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Müssen Museen museal sein?

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Die Einstellung des Gebildeten zu den Museen hat sich während der letzten Jahrzehnte erheblich geändert. Um die Jahrhundertwende empfand man noch ganz allgemein die großen wissenschaftlichen Sammlungen als Schatzkammern des Wissens. Sie erfreuten sich eines großen öffentlichen Ansehens. Das ist heute nur noch zum Teil der Fall. Am besten ist es um die Kunstsammlungen bestellt. Sie kommen den wachsenden ästhetischen Bedürfnissen des modernen Menschen entgegen. Für historische und naturwissenschaftliche Sammlungen hat das Interesse indessen nachgelassen. Einmal hat sich immer mehr in unserem Dasein der Primat des „Aktuellen“ herausgebildet, der den Sinn für vergangene Objekte merklich minderte. Zum anderen ist der heutige Mensch ein Freiluftmensch geworden. Seine Freizeit verbringt er mit Sport und Touristik lieber in der Natur selbst als .vor. präparierten exotischen Lebewesen, die er ohnehin oft auf der Filmleinwand lebendiger erleben kann als in einer naturwissenschaftlichen Sammlung. Man kann diesen Interessenschwund an den Museen vielleicht nicht quantitativ feststellen. da zu den alten bildungsbedürftigen Schichten heute neue hinzugetreten sind. Doch für den qualitativen Interessenschwund mag der abwertende Sinn kennzeichnend sein, den wir heute oft dem Wörtchen „museal" unterlegen. Wir meinen damit etwas Verstaubtes, Langweiliges — etwas, das im Grunde nur asketische Spezialgelehrte interessiert.

Nun hat sich aber während der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts auch der Akzent der Museumsarbeit selbst verschoben. Lag er damals noch auf der Sammlertätigkeit, so liegt er heute auf der Auswertung. Die Auswertung für die Wissenschaft hat ihren Höhepunkt bereits erreicht. Nicht aber die Auswertung für die Oeffentlichkeit. Und hier gilt es, die Möglichkeiten zu erweitern, um wieder das Interesse eines breiteren Publikums zu gewinnen. Das Leitmotiv für die öffentliche Museumsarbeit dürfte „Auslese“ heißen. Bisher präsentierten sich die Museen durchweg in der Gestalt, in der sie vor Jahrzehnten einmal angelegt worden sind. Nun verfügen die Museen aber außer den zur Schau gestellten Stücken meistens über ungeheure Magazinbestände, die dem Publikum nie zugänglich werden. Um nun das Moment der „Aktualität“, das unser Dasein heute beherrscht, auch ins Museenwesen zu tragen, könnten die Sammlungen nach dem Vorbild der Kunstgalerien in erhöhtem Maße einen Teil ihrer Räume für Sonderschauen frei machen. Die Einladung eines Naturmuseums zu einer „Schmetterlingsschau vom 1. bis 31. Oktober ..." oder die eines historischen Museums zu einer aus Anlaß einer Olympiade veranstalteten Ausstellung „Sport in der Geschichte" lockte viele Besucher mehr als die bloße Existenz des Museums. Bei solchen Gelegenheiten kämen wechselweise auch einmal die eigenen Magazinbestände, aber auch im Austausch die interessanten Stücke anderer Museen zum Vorschein. Ebenso gut sind auch qualitative Auswahlausstellungen denkbar. Während bei den ständigen Auslagen der Museen das penible Nebeneinander von Stücken mit großem Seltenheitswert und Stücken, die nur der dokumentarischen Vollzähligkeit wegen aufgestellt sind, manche Besucher ermüdet und langweilt, hätten Auswahlschauen den Vorzug, das nur „Auch-Interessante“ zugunsten des wirklich Bedeutenden weglassen zu können.

Allzu ängstlich wird auch noch die Möglichkeit der Leihgaben praktiziert. Gewiß ist die Furcht vor unsachgemäßer Behandlung an fremden Orten gerechtfertigt. Interesse und auch achtungsvolle Behandlung wäre aber dann wohl gesichert, wenn man die Leihgaben nicht an Schulen und öffentliche Gebäude einzeln und „auf Abruf" weitergibt, sondern zu befristeten Wanderausstellungen zusammenstellt. Gerade in den Schulen oder in Kleinstädten erfüllten die ungenutzten Magazinbestände der Museen, vermischt mit einzelnen guten Stücken der Sammlungen selbst, den doppelten Zweck der lebendigen Anschauung von den Dingen und — man unterschätze nicht diesen Aspekt — der mittelbaren Werbung für das betreffende Museum. Mit einem Wort, man wird die Museen um so weniger „museal“ finden, je beweglicher und aktueller sie in ihrer Präsentation werden.

Die Auswertung der Sammlungen erschöpft sich aber nicht in der Auslese der Bestände nach thematischen oder qualitativen Gesichtspunkten. Immer größere Bedeutung kommt auch der Sinnfälligkeit der Aufstellung und der Darbietung zu. Nicht zu unterschätzen ist zunächst etwas scheinbar ganz Aeußerliches: der dekorative Aufbau einer Sammlung. Der moderne Mensch ist durch den merkantilen Bereich der Schaufenster und Geschäftsvitrinen verwöhnt, anspruchsvoller geworden. Die Museumsleute, die ihre Stücke vor allem unter dem Gesichtspunkt des exemplarischen Einzelwertes betrachten, verkennen noch häufig dieses elementare Bedürfnis ihres Publikums. Noch wichtiger aber ist die unmittelbare Bildungs- und Aufklärungsarbeit. Während sich unsere Großeltern noch allein am Seltenheitswert eines ausgestopften Kolibris oder eines vorgeschichtlichen Handbeils „berauschen“ konnten, möchte der heutige Besucher die lebendige Vorstellung von Zusammenhängen bekommen. Er will den Kolibri in seiner (womöglich naturgetreu rekonstruierten) exotischen Fauna und Flora, das urzeitliche Werkzeug dagegen in seiner Arbeitsweise veranschaulicht sehen und begreifen. Der exemplarische Originalwert tritt bis zu einem gewissen Grade hinter der Anschaulichkeit zurück. Interessant ist hier der Hinweis auf die Museumsarbeit in den USA, Dort steht der „educational effect“ absolut im Vordergrund. Es kommt dem Ameri-

karier nicht so sehr auf historische Echtheit als vielmehr auf die für die Belehrung erforderliche Vollzähligkeit und Verständlichkeit der Objekte an.

Eines jedenfalls darf man gut und gern von den Amerikanern übernehmen. Jedes Museum hat dort einen Referenten für „public relations“. Unsere Museumsleute stehen im allgemeinen noch zu sehr mit dem Gesicht zum geliebten Sammlungsgegenstand. Sie wirken noch vornehmlich unter der Devise „La Science pour la sciencel". Vielleicht wird ihre Arbeit aber neue Auftriebe erhalten, wenn sie künftig bewußter den Blick zum Publikum wenden.

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