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Nach dem Kubismus

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Wahrscheinlich hat keine Stilrichtung in der Malerei jemals einen solchen Bruch mit der Vergangenheit bedeutet wie der Kubismus. Von ihm nahm die moderne Kunst ihren Ausgang. Der Kubismus begann 1907 mit Picassos „Les Demoiselles d'Avignon“ und beherrschte etwa ein Jahrzehnt lang die Welt der in Paris arbeitenden Künstler. Er fand anderswo kaum Anhänger, und die vier großen kubistischen Maler — Pablo Picasso, Georges B r a q u e, Juan G r i s und Fernand Leger — gingen nach dem ersten Weltkrieg neue Wege. Aber die Zeit des Kubismus läßt lieh nicht mehr auslöschen. Vielleicht darf man, um eine Wirkungen zu demonstrieren, den Kubismus mit der Sintflut vergleichen. Die Malerei des ausgehenden 19. Jahrhunderts begann sich in den Licht-und Farbspielereien des Impressionismus zu verlieren. Das Zufällige einer Augenblicksstimmung, der vorüberhuschende Sinneneindruck und das einmalige Seherlebnis sollten festgehalten und der Vergänglichkeit entrissen werden; vor lauter Perspektive ging aber so der dargestellte Gegenstand selbst verloren, es blieb nur ein Zusammenklang von Farben und Formen. Der Kubismus wandte sich nun gegen den, Impressionismus genauso wie gegen den Naturalismus. Es ging ihm um ein neues Bild, um eine Komposition, die nicht auseinanderfiel, und die wieder von Körpern handelte, ohne sich durch den wechselnden Eindruck ihrer Oberfläche beirren zu lassen. Die Malerei wurde als Kunst begriffen, die Zeichen setzt. Eine solche Kunst hat nichts mit Naturnachahmung zu tun, sie ist schöpferisch. Der Kubismus handelt von den einfachen Gegenständen, bevorzugt Stilleben oder ordnet Menschen und Gitarren in neuem Zusammenhang. Er ist eine Kunst am Anfang. Nach der großen Flut mußte ganz von vorne begonnen werden. Auf der Suche nach dem sichtbaren Ausdruck für die Wiedergabe des Wissens von den alltäglichen Dingen, fanden die Kubisten die geometrischen Körper als Elementarformen des natürlichen Erscheinungsbildes. Aber — und das ist das Seltsame — diese Reduktion der Erscheinungen auf Kugel, Kegel und Zylinder geht auf den Impressionisten Cezanne zurück, der sich damit gleichsam eine Arche geschaffen hatte, durch die er die Flut überstand. Einen anderen Ausdruck für das hinter der Oberfläche der Dinge Verborgene fanden die Surrealisten, indem sie es im Bilde menschlicher Organe oder des Inneren von Maschinen darzustellen suchten. Der Kubismus war aber weit mehr als der selbst schon wieder phantastisch-verspielte Surrealismus eine Kunst am Anfang; er ließ sich nicht weiterentwickeln, und so verließen ihn seine Künstler, ohne ihre Herkunft von ihm je verleugnen zu können.

Wohin die Wege Picassos, Braques, Gris', Legers nach dem Kubismus führten, versucht eine Ausstellung zu zeigen, die in diesen Tagen in der Galerie W ü r t h 1 e in der Weihburggasse zu sehen ist. Das wesentlichste an' der weiteren Entwicklung der ehemaligen Kubisten scheint zu sein, daß keiner von ihnen sich der abstrakten Malerei genähert hat. Diese Entwicklung wird in der Ausstellung für Picasso und Leger hinreichend belegt, während Braque nur durch zwei Stilleben und die linearen Blätter Helios und Persephone, und der früh verstorbene Gris durch vier Lithos (Buchillustrationen) vertreten ist. Von Leger überrascht vor allem die „Studie von Beinen und Armen“ (Tusche 1951), von Picasso können die sehr kompakten Lithos „Banderilles“, „Venus und die Liebe“, auf schwarzem Grunde, „Das gestickte Wams“, „Köpfe und Stein“ faszinieren; in ihnen zeigt sich die Souveränität eines Meisters, der auch in der flüchtigen Skizze vollkommen sein kann. Alle gezeigten Blätter sind nach 1946 entstanden. — Schließlich werden einige verwaschene Blätter von Andre Masson gezeigt, die eine Synthese von Impressionismus und modernen Inhalten versuchen. Die Zeit wird sie hinwegspülen.

Im Rahmen der „Französischen Woche“, die das Bundesministerium für Unterricht veranstaltet, zeigt der Kunstverlag Wolfrum am Lobkowitzplatz eine sehr informative Schau von Reproduktionen der Werke französischer Künstler aus dem 19. und 20. Jahrhundert, die die von uns angedeutete Entwicklung illustrieren.

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