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Munilus Hunde

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Es gibt kaum ein anderes, auf freier Wildbahn lebendes Tier, das in der landläufigen Meinung der Menschen so umstritten ist, wie der Kojote. Eines aber ist sicher: kein anderes Wildtier des amerikanischen Kontinents paßte sich den Veränderungen, die aus dem stetigen Vordringen der Zivilisation resultierten,

so geschickt an wie gerade diese Spezies.

Die eigentliche Benennung stąmmt von ThorhaS Say, einem der Begründer der amerikanischen Zoologie. Der Gelehrte, der im Jahr 1923 mit einer Expeditionsgruppe das Gebiet der Rocky Mountains durchstreifte, war den Berichten nach der erste, der diese kleinen Raubtiere als Kojoteta bezeichnete — das heißt, er übernahm einfach das Wort „Kojoti“, das einst die Spanier ihrerseits aus der aztekischen Sprache entlehnt hatten.

Die Azteken, und mit ihnen viele andere Indianerstämme, glaubten nämlich, daß der Kojote in geheimnisvoller enger Beziehung zu ihrer Gottheit stehe. Diese mythische Vorstellung der Ureinwohner Amerikas fand in ihrer Kunst sinnfälligen Ausdruck. Seit frühester Zeit meißelten sie das Abbild des Kojoten in Stein, malten es auf Tierhäute und wählten es zum Motiv der Flachreliefs auf ihrer Töpferei. Das Wiener Museum für Völkerkunde besitzt einen besonderen Schatz: einen aztekischen Rundschild, in Federarbeit ausgeführt, darauf in Blau und Gold, heraldisch stilisiert, die Gestalt dieses Tieres.

So spielte der Kojote im Leben der Indianer eine bedeutsame Rolle, doch nur die Navajos in Arizona brachten dem „Hund Manitus“ solche Verehrung entgegen, daß sie ihm sogar Schutz gewährten. Wenn der Große Geist müde werde und seine Bürde von sich werfen wolle, so glaubten die Navajos, dann schlüpfe er in den Leib eines Kojoteta, um kurze Zeit auf der Erde zu verweilen. Wer jemals einen einzelnen Kojoten oder ein Paar beim Spiel beobachtete, wird begreifen, wieso es zur Bildung dieser Legende kommen konnte.

Für die Angehörigen der Weißen Rasse aber galt der Kojote als die Inkarnation alles Teuflischen und Hassenswerten. Die ersten Siedler, die mit ihnen Herden gegen Westen vorstießen, die Farmer und Geflügelzüchter, betrachteten diesen Räuber als ihren Erzfeind, der sie schwerstem schädigte. Der Pionier des 19. Jahrhunderts wußte kein böseres Schimpfwort um einen anderen Menschen seine tiefste Verachtung auszudrücken, als: ,Du verfluchter Kojote!“ Die Autoren von Indianergeschichten taten ein übriges, um diese Meinung zu verbreiten und zu festigen.

Doch der Zoologe und der kundige Beobachter der Tierwelt sieht den Kojoten ganz anders und weiß, daß auch diese Spezies im Haushalt der Natur ihre ganz bestimmte Aufgabe hat: dafür zu sorgen, daß die Nager und anderen kleinen Säugetiere uberhandnehmen. Und die Natur hat diesen Windhund für seine Funktion sehr gut ausgestattet. Der Kojote besitzt einen untrüglichen Geruchssinn, ein un- gemein scharfes Gehör, er sieht weit, reagiert rasch und seine

Intelligenz ist außergewöhnlich hoch. All diese Eigenschaften sind in einem unermüdlichen Körper von etwa neun bis maximal Zwanzig kilo beschlossen, der von flinken, kraftvollenBeinen getragen wird.

Das ursprüngliche Hauptverbreitungsgebiet der Gattung war das Prärieland westlich des Missisippi. Nach allen Anzeichen reichte es nur bis zu den Rocky Mountains. Doch manchmal zogen Kojoten auch nach

Norden, bis in die kanadische Wildnis, und südwärts bis nach Mexiko.

Als Gesundheitspolizei traten sie auch im Gefolge der Wölfe auf, denen die größeren Säugetiere zur Beute wurden. Die Tatsache, daß der Kojote Aas fraß, stellte ihn nach Ansicht früher Beobachter auf eine Stufe mit den Schakalen der Alten Welt. Diese Gedankenverbindung hat sich erhalten und damit auch die Antipathie des Menschen unserer Zeit gegen den Kojoten.

Doch mit dem Vordringen des Weißen Mannes ergaben sich für die Tierwelt sehr rasch einschneidende Veränderungen. Jäger erlegten Hekatomben von Gabelböcken, Hirschen und Elchen und rotteten die Bisons fast aus. Siedler pflügten und bestellten den Boden. Farmer dämmten die Flüsse ein und bewässerten die Wüsten. Auf diese Weise bewirkte der Mensch innerhalb weniger Dekaden eine völlige Umwandlung weiter Areale. Die Natur hatte Jahrtausende gebraucht, um bestimmte Tiere bestimmte»! Landschaftsformen und Klimazonen anzupassen. Mit der Veränderung des Lebensr aume s und seiner Bedingungen war diese Assimilation zunichte gemacht.

Viele Tierarten verschwanden. Im Südwesten der USA fiel der Mer- riam-Elch der Zivilisation zum Opfer. Wildhühner und auch Otter wurden selten. Aber der Kojote wich nicht vor der Woge zurück, die da heranbrandete, er sickerte vielmehr in die breite Front der vorgetragenen Besiedlungsoffensive ein. Ganze Rudel zogen nach Süden, tiefer nach Mexiko hinein, wo spanische Schiffe Schafe, Ziegen und Rinder absetzten. Auch fiel es dem klugen Tier leicht, entlang der Wagenspuren in umgekehrter Richtung den Weg zu den Gehegen zu finden, aus denen die Pioniere Geflügel nach dem Westen brachten.

Der Kojote eroberte sich das doppelte und dreifache Flächenausmaß seines ursprünglichen Verbreitungsgebietes — und dies, obwohl man ihn mit Büchse, Falle und Giftköder radikaler als jede andere Tierart verfolgte! Er überstatad sogar die große Vertilgungsaktion, die um 1860 im Prärieland durchgeführt wurde und die Zahl der Wölfe erheblich verminderte.

Um die Jahrhundertwende sollen Kojoten bis zum : Polarkreis ' vörge- drungen sein. Die Tiere wanderten zur Ostküste und bis nach Mittelamerika, sie überquerten die Rocky Mountains und zogen an der Westküste der USA bis in die ödnis Alaskas.

Wie war das möglich? Woher stammt diese unerklärliche Zähig keit? Vielleicht hatten die Navajos wirklich recht, wenn sie sagten, der Kojote sei der Hund Manitus. Ganz gewiß ist er nicht das Zerrbild seiner selbst — der reißende, tückische Räuber und abecheuliche Aasfresser, für den man ihn hält. Bi Wahrheit bringt die Begegnung und nähere Beschäftigung mit diesem Geschöpf manche Überraschung.

So gehört der Kojote zu den wenigen Tieren auf freier Wildbahn, die das Feuer nicht fürchten. Oft taucht er lautlos, fast gespenstisch im Lichtkreis des Lagerfeuers auf. Wenn man ein Gewehr, einen Stock odei einen Stein ergreift, huscht er ins Dunkel zurück. Bleibt man abei ruhig sitzen und beobachtet ihr unauffällig, dann wird man merken daß auch das Tier den Metasehen nicht aus dein Augen läßt. Wer in den südwestlichen Teilen der USA unter freiem Himmel kampiert, für der wird das nächtliche Heulen, Beller und Jaulen zum vertrauter Geräusch, zur Stimme der Natur ir dieser Landschaft.

Die Kojoten haben die Gewohnheit, sich zu zweit, zu drift, manchmal auch in Gruppen bis zu sechs Tieren auf Bodenerhebungen runc um das Lager zu postieren. Nun wird bald einer, dann ein anderer seir bellendes Geheul anschlageta. Wenr man dies zum erstenmal hört könnte man es für das Gekläff und Winseln eines jungen Hundes hal ten. Doch hat sich das Ohr erst daran gewöhnt, dann vermag es auch zu differenzieren.

Das Gebell eines Hundes klingt monoton, da er dieselbe Abfolge der Laute ständig wiederholt. Beim Geheul des Kojoien hingegen wechseln Tonhöhe und Rhythmus sehr häufig, es ist sozusagen eine bestimmte Artikulation und Sprechmelodie gegeben. Und wetan man aufmerksam lauscht, wie zuerst einer seinen „Gesang“ beginnt, dann ein zweiter und dritter einfällt, streng nach der Reihe, als bekämen sie ein Einsatzzeichen, dann gewinnt man den zwingenden Eindruck, daß sie sich über die Menschen unterhalten und ihre Meinungen austauschen.

Oft „singeta“ die Kojoten die halbe Nacht und verharren auf ihren Plätzen, bis das Lagerfeuer erlischt und sich die Männer zur Ruhe legen. Dann kann es wohl vorkommen, daß sich eines der Tiere über eine Pro- Entdo e hermacht, die - versehen t- i offeniblieb. Ist ein Hund im Lager, dann reizt ihn der Kojote und lockt ihn durch scheinbare Flucht ins Freie, wo schon die anderen Artgenossen lauern. Kehrt der Hund von solch einer Balgerei zurück, dann ist er gewiß vorsichtiger utad um manche Erfahrung reicher.

Im Frühling, zur Paarungszeit, bereiten Männchen und Weibchen gemeinsam das Nest, meist auf einer kleinen felsigen Bodenerhebung oder an einer kahlen Stelle des Geländes. Im Umkreis legen sie aber noch mehrere Nester an — ein geschicktes Täuschungsmanöver, um die Aufmerksamkeit der Feinde von jenem einen abzulenken, das dem eigentlichen Zweck dieneta soll.

Bald darauf geht das Männchen auf Jagd aus. Wie Forschungen ergaben, besteht die Nahrung des Kojoten unter normalen Umständen zu 50 Prozent aus Nagetieren und Wildkaninchen. Anderes- wild lebendes Getier macht etwa 7,5 Prozent aus, Aas etwa 25 Prozent, während er 14 Prozent seiner Beute aus den Geflügelfarmen holt.

Der Kojote ist klug genug, um zu erfassen, wo er auf leichte Weise einen ordentlichen Happen finden katan. Vom Instinkt getrieben, legt er weite Strecken zurück, um Hühnerställe zu plündern. Auch in diesen Fällen scheint das Prinzip zu gelten, daß Angriff die beste Verteidigung ist, wenn es um den Schutz der Nachkommenschaft geht. Zoologen konnten feststellen, daß Kojoten ihre Beute manchmal über Entfernungen von acht Meilen zum Nest zurückschleppen. So sorgt das Männchen während des Nestbaus, des Wurfs und der Säugezeit fast zur

Gänze allein für die Nahrung, bringt aber keita Stück Fleisch heran, ohne vorher geprüft zu haben, ob es geeignet ist. Nur wenn das männliche Tier getötet wird oder wenn die Welpen entwöhnt werden und mehr kompaktes Futter brauchen, unternimmt auch das Weibchen wieder Beutezüge.

Die Fähigkeit des Kojoten, sich gegen alle Härten der Natur zu behaupten, erweist sich überzeugend gerade in Wüstengebieten, wo es an der Oberfläche kein Wasser gibt. Dort sucht er einen Sektor des Geländes solange ab, bis er, von seinem Geruchssinn geleitet, unterirdisches Wasser aufspürt. Dann gräbt er ein Loch ita den Boden und legt schließlich ein felsiges Becken frei, in dem sich Wasser angesammelt hat. Oft kommen, von der gemeinsamen Not gezwungen, mit den Kojoten auch deren Beutetiere zum selben Loch und stillen daraus ihren Durst Nach dieser Beobachtung bür- ..gerte sich im Sprachgebrauch des amerikanischen Südwestens die Wendung ein „die Kojotentränke aufscharren“. Man bezeichnet damit die metallurgischen Probebohrungen, um Erzvorkommen zu lokalisieren.

Die Widerstandskraft, mit der dieses Tier tausend Widrigkeiten überwindet, um sich am Leben zu erhalten und seine Art fortzupflanzen, versetzt uns in Erstaunen und nötigt uns Bewunderung ab. Die Welt ist voller Geheimnisse — auch Manitus Hund hat daran teil.

Bret Harte, der Epiker des Heldenzeitalters im einstigen Wilden Westen, nennt den Kojoten voll Sympathie den „grauen Geächteten“, der „im Zwielicht aus der Prärie herangeweht“ werde. Zwei amerikanische Zoologen, Stanley Young und Hartley Jackson, erarbeiteten auf Grutad ihrer Forschungen und Untersuchungen ein 400 Seiten starkes Buch „The Clever Coyote“ (Der kluge Kojote). Sie kommen zu dem Schluß: „Es ist unbestreitbar, daß der Kojote als Wildtier seinen Platz in der Fauna Nordamerikas hat. Dies werden wohl auch seine ärgsten Feinde unter den Menschen gelten lassen, und sei es nur. weil sie den eigenartigen Stimmungsreiz nicht missen wollen, daß sein Geheul über die Prärie tönt, wenn die Sonne hinter dem Horizont versinkt. Der Westen wäre nicht mehr der alte Westen, würde dieses rätselhafte Geschöpf völlig ausgerottet."

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