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Musik und Malerei

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Bildende Künstler sind meist sehr empfindlich für die Tonkunst, und viele von ihnen üben sie in irgendeiner Form selbst aus. Ihre befruchtende Wirkung vollzieht sich nicht nur auf dem Wege der Empfindung, sondern auch auf dem des Geistes. Denn die Musik ist die Kunst mit der am meisten ausgeprägten Theorie, und ihre Gesetzmäßigkeiten sind zu erfassen. In ihrem rein schöpferischen Bezirk ist sie kaum an Hemmungen der Materie oder Technik gebunden, so daß in ihr fast ausschließlich geistige Probleme zu Wort kommen. Deshalb ist sie wie keine andere Kunst geeignet, zu fruchtbringenden Vergleichen herangezogen zu werden.

Ein wichtiges Kennzeichen der Tonkunst ist es, daß sie Empfindungswerte gültig auszudrücken vermag. Allgemein bekannt ist der Stimmungsgehalt von Dur und Moll. Es haben aber alle Tonverbindungen ihre verschieden gearteten Charakteristiken. Auch ist es nicht gleichgültig, in welcher Tonart sich ein musikalisches Ereignis abspielt, weil jeder Tonart ihre eigene Atmosphäre zukommt. In der Malerei kann man- ebenso feststehende Stimmungswerte, und zwar solche der Farben, feststellen. Die Tatsache, daß bestimmte Farben allgemein als warm und andere als kalt bezeichnet werden, weist darauf hin. Der Anschauung von ihrem absoluten Gehalt kann entgegengehalten werden, daß verschiedenen Völkern nicht das gleiche als schön oder angenehm erscheint und somit auch Farben auf sie anders einwirken müssen. Es scheint also eine Begrenzung dieser Auffassung notwendig zu sein. In der Musik ist es der große Kreis des Abendlandes, der ihr die Schranken der Verständlichkeit bestimmt. Engere Grenzen besitzt die Welt der Farben sicher nicht. Zu der Anschauung, daß es ein absolutes Farbempfinden gibt, hat sich vor allem Goethe in seiner Farbenlehre bekannt. Die sinnlich-sittliche Wirkung der Farben nennt er darin „die Erscheinung ihres entschiedenen und bedeutenden Eindruckes auf unser Gemüt“. Nach seinen Worten übt sie diesen aus, ohne Bezug auf Beschaffenheit oder Form des Materials, an dessen Oberfläche wir sie gewahr werden. Mit großer Sicherheit beschreibt Goethe die Eindrücke der Farben. Vom Gelb sagt er, daß es in seiner höchsten Reinheit eine heitere Eigenschaft besitzt, getrübt jedoch die Farbe des Mißbehagens ist. Dem Orange wird eine mächtige, herrliche Wirkung zugesprochen. Das Rot ist die größte Steigerung der aktiven Seite bis zum Gewaltsamen und Erschütternden. Das Blau hingegen führt stets etwas Dunkles mit sich. Es scheint von uns zu fliehen und ein Gefühl der Kälte auszüströmen. Vom Lila geht eine leichte Beunruhigung aus, die sich zum Violett hin steigert. Purpur jedoch gibt den Eindruck sowohl von Ernst und Würde als auch von Huld und Anmut. Im Grün findet unser Auge reale Befriedigung. Man ruht und will nicht weiter. In ähnlicher Weise sind auch Farbenzusammenstellungen Gegenstand der Betrachtung, die von besonderer Bedeutung für den Maler sind. Ich habe gefunden, daß viele Menschen, auch Künstler, diese Eindrücke als die ihren erkennen. Sie dürfen als feststehend betrachtet werden. Farbklänge sind also keineswegs etwas Zufälliges oder Unwichtiges und können wie Akkorde in der Musik angewendet werden. Nach Goethes Worten grenzt die Wirkung der Farbe, sei sie harmonisch oder unharmonisch, unmittelbar an das Sittliche. Deshalb kann sie, als ein Element der Kunst betrachtet, zu den höchsten ästhetischen Zwecken mitwirkend genutzt werden.

Eine weitere Parallele in den Künsten stellt die Beobachtung dar, daß unser Auge ein vollkommenes Überschmelzen der Farben nicht liebt. Es zieht vielmehr bestimmte Abstufungen vor, die mit der Tonleiter in der Musik verglichen werden können.

Im Bestreben, weitere Vergleichsmöglichkeiten zu finden, kommt man zur Linie, der man die Stimmführung in der Musik gegenüberstellen kann. Beide sind aussagende Elemente und die ersten Stufen auf dem Wege zum Kunstwerk. Es wird für den bildenden Künstler nicht ohne Gewinn sein, wenn er den melodischen Bogen einer Tonfolge mit seiner Steigerung und beruhigenden Lösung beachtet. Auch wenn er in der Gegenüberstellung von zarteren und gröberen, also gegensätzlichen Themen die entstehende Spannung fühlt, die in der Kunst nichts anderes als Leben bedeutet. Der Künstler wird dann die Linie nicht nur in ihrer körperbegrenzenden Funktion sehen, sondern sie als charakterisierendes Mittel ähnlich einer Melodie betrachten. Ihre konsequente Durchführung, gleichsam nach Art des Kontrapunktes, gibt dem Bilde innere Bindung. Die Bedeutung der Linie tritt in dem Augenblick zurück, als stärkeres Licht auf der Leinwand zur Darstellung kommt. Dann sind beleuchtete Stellen, also Flächen, die Bausteine. Das Abwägen ihrer Färb- und Helligkeitswerte tritt in den Vordergrund. In der Musik ist dies mit Akkordwirkung und Dynamik zu vergleichen. In dieser Richtung haben sich beide Künste bis in die letzte Zeit entwickelt, in der dann ein Zurückgreifen auf alte, lineare Formen stattgefunden hat. Diese Betrachtung führt nun zwangsläufig von den kleineren Einheiten zum Ganzen. Es wird unmöglich erscheinen, den Aufbau, der in der Tonkunst im Zeitablauf vollzogen ist, auf die Fläche zu übertragen. Es gibt jedoch eine musikalische Konzeption des schöpferischen Musikers und für den Hörer eine Rückschau, die das Musikstück im Augenblick übersieht. Andererseits äußert sich die Komposition eines Gemäldes nicht nur in der Aufgliederung der Bildebene, sondern ist auch das Ergebnis eines zeitlichen Vorganges. Gleich, ob die Arbeitsweise ein Übereinanderlegen vieler dünnen Schichten oder pastoser Pinselstriche ist, sie setzt einen Plan voraus, der mit dem Inhalt eng verwachsen und der auch im fertigen Kunstwerk zu erkennen ist. Es gibt also auch hier Vergleichsmöglichkeiten. Die Steigerung, zum Beispiel gegen eine einzige Stelle, den Höhepunkt, auf die Malerei angewandt, wird Einheitlichkeit verbürgen. Die Wiederholung desselben Themas und seine Variation verstärkt im selben Maße die Geschlossenheit des Werkes. In der Malerei sind es Licht und Farbmotive, die sich durch das Bild ziehen. Ihre Steigerung erfolgt durch eingehendere, kostbarere oder kräftigere Behandlung sowie durch größere Helle oder Farbigkeit der Stelle, die den Höhepunkt, den Mittelpunkt bedeutet. In beiden Fällen ist erhöhte Kraft mit dem Zahlreicherwerden der Themen notwendig. Ihre Abgewogenheit und zugleich auch Abwechslung zeigt das Können, das sich beim Aufbau eines Zyklus gleicherweise wie in den Sätzen einer Symphonie in erhöhtem Maße zu bewähren hat.

Dieser Versuch, Beziehungen zwischen Musik und Malerei herzustellen, konnte nur aufzeigen, wo es Vergleichspunkte und Ähnlichkeiten gibt. Wenn sich der bildende Künstler aber eingehend mit Inhalt und Form von Tonwerken befaßt, wird er großen inneren Gewinn daraus schöpfen und Möglichkeiten und Lösungen finden, die noch in keiner anderen Kunst Gestalt angenommen haben. Es mag dies gefühls- oder verstandesmäßig geschehen, die Musik weist den Weg zu reiner Geistigkeit und hilft der bildenden Kunst, die Gefahren der zufälligen Erscheinungswelt überwinden. Darstellung und Zweckgedanke kommen immer noch zu ihrem Recht, wie es auch die Tonkunst zeigt, wenn sie Vorwurf und Text fast, ohne Nachahmung natürlicher Geräusche sinngemäß verarbeitet.

Es war hier nicht gemeint, daß irgendwelche R-egeln der Musik entlehnt werden sollen. Es können aber, aller Kunst innewohnenden Gesetze erkannt werden, die dem Empfindungsablauf und Auffassungsvorgang des Menschen entsprechen.

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