“ gab es einen Abend mit Orgel- und Chorwerken von Johann Nepomuk David. Die vier sehr anspruchsvollen Orgelkompositionen (Partiten für Orgel „Lobt Gott, ihr frommen Christen“ und „Unüberwindlich starker Held“, Toccata und Choral über „In Dich hab’ ich gehofft, o Herr“ sowie „Introitus, Choral und Fuge über ein Thema von Anton Bruckner für Orgel und neun Bläser) brachte der junge Otto Bruckner zu bemerkenswert straffer, hervorragend gegliederter Wiedergabe und bewies sein über das technische. Können weit hinausreichendes musikalisches Gestaltungsvermögen. Zwischen den Orgelwerken sang der Akademie-Kammerchor unter seinem neuen Leiter Thomas Christian David, dem Sohne des Komponisten„ die „Deutsche Messe“ und die Choralmotette „Ich wollt’, daß ich daheime wär“. An der schlechthin vollendeten Wiedergabe hätte der Komponist seine mehrfache Freude gehabt, nicht Zuletzt an der -PräzisiOti Lfttil taibetcrnten Führungssicherheit'des Dirigentfen; alsKn der willigen und lückenlosen Einsatzfreude.' des Chores. Hier- erklang die Stimme des großen Monologisten Johann Nepomuk David, aber nicht in seiner Isolation, sondern immer im Aufgreifen der Gemeinschaft, in der persönlichen Gestaltung des Allgemeingültigen.

Wolfgang Schneiderhan und Carl S e e- m q n n brachten im Musikverein Beethovens Violin Sonaten in aller ihrer monologischen Ausdruckskraft, die nicht immer den Vorrang der

Geige bedeutet, wenn auch das Aussingen just ihre Sache ist. Das Zusammenspiel der beiden Künstler ist bis zu einem kaum mehr überbietbaren Grad gediehen, der nur aus dem demütigen Dienst an der Größe Beethovens erreicht werden kann und immer wieder Erlebnis subtilster Art und gleichzeitig einmaliger Schönheit bedeutet.

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