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Umfassende Edvard Munch-Werkschau zur Eröffnungsausstellung der Albertina.

Klaus Albrecht Schröder hat in den letzten Jahren viel versprochen. Zuviel, meinten seine Kritiker. Wurde dem neuen Direktor des neuen, alten Hauses vorgeworfen, er begebe sich mit dem Programm seiner beiden Wechsel-Ausstellungs hallen in scharfe Konkurrenz zu anderen heimischen Museen, so konterte dieser bekannt selbstbewusst: Wien werde nicht von zu vielen, sondern von zu vielen mittelmäßigen Ausstellungen überrollt. Mit der Hauptattraktion der Wiedereröffnung, einer umfassenden Werkschau des Norwegers Edvard Munch, hat der derzeit wohl erfolgreichste "Kunstmanager" des Landes seine Kritiker zum Schweigen gebracht. Zumindest, was die Qualität der Ausstellungen betrifft. Denn diese Munch-Schau ist tatsächlich umwerfend. Aus vielerlei Gründen. Zuallererst: Sie ist hochkarätig mit lauter Hauptwerken bestückt. 60 Gemälde und 140 Papierarbeiten, darunter nur zwanzig aus der Albertina selbst, wurden unter dem Blickwinkel "Thema und Variation" aus aller Welt zusammengekarrt. In erster Linie kamen die Bilder und Grafiken aus dem Osloer Munch-Museum und der dortigen Nationalgalerie angereist. Aber auch Museen wie das New Yorker MOMA und das Pariser Musée D'Orsay haben Leihgaben zur Verfügung gestellt. Allseits bekannte Munch-Klassiker wie "Der Schrei", "Madonna", "Melancholie", "Pubertät", "Mädchen auf dem Pier" oder "Angst" werden jedoch nicht spektakulär und planlos als Publikumshits präsentiert. Vielmehr liegt der Schau ein ausgesprochen intelligentes Konzept zugrunde, das sich dem Besucher auch ohne Kataloglektüre und langatmige Führungen spontan und unmittelbar erschließt. Dies mag wohl zum Großteil der einfühlsamen Kuratorin Antonia Hoerschelmann zuzuschreiben sein.

Sublimierung des Lebens

Der Gang durch die neu geschaffenen, sehr "privaten" zehn Räume im "Piano Nobile" der Albertina bringt einem auf äußerst berührende Weise die Arbeits- und Denkweisen des Menschen und Künstlers Edvard Munch nahe. Man erfasst schnell, dass es dem norwegischen Symbolisten und "Begründer" des Expressionismus um existentielle Grunderfahrungen in seiner Kunst ging. Angst, Einsamkeit, Melancholie, ungleiche Liebe, Furcht vor der ihm übermächtig erscheinenden Frau und vor allem Tod waren die Themen, die den hypersensiblen und zeitlebens dem Alkoholismus verfallenen Künstler beschäftigten. "Ich male nicht, was ich sehe, sondern was ich sah", formulierte Edvard Munch sein künstlerisches Anliegen, Erinnerungsbilder zu schaffen. Zu einem großen "Lebensfries" - einer Art malerische Symphonie, bestehend aus einzelnen Sätzen - fasste der Maler seine Hauptwerke zusammen. Dabei ging es dem 1863 geborenen Künstler um den Versuch, die traumatischen Erlebnisse seiner Kindheit aufzuarbeiten. Diese war vor allem von Krankheit und Tod geprägt. Auch später sollte Munch persönlich wenig Glück erleben - tiefergehende Beziehungen aufzubauen blieb ihm stets verwehrt. Kunst fungierte als Sublimierung des Lebens: "Ich habe keine anderen Kinder als meine Bilder".

Als Maler erlangte der junge Edvard Munch den eigentlichen Durchbruch auch mit einem Bild des Leides. Es war die erste Fassung von "Das kranke Kind", einer malerischen Reflexion über die Krankheit und den Tod seiner Lieblingsschwester Sophia, die Munch schlagartig bekannt machte. Als er das Bild 1886 erstmals unter dem Titel "Studie" in Norwegen ausstellte, löste es aufgrund des skizzenhaften und fragmenthaften Charakter größte Empörung aus. Es ist aber gerade der Moment des Flüchtigen, der dieses und folgende Werke für junge Künstler vorbildhaft machen wird. Das Motiv des "Kranken Kindes" mit dem unverkennbaren Mädchenporträt im Profil wird Edvard Munch in den folgenden Jahrzehnten so schnell nicht loslassen. Immer wieder griff der Künstler auf ein und dasselbe Motiv zurück. Stets suchte er nach neuen formalen Lösungen, aber auch nach technischen Möglichkeiten, um ein Thema zu bearbeiten.

Das Moment der Wiederholung und das Arbeiten in Serien hat Künstler bis ins späte 20. Jahrhundert hinein an Munch fasziniert. So schuf der Pop-Artist Andy Warhol dem norwegischen Vor-Expressionisten ein Denkmal, indem er dessen Lithografien "Madonna" und "Selbstporträt mit einem Knochen" nebeneinander montierte und zu einem Siebdruck verarbeitete.

Die Ausstellung macht eines unübersehbar: Munch war wesentlich moderner, als allgemein bekannt. So experimentierte er mit unterschiedlichsten Techniken. In dieser Hinsicht ist er vielleicht sogar noch innovativer als mit seinen psychoanalytischen Themen und Sujets. Und er hob die Hierarchie zwischen den Medien auf. Dies sieht man etwa daran, dass nicht immer ein Ölbild den Druckgrafiken voranging. Oft formulierte Edvard Munch ein Thema zunächst als Druckversion. Erst später oder gar nicht führte er es als großformatiges Gemälde aus. In den letzten Lebensjahren integrierte Munch sogar die Fotografie in sein Experimentierfeld. Eindrucksvoll ging er auf das Material und die unterschiedlichen Papierstrukturen ein. So wurde der Bildträger stets bei der Gesamtkomposition berücksichtigt.

All dies wird einem erst dadurch bewusst, dass die grafischen und malerischen Varianten zu ein und demselben Thema in der Albertina im räumlichen Nebeneinander hängen. Dieser Ansatz erweist sich als zeitgemäß und überzeugend. Kunst wird nicht in die Schubladen "Grafik" oder "Malerei" gezwängt, sondern als vernetztes mediales System dargestellt. Insofern erscheint auch Schröders mitunter stark kritisiertes Konzept - Grafik stets im Umfeld der anderen Medien zu zeigen - überzeugend. Erst wenn man Munchs "Das kranke Kind" in unterschiedlichen künstlerischen Umsetzungen - als Radierung, Studie, Farblithografie und Ölbild - parallel betrachtet, erkennt man das Ringen eines Künstlers um die beste formale Lösung. Man sieht, wie sich bei Munch im Laufe der Jahre die Farbe von der Naturtreue entfernte, wie er versuchte, ungewohnte Bildausschnitte zu finden und gewisse Bildhintergründe bei ganz verschiedenen Werken immer wieder versatzstückartig einzusetzen. Auf einen Blick erschließt sich Munchs "Markenzeichen": wellenartige Linien, eine körperlose, maskenhafte Figur im Vordergrund und eine radikal nach hinten fluchtende Perspektive.

Jahrhundert-Schrei

Als Inbegriff dieser Bilderfindungen gilt "Der Schrei", der zur Metapher des Schreckens und der Gräueltaten des 20. Jahrhundert avancierte. Wie kaum ein anderes Beispiel der Kunstgeschichte verdeutlicht "Der Schrei", wie prägend Kunst für den Alltag und das kollektive Bildgedächtnis einer Gesellschaft sein kann. So fungiert Munchs Gesicht mit dem aufgerissen Mund heute in stilisierter Form etwa als Maske bei Großdemonstrationen, auch als "Horror-Face" in Hollywoodfilmen.

Der spannende Ausstellungsrundgang schließt mit einem Spätwerk, das nochmals einen ganz anderen Munch hervorkehrt: "Selbstporträt zwischen Uhr und Bett" nennt sich ein hochformatiges, farbenfrohes Bild aus dem Jahr 1940. Zu sehen ist ein alter Mann, der passiv wartend vor einer geöffneten Tür in seiner Wohnung steht und dem Betrachter frontal entgegenblickt. Malerisch zeigt das Bild gewisse Einflüsse von Matisse. Wüsste man nicht, dass es sich dabei um einen Munch handelt, könnte man es aber auch durchaus der deutschen Malerei der sechziger und siebziger Jahren zuordnen, erinnernd etwa an Bilder des frühen Georg Baselitz. Gewisse Künstler bleiben eben immer gegenwärtig.

Edvard Munch. Thema und Variation

Bis 22. Juni in der Albertina

Albertinaplatz 3, 1010 Wien

täglich 10-19 Uhr, Mittwoch bis 21 Uhr

Information: www.albertina.at

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