6696974-1963_10_19.jpg
Digital In Arbeit

Nach hartem Winter

Werbung
Werbung
Werbung

Es ist ein wenig sinnvoller Zug unserer auf Sensationen und Superlative eingestellten Zeit, Ereignisse darnach zu werten, ob sie größer oder bedeutungsvoller als vorhergehende vergleichbare seien. Von einer Institution wie die Wiener Messe, die seit über vier Jahrzehnten — von einer relativ kurzen Zwangspause abgesehen — zweimal jährlich mit umfassenden Leistungsschauen der Wirtschaft vor die Öffentlichkeit tritt, darf man nicht erwarten, daß sie sich jedesmal mit sensationellen Neuerungen oder sprunghaften Wachstumsraten selbst übertrifft. Natürlich ragen aus einer so langen Reihe von Veranstaltungen manche besonders hervor, sei es durch den Zeitpunkt oder außergewöhnliche Unistände der Durchführung oder wesentliche Erweiterungen, und selbstverständlich ist die Messeleitung immer wieder bemüht, den einzelnen Frühjahrs- und Herbstmessen durch Sonderschauen, Gemeinschafts- und Fachausstellungen usw. besondere Akzente zu verleihen. Die eigentliche Bedeutung der Wiener Internationalen Messe wie der jeweiligen Messeveranstaltung aber liegt in der Stetigkeit der Gesamtentwicklung, die, wie man mit gutem Grund und einigem Stolz feststellen kann, eine unablässige Aufwärtsbewegung zeigt.

Die bevorstehende 77. Wiener Internationale Messe ist zwar keine Jubiläumsveranstaltung, sie wird auch nicht durch grundlegende Neuerungen charakterisiert. Dennoch beweist die Beteiligung von fast 3000 heimischen sowie beinahe 2000 ausländischen Ausstellern aus 24 Staaten einen — namentlich bei der auswärtigen Beteiligung — sehr erfreulichen Zuwachs.

Daß dieser Messe ein so harter und andauernder Winter vorausgegangen ist wie schon seit langem nicht mehr, mag mehr von symbolischer Bedeutung sein, obgleich er naturgemäß der Wirtschaft zusätzliche Probleme bereitet hat; im übrigen auch der Messeleitung, die unter anderem mit 80 Zentimeter Schneelage auf dem rund 400.000 Quadratmeter umfassenden Gelände fertig zu werden hat. Symbolisch betrachtet aber hat uns dieses Naturereignis wieder einmal recht eindringlich vor Augen geführt, daß man immer auf unvorhergesehene Schwierigkeiten gefaßt und gegen sie gerüstet sein muß, freilich auch, daß man sie bewältigen muß. Solche unvorhergesehene Schwierigkeiten sind in den letzten Wochen auch im Bereich der wirtschaftlichen Integration Europas aufgetreten. Die weitere Entwicklung in dieser gerade für Österreich und seine Wirtschaft so entscheidenden Frage ist ungewiß.

In dieser Situation scheint mir der 77. Wiener Internationalen Messe besondere Bedeutung zuzukommen, und zwar als Demonstration des Leistungswillens und der Leistungsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft und als wichtigem Faktor internationaler Kontaktnahme. Freilich sind dies für die Wiener Messe keine neuen Aufgaben und Funktionen, sondern ihre grundlegenden und ureigensten Missionen von Anbeginn. Aber die vollkommene Erfüllung ist im heutigen Zeitpunkt vielleicht noch wichtiger als in den letzten Jahren, und die Messeleitung hat alle Anstrengungen unternommen, ihren Aufgaben gerecht zu werden. Dazu dienten unter anderem die vorbereitenden Pressekonferenzen, die heuer nicht nur in der Bundeshauptstadt und in den Landeshauptstädten abgehalten wurden, sondern auch in Frankfurt am Main, Zürich und Den Haag, womit die Kontakte zu Ländern, mit denen Österreich enge und besonders wichtige Handelsbeziehungen unterhält, intensiviert wurden.

Ich möchte gerade in diesem Blatte aber auch noch kurz auf ein anderes Gebiet eingehen, das im allgemeinen zuwenig Berücksichtigung findet. Es sind die Beziehungen zwischen Handel und Kultur und die Rolle der Wiener Messe darin. Man ist heute vielfach gewohnt, Gegensätze als naturgegeben anzusehen, obwohl sie es keineswegs sind. Linter diesem Gesichtspunkt werden Konjunktur und Kultur gleichsam als Antipoden betrachtet. So sicher aber kommerzieller und kultureller Aufschwung nicht identisch sein oder Hand in Hand miteinander gehen müssen, so steht fest, daß kultureller. Fortschritt! ohne ein Mindestmaß materiellen Wohlstände' undenkbar ist. Anderseits sind uns auch aus der heimischen Geschichte Epochen bekannt, die Zeiten wirtschaftlicher und zugleich kultureller Hochblüte waren. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, daß die Verleihung des Stapelrechtes an die Stadt Wien im Jahre 1221 durch Leopold den Glorreichen — also ein Privileg, das als erster Vorläufer der Wiener Messe bezeichnet werden kann — in jene „goldene Zeit des jungen Österreich“ fällt, in der nicht nur der Südosthandel mächtig aufstrebte, sondern der Babenbergerhof zu Wien auch ein deutsches und europäisches Kulturzentrum ersten Ranges war. Enge Handelsbeziehungen haben immer auch den Austausch kultureller Güter belebt und gefördert. Ausländische Messegäste verbinden mit ihren primären geschäftlichen

Zwecken oft auch den Besuch von Oper, Museen oder anderen Kulturinsrituten in Wien.

Mit diesen Hinweisen möchte ich nun keineswegs etwa die Wiener Messe selbst als eine kulturelle Institution proklamieren, sondern lediglich an Zusammenhänge erinnern, die gelegentlich wohl übersehen oder zu sehr unterschätzt, werden. Die Messe hat von sich aus derartige Kontakte, wo immer möglich, hergestellt und gepflegt, vor allem durch ihre Sonderschauen und Ausstellungen im Rahmen der verschiedenen Messeveranstaltungen. Bei der heurigen Frühjahrsmesse zum Beispiel wird die Österreichische Jagdausstellung („Österreichs Weidwerk — die Jagd in der Wirtschaft und in der Kunst“) diese Tradition fortsetzen und einem breiten Publikum vor allem von Nicht-jägern aufzeigen, wie vielfältig die Jagd die verschiedenen Zweige der Wirtschaft, aber auch die Kunst befruchtet.

Unmittelbar nach der Frühjahrsmesse wird schließlich die. große Textilhalle im Messepalast als.würdiger Raun} für Kongresse, Ausstellungen und kultureile Veranstaltungen adaptiert werden. Damit wird eine Lücke geschlossen, die derzeit größenordnungsmäßig bei Veranstaltungslokalen in Wien noch zwischen traditionellen Stätten, wie etwa dem Konzerthaus oder Musikvereinssaal einerseits und der Stadthaüe anderseits besteht. Die Wiener Messe A. G. glaubt, mit der Ausgestaltung dieser dann ganzjährig zur Verfügung stehenden Halle über ihre primären Aufgaben hinaus einen weiteren Beitrag zum Nutzen der Wirtschaft und Kultur zu leisten.

Ich hoffe, daß die 77. Wiener Internationale Messe ihre vielfältigen Funktionen voll erfüllen und damit einen weiteren Beweis für die Bedeutung der Wiener Messe, besonders im Hinblick auf die aktuellen wirtschaftlichen Probleme unseres Landes, erbringen wird.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung