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MYTHOS EINER FILMÄRA

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Der deutsche Film hat einmal Geschichte gemacht; die großen Werke der Stumimfilmära unter den Regisseuren Murnau, Lang und Lubitsch werden in der historischen Literatur der Kinematographie als Klassiker angeführt, der damals von Deutschland ausgehende Stil des „Expressionismus“ im Film, des Hell-Dunkels, des Kammerspielfilms hat die gesamte Weiterentwicklung der Kunst des bewegten Bildes entscheidend beeinflußt und ihr einen Stempel aufgedrückt, der sich unverwischbar bis in die Gegenwart fortgesetzt hat. Von da ab hat sich der Mythos von der Qualität des deutschen Films, symbolisiert im Markenzeichen der größten (und später fast einzigen) Firma, der UFA, in den Vorstellungen der Filmbesucher festgesetzt — ein Mythos, der sich auch auf die Filme der nationalsozialistischen Ära übertragen hat und heute noch (bedingt durch Unkenntnis und falsche Sicht der mehr als tausend zwischen 1933 und 1945 produzierten Spielfilme) besteht.

Es ist eine Tatsache, die man jederzeit an Hand von Wiederaufführungen länger zurückliegender Filmwerke überprüfen kann, daß die Werke der siebenten Kunst — von einer prozentual winzigen Anzahl klassischer Meisterwerke abgesehen — durchaus zeitgebunden sind (in bezug auf ihren Stil, Technik, Thematik, Aussage bis zu rein äußerlichen Kleinigkeiten, wie Mode usw.). Diese Erscheinung trifft allgemein zu — und viele Filmbesucher müssen zu ihrem Erstaunen und ihrer Enttäuschung bei Wiederbesichtigung eines in ihrer Erinnerung (wozu eine gewisse Verklärung kommt, die sich psychologisch mit Jugenderlebnis usw. deuten läßt) einen besonderen Platz einnehmenden Films feststellen, daß er heute kaum noch etwas zu sagen, zu bieten hat, daß ihn mitunter eine leichte Lächerlichkeit umschattet, die die Legende von einst gründlich in alle Winde zerflattern läßt...

Es ist heute, 20 Jahre nach dem Ende des NS-Staates, besonders interessant, sich auch wieder mit der Qualitätslegende des damals vom Reichspropagandaministerium großzügigst unterstützten (und häufig auch „befohlenen“) Filmschaffens zu befassen — wobei eine Trennung zwischen bewußt erzielter politischer Aussage (auf die in jeder Diktatur die kinematographische Produktion zielstrebig ausgerichtet ist) und künstlerischer Wirkung kau.n möglich ist. In der subjektiv verzerrten und sentimental beeinflußten Erinnerung hat sich das Bild einer perfiden propagandistischen, die Thesen des Nationalsozialismus konsequent vertretenden Tendenz zumeist zugunsten einer überdurchschnittlichen Qualität (in bezug auf regieliches Können, darstellerische Höchstleistungen und technische Vollkommenheit) verschoben und ein besonderer Mythos gebildet, der die deutsche Filmära von 1933 bis 1945 mit einer besonderen Aureole umgibt.

II* iniige Wiener Versuche, einem kleinen und ausgewählten j Zuschauerkreis Filme aus der NS-Ära probeweise vorzuführen, scheiterten am Einspruch aller möglichen Institutionen und überängstlichen, übereifrigen Behörden; in Deutschland, wo der demokratische Gedanke schon etwas weiter gediehen ist, wurde er kürzlich realisiert: in Oberhausen, der kulturell so aktiven kleinen Arbeiter- und Industriestadt im Ruhrgebiet, fand auf Initiative des verdienstvollen Atlas-Filmverleihs und der Leitung der Westdeutschen Kurzfilmtage ein von 109 Teilnehmern — Wissenschaftlern, Pädagogen und Filmpublizisten — besuchtes „NS-Fiim-Seminar“ statt, das an Hand von 19 besonders ausgewählten Filmen eine in seiner Übersichtlichkeit bewundernswerte und nahezu vollkommene Bewertung dieses so wenig bekannten Kapitels der deutschen Filmgeschichte gestattete. Die 19 Filme waren (chronologisch geordnet, mit Herstellungsjahr und Regisseur versehen): 1933 „Hitlerjunge Quex“ (Hans Steinhoff) und „Flüchtlinge“ (Gustav Ucicky); 1937 „Unternehmen Michael“ (Karl Ritter); 1939 „Robert und Bertram“ (H. H. Zerlett) und „D III 88“ (Herbert Maisch); 1940 „Jud Süß“ (Veit Harlan), „Feinde“ (Viktor Tourjansky), „Bismarck“ (Wölfgang Liebeneiner) und „Wunschkonzert“ (Eduard v. Borsody); 1941 „Kopf hoch, Johannes!“ (Viktor de Kowa), „Ohm Krüger“ (Hans Steinhoff, Gesamtleitung Emil Jannings), „Venus vor Gericht“ (H. H. Zerlett), „Stukas“ (Karl Ritter) und „Kadetten“ (Karl Ritter); 1942 „Der große König“ (Veit Harlan), „Die große Liebe“ (Rolf Hansen) und „G.P.U.“ (Karl Ritter), 1944 „Junge Adler“ (Alfred Weidenmann) und 1945 „Kolberg“ (Veit Harlan) — alles Filme, die in ihrer Art zweifellos nicht nur einen besonderen politischen, sondern auch künstlerischen Ruf genießen...

VL77 eiche Wirkung geht also heute von diesen Filmen aus? W Trotz der unmöglich erscheinenden Trennung von Qualität und Tendenz (beides verpflichtet in der Gestaltung, in Dialog, Kameraführung und Schnitt zu einer unabdingbaren Einheit) soll dennoch versucht werden, eine künstlerische Wertung zu erstellen; es fällt zunächst auf, daß die Qualität mit der dem Film zugemessenen Bedeutung wächst. Je mehr Gewicht (von Seiten des Propagandaministeriums) auf die Wirkung eines Films gelegt wurde, je höher die darauf verwandten Produktionskosten waren, der Aufwand an Bauten, Kostümen, Massenszenen, je mehr Sorgfalt auf die Besetzung mit prominenten Darstellern gelegt wurde und schließlich ein im Sinne des damaligen Regimes „bedeutender“ Regisseur mit der Inszenierung betraut wurde, um so eher stellte sich eine gewisse „Qualität“ im Endergebnis heraus. Das läßt den Schluß zu, daß es sich bei dieser erzielten „Vollkommenheit“ weniger um eine künstlerische Formgebung handelt als um eine „Perfektion der Mittel“, also eine auf Grund sorgfältiger technischer und gestaltungsmäßiger Erfahrungen und Erkenntnisse zusammengesetzten Gesamthandwerksleistung.

Im Detail: Eine sorgfältige, sich auf keinerlei Experimente einlassende, auf gediegene Schulung und langjährige Routine stützende Inszenierung (als Beispiele mögen hiefür die Filme Steinhoffs, Ritters, Ucickys und Harlans — dessen Massenszenengestaltungen noch immer bemerkenswert erscheinen — dienen), verbunden mit gediegenen schauspielerischen Leistungen der ersten Darsteller des damaligen Theater- und Filmschaffens (hiefür zeugt die Heranziehung solcher Schauspielerpersönlichkeiten wie George, Wegener, Kayßler, Krauss und Marian), guter Kameraführung (Bruno Mondi, Fritz Arno Wagner, Konstantin Irmen-Tschet, Günther Anders und Georg Oberberg), einer kostspieligen, möglichst historisch exakt nachkopierten Ausstattung und einem geschickten, mitunter sogar raffinierten, wenngleich keine neuen Wege versuchenden Schnitt (als Beispiel dafür sei eine ausgezeichnete Arbeitssequenz in Weidenmann „Junge Adler“ genannt) kommt zu einer überdurchschnittlichen Gesamtleistung, dem eine starke Wirkung — soll man sie nun als „künstlerisch“ bezeichnen? — nicht abzusprechen ist.

Daneben fallen dann die einzelnen „Negative“ besonders stark ab: die Plumpheit des Dialogs (der von der geforderten Aussage abhängig ist), die Hozhammermethodik bestimmter tendenziöser Passagen (auch in der bildlich-insze-natorischen Gestaltung) und die heute geradezu groteske Wirkung mancher ehemals berühmter und beliebter Stars — wofür das unerträgliche Pathos eines Horst Caspar, die pseudo-chevalereske Männlichkeit eines Willy Birgel, die penetrant deutsch-heldische Reckenhaftigkeit eines Hans Albers und besonders die peinlich-qualvolle „Seelenhaftig-keit“ einer Kristina Söderbaum, der Gattin Veit Harlans, Zeugnis ablegen. Die Wirkung dieser Schauspielerin, die bereits im Volksmund als „Reichswasserleiche“ bezeichnet wurde (weil es tatsächlich nicht einen einzigen Film mit ihr gibt, in dem sie nicht zumindest mit Wasser zu tun hat, schwimmt oder schließlich darin ertrinkt), erreicht heute einen Grad an Komik, der clen mancher Siapstick-Komödien noch bei weitem übertrifft. Ihre miauend-schnurrende Katzen-haftigkeit — einer deutschen Hauskatze selbstverständlich — erscheint übrigens als direkte Vorstudie zu dem „Seelchen“-Wesen des deutschen Nachkriegsfilms.

Was nun die politische Wirkung der Filme betrifft, so erscheint sie in besonders zwei Filmgattungen auch heute poch überaus einprägsam und stark, nämlich im Jugend- und Antirassenfilm (wozu ebenso „Jud Süß“ und „Robert und Bertram“ wie Filme, die sich mit „den Polen“ „den Kommunisten“ usw. auseinandersetzen wie „Feinde“, „Heimkehr“ und „G.P.U.“, gehören). Diese beiden Themenkreise besitzen „Werte“ oder „Ideale“ (deren Falschheit und Perfidie aufzuzeigen an dieser Stelle wohl nicht nötig ist), die heute noch immer — leider! — eine gewisse Gültigkeit besitzen oder stark eingewurzelte Vorurteile, die noch immer nicht genügend beseitigt sind, in sich bergen. Eine Jugend, der man heutzutage so wenig ideelles Zivilisations- oder Kulturgut zu bieten imstande ist, daß man in allen Ländern von Verwahrlosungsproblematik spricht, wird leicht auf solche falschen Parolen hereinfallen wie „Heldentum“, „Kameradschaftsgeist“ und „völkische Ideale“ — wenn sie in so mitreißender und überzeugender Form (zumindest stellenweise) dargeboten werden wie in „Hitlerjunge Quex“, in „Kadetten“ und „Junge Adler“, wenn die Sehnsucht nach Romantik, Abenteuerlichkeit und scheinbar sinnvoller Betätigung im Kreise einer Gemeinschaft in der „Bubenseele“

angesprochen wird. Diese Filme sind und bleiben nach wie vor gefährlich — solange ihnen die Demokratie nichts Wertvolleres entgegenzusetzen vermag. Dasselbe trifft auch für die zweite Gattung zu, deren demagogische Wirkung in unserer Gegenwart durch die vielen Konflikte politischer, weltanschaulicher und rassischer Natur (der Schritt von den „bösen Juden“ zu den „bösen Negern“, den „bösen Chinesen“ und so weiter ist eigentlich schon getan) nur bestärkt wird.

Diese auch heute noch aktuellen Gefährlichkeiten der NS-Filme sind im Grunde genommen die einzögen wirklich „nationalsozialistischen“ Tendenzen, die sich in diesen Filmen des Tausendjährigen Reiches bemerkbar machen. Alle anderen Parolen — des Durchhaltens, des Sterbens für das Vaterland, des Volkswohles und anderes mehr — sind letztlich mehr oder weniger „nationale“ oder militaristische Forderungen, wie sie in den Filmen aller Diktaturen (oder auch mancher Demokratien — wie zum Beispiel der USA zur Zeit des Krieges) gebräuchlich und notwendig waren. In ihrer phrasenhaften Plumpheit und heutigen Überholtheit wirken sie mehr lächerlich als eindringlich — und kein noch so mit Nachdruck und Ernst vorgebrachtes Argument wirkt so tödlich wie das Lachen!-

Soll man also diese Filme der NS-Ära heute wieder aufführen? Kann man sie nach 20 Jahren wieder zeigen? Eine Antwort auf diese Frage muß gegeben werden — da der Atlas-Filmverleih bereits 40 derartige Kopien gekauft hat und sie demnächst wieder (mit entschärfendem, aufklärendem Pro- und Epilog versehen) in die Kinos bringen will. (Den Anfang dieser Staffel, die sehr reißerisch und daher nicht sehr glücklich „Die verbotenen Filme“ genannt wird, macht schon in den nächsten Wochen Harlans „Kolberg“.) Meinung steht gegen Meinung: hier demokratische Freiheit — hier eine Gefährlichkeit, die auf geistig unreife (oder unbelehrbare) Gemüter eine negative Auswirkung erzielen kann. Die Entscheidung fällt schwer — sie muß von den offiziellen Stellen gefaßt werden, die sehr genau das Für und Wider abzuwiegen haben, denn die Vei antwortung liegt letztlich bei ihnen.

Doch besteht überhaupt eine Notwendigkeit, die Öffentlichkeit wieder mit diesen, teilweise schon in Vergessenheit geratenen Dokumenten einer unglücklichen Zeit zu konfrontieren? Die Neugier ist nur ein schwaches Argument dafür; wiegt sie das Wiederaufreißen alter Ressentiments auf, die heute noch vorhanden, in einer weiteren Generation aber schon Historie geworden und daher ungefährlich sind? Ich glaube es nicht...

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