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Mythos der Wiener Werkstatte

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Zwei Generationen waren es, die den gegenwärtigen Mythos der Wiener Werkstätte begründeten. Die heute siebzig sind, erinnern sich i noch mit Wehmut an die Stücke, die i sie erworben haben und noch be- ; sitzen, und die anderen, die heute i um vierzig sind, haben geholfen, diese großartige Institution der Ver- | gessenheit zu entreißen. Die Be- ; deutiung der Wiener Werkstätte haben sie gesichert und ihr einen ' festen Platz in der europäischen Kulturgeschichte eingeräumt. Nun ; kann auch die kritische Analyse ein- j setzen.

Die große Bedeutung der Wiener Werkstätte für Österreich und die i Welt fällt in die erste Periode, in die knappe Zeitspanne von zehn Jahren zwischen den ersten, bedeutenden Produkten um 1904 und dem nahenden Weltkrieg. Allein diese Epoche hatte weltweites Format; was nachher kam, hatte zwar noch Qualität, aber keine revolutionäre Stoßkraft. Im europäischen Kunstschaffen wirkt sich die Zäsur des ersten Weltkrieges sehr unterschiedlich aus. Drei Möglichkeiten standen offen: an die bedeutende Entwicklung vor dem Weltkrieg anzuknüpfen, völlig Neues zu schaffen oder — In konservative Reaktion zu verfallen. Und dieser letzte Weg war bei den Künstlern der Wiener Werkstätte gar nicht selten.

Die Wiener Werkstätte ist aber keineswegs ganz plötzlich, wie ein einsamer Komet, am Himmel des Kunstgewerbes aufgestiegen, wie der Mythos es haben will.

Die Reformbestrebungen von Kunst, Handwerk und Architektur, die Versuche zu einer Überwindung des Historismus reichen weit zurück: zu Viertlet le Duc und Semper, zu Hansen und van de Velde, zu Ruskin und Morris. Überall in der Welt zeichnen sich, lange vor dem Einsetzen des Jugendstils, Reform-bewagungen ab, die vielfach auf die Ideale der mittelalterlichen Werkstätten zurückgreifen wollten, um so der Geschmacksverflachung, deren Ursache man mir zu oft in der industriellen Herstellung vermutete, entgegenzuwirken.

In Wien war es Arthur von Scala, der den neuen Ideen des Kunsthandwerks, vor allem in der englischen Diktion, zum Durchbruch verhalf, und die von ihm veranstalteten Ausstellungen fanden die Bewunderung von Adolf Loos. Zum Kuratorium gehörte auch Otto Wagner, Oberbaurat und Professor an der Akademie der bildenden Künste. 1899 wurde Josef Hoff mann als Lehrer an die Kunsfcgewerbe-schuile berufen, schon zwei Jahre vorher war die Secession gegründet worden. In diesen wenigen Jahren fand der Aufbruch in ein neues Jahrhundert statt, enthusiastisch begrüßt und gefeiert von allen fortschrittlichen Künstlern, angefeindet von den konservativen Kräften. Der Aufbruch war ein weltweiter. Österreich stand nicht an der Spitze, aber in den ersten Reihen.

Aus dieser Situation heraus wurde 1903 die Wiener Werkstätte gegründet. Im Kaffeehaus, wie die Anekdote weiß, durch Josef Hoffmann, Kolo Moser und den aufgeschlossenen und gut informierten Bankier Fritz Waemdorfer.

Dieser Gründung war die Ausstellung englischer Innenraumkunst in der Secession und eine Reise Josef Hoffmanns nach England vorausgegangen. C. R. Ashbee und C. R. Mackintosh haben Hoffmann fasziniert und entscheidend dazu beigetragen, daß Josef Hoffmann sich von der frühen Diktion der Secession löste, die der „floralen“ Ausprägung des internationalen Jugendstils entsprach. Fritz Waemdorfer besaß nicht nur ein Speise-Bimmer von, Josef Hoffmann, sondern auch ein Musikzimmer von Mackintosh. Vergleichen wir etwa eine frühe Arbeit Josef Hoffmanns, den Verkaufsraum der Apollo-Kerzenniederlage mit einer Arbeit Mackiintoshs, der Haltte im Hill Hause, so wird deutlich, daß der Hoffmann der frühen Wiener Werkstätte dem Schotten nähersteht als seinen eigenen „secessionistischen“ Arbeiten. Nicht nur England und Schottland trugen zur Diktion der Wiener Werkstätte bei, sondern auf Wiener Boden war es vor allem Otto Wagner, der durch seine ersten Bauten, vor allem aber durch seine Schriften den geistigen Hintergrund für die Werkstätte mitgestaltete.

Als 1906 eine Sondernummer des Londoner „Studio“ erschien, konnte sie den „Art Revival in Austria“ bereits als eine voll erblühte Bewegung darstellen. Architektur und Kunsthandwerk lieferten den bedeutendsten Beitrag: J. Hoffmanns Sanatorium in Purkersdorf stand neben den Arbeiten Olbrichs und Urbans. Vor allem aber faszinierten die Arbeiten der Wiener Werkstätte von Kolo Moser und Josef Hoffmann. Die bedeutendste Arbeit der Wiener Werkstätte allerdings fehlte noch in dieser Publikation: das Palais Stoclet in Brüssel. Wenn diese Institution nur dieses eine Werk hervorgebracht hätte, so wäre damit ihre Bedeutung schon gesichert. Die totale Einheit von Architektur, Raumausstattung,

Kunst und Kunsthandwerk in diesem Bau steht auf einsamer Höhe in unserem Jahrhundert und ist bisher nicht mehr erreicht worden. Der Adel und die Kostbarkeit der Materialien, die Gediegenheit der handwerklichen Durchbildung, die Einheitlichkeit der Gestaltung und die Integration des Ornamentes und des Bildes sind die Ingredienzien eines Gesamtkunstwerks, dessen Raffinement und Schönheit bis heute fasziniert.

Neben dieser Gesamtleistung steht aber auch eine Fülle von Einzelleistungen, die immer im Gesamtzusammenhang der Wohnung, der Raumgestaltung (heute würden wir sagen des „Environments“) zu sehen sind. Sessel und Tisch, Bett und Kasten, Teppich und Tapete, Kleid und Vorhang fügen sich immer wieder zu einer bruchlosen Einheit. Dazu kommen das wunderbare Gerät und die Gebrauchsgegenstände. Josef Hoffmanns Teeservice aus dem Jahre 1904 ist bis heute kaum übertroffen worden, die Bestecke aus dem gleichen Jahr nehmen die Konkurrenz mit dem Industrial Design unseres Jahrzehnts mühelos auf, und dem Schmuck und den Lederwaren haben wir kaum Ebenbürtiges an die Seite zu stellen.

Diese Arbeiten aus der Epoche bis zum ersten Weltkrieg waren es, die — mit Recht — den Mythos der Wiener Werkstätte begründeten und ihr Weltgeltung verschafften.

Dagobert Peche und der Expressionismus

Kolo Moser stirbt 1918, C. O. Czeschka wird 1908 an die Kunstgewerbeschuile Hamburg berufen, und damit verliert Josef Hoffmann die beiden Stützen der ersten Periode.

Dafür tritt Dagobert Peche 1915 in den künstlerischen Stab der Wiener Werkstätte ein. Er charakterisiert weitgehend die zweite Epoche der Wiener Werkstätte.

Dagobert Peche ist zweifellos ein vitaler Künstler von unerschöpflicher Phantasie. Aber die klare Zucht und Strenge, die Ergebnisse eines frühen Funktionalismus und Purismus, werden von ihm über Bord geworfen. Seine Phantasie wuchert nicht nur über Stoffe und Geräte, sondern auch über Möbel und Räume. Das Dekor, von den frühen Meistern an den dienenden Platz verwiesen, verselbständigt sich, drängt sich in den Vordergrund. Das Tektonische und Handwerkliche treten zurück, hypertrophe Formgebilde weisen eindeutig auf eine Bewegung, die schon vor dem ersten Weltkrieg einsetzte, den Expressionismus.

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