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Musik im geistigen Kraftfeld der Gegenwart

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Wieder wehen die Fahnen von zehn-Nationen vom Wiener Konzerthaus: zum Zeichen, daß für zwei Wochen das Tor zur Musik der Welt geöffnet ist. Hatte man bei den ersten drei Musikfesten das Schaffen einzelner Komponisten (wie Honegger und Hinde-mith) oder nationaler Gruppen (etwa der t Franzosen, Engländer, Italiener, Ungarn) in den Mittelpunkt gestellt, so geht es in diesem Jahr darum, eine Ubersicht zu geben über alle Stile und Richtungen, wichtige — wenn auch bereits als „klassisch“ zu bezeichnende — Werke der Moderne, die stilbildend gewirkt haben, zu präsentieren, vor allem aber die geistesgeschichtliche Position der Musik der Gegenwart aufzuzeigen. Mit Recht betont ein programmatischer Aufsatz zur Eröffnung des IV. Internationalen Musikfestes, daß die Musik — wenn sie zur bloßen Erholung herabsinkt und nicht mehr als wesentlicher ( Teil, als Spiegel und Symbol alles Seins und Werdens angesehen werde, somit keine Forderungen mehr stellt an Ausführende und Aufnehmende — zu einem zweitrangigen Schaffensgebiet herabsinken müsse, ja zum Absterben verurteilt sei, da die geistigen und künstlerischen Entscheidungen dann auf anderen Gebieten gefällt werden.

Daß es Komponisten gibt, die mitten in der lebendigen Gegenwart stehen, und Werke, in denen — wenn auch nicht immer siegreich — um einen neuen Ausdruck gerungen wird, erlebten wir bei der Aufführung von Boris B 1 a c h e r s Oratoriium „Der Großinquisitor“. Die Novelle aus den „Brüdern Kara-masoff“ von Dostojewski}, die nach einem Wort Rudolf Kaßners „den großen Gedanken des Christentums noch einmal denkt wie kein andere im 19. Jahrhundert“, wurde von I. Borchard in dreizehn Kürzszenen zusammengedrängt und vom Komponisten für eine Männerstimme, Chor und Orchester vertont. Diese „Vertonung“ weicht von der üblichen Art, in der man etwa noch um die Jahrhundertwende einen solchen Stoff angepackt hätte, entschieden ab. Sie ist objektiv, streng stilisiert, fast asketisch im Einsatz der Mittel und im Verzicht auf äußerliche Wirkung. Der überwiegende Teil des Textes wird vom Chor vorgetragen, der Orchesterklang ist meist hart und herb, die Deklamation der Singstimme psalmodierend. Der Satz ist streng diatonisch, der jeweilige Grundton wird auf weite Strecken festgehalten, Quarten- und Quintenharmonik bestimmen das Klangbild, ostinate Figuren die Begleitung. — Der 6tarke Eindruck, den man empfängt, resultiert aus der ethischen und stilistisch eindeutigen Haltung, die freilich die zwingende Inspiration nicht ganz zu ersetzen vermag. — Im gleichen Konzert sang Mascia Predit sechs von Igor Markewitsch instrumentierte M u s-sorgsky-Lieder, die wesentliche Elemente der „Moderne“ im Keim enthalten. Der Dirigent des Konzerts, dessen Chorpartien von Reinhold Schmid einstudiert waren, fand sich in der Chorfassung von Rave 1 s symphonischen Fragmenten „Daphnis und C h 1 o e“ ganz in seinem Element und schenkte uns eine hinreißende, begeisternde Aufführung dieses hrillantesten Werkes, das der europäische Impressionismus hervorgebracht hat.

Im Eröffnungskonzert leitete der deutsche Dirigent Fritz Lehmann zwei österreichische Uraufführungen: das Concer-t i n o für Solovioline und 22 Bläser von Alfred U h 1 und Gottfried von Einems „Hymnus“ für Altsolo, Chor und Orchester nach einem Gedicht auf J. W. Goethe von A. Lernet-Holenia. — Die neue dreiteilige Komposition von Uhl zeigt einen gereinigten, konzertanten, im ersten Satz fast etüden-haften Stil, den man als durchaus eigenständige Abwandlung des neuklassischen bezeich- ' nen könnte. Die äußerste Ökonomie der Mittel verleiht dem Werk kammermusikalischen Charakter; doch ist ein „zu wenig“ an Aufwand entschieden vorteilhafter als ein „zu viel“. — Einems Tonsprache ist immer interessant, weltmännisch-unbedenklich, überlegenrational, nicht frei von Manierismen in der Deklamation. Vom Geist Goethes, den die Verse Lernet-Holenias beschwören, ist darin freilich wenig zu verspüren. — In der Wiener Singakademie, den Symphonikern und den Solisten Res Fischer, Edith Bertschinger und Heinz Rehfuß (Baritonsolo im „Großinquisitor“) hatten die genannten Werke vorzügliche Interpreten. — Der für einen Film komponierte Gedächtniswalzer „München“ von Richard Strauß, und i,E i n Helden-1 e b en“ bildeten den zweiten Teil des Eröffnungskonzerts, dessen Initiatoren anscheinend beabsichtigten, an zwei Beispielen zu demonstrieren, wo die Grenze der neuen Musik verläuft. In der Tat ist kaum ein größerer Gegensatz denkbar als die gemütlich-lärmende Selbstglorifizierung des dem 19. Jahrhundert entstammenden Künstlers im „Heldenleben“ und die demütig-dienende Haltung des zeitgenössischen Komponisten vor seinem Text. (Wir meinen Blacher und sein Oratorium vom „Großinquisitor“.) Wem die Zulftinft gehören wird — das wird nicht durch den „Geschmack“ des heutigen Konzertpublikums entschieden, sondern durch den unerbittlichen Gang der Zeit, der von strengeren Gesetzen regiert wird, als unsere Schulweisheit 6ich träumen läßt.

Auf die folgenden Veranstaltungen im Rahmen des Musikfestes, die in den Sälen des Konzerthauses stattfinden und um 20 Uhr beginnen, sei besonders hingewiesen: Samstag, 7. April: Kammerkonzert mit Werken österreichischer Komponisten. — Sonntag, 8. April, Michaeierkirche, 9.45 Uhr: BS,Fuchs, Messe in F, Chor-Orchesterkonzert mit Werken von Menotti, Martinu, Bartok und Berger. — Montag, 9. April: Neue Lieder und Kammermusik von Wagner-Regeny, Mieg, Apostel und Bartok. — Dienstag, 10. April: Chor-Orchestericonzert mit Kompositionen von Hauer, Peragallo, Schönberg und Verdi (Pezzi sacri). — Donnerstag, 12. April: Chor-Orchesterkonzert: Benjamin Britten. Dirigent: Clemens Krauß

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