Natürliche Kunst, künstliche Natur

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Die außergewöhnliche Arcimboldo-Ausstellung des Kunsthistorischen Museums zeigt den Spätrenaissance-Star in seiner Entwicklung.

Eine schwarze Metallschüssel - randvoll mit Gemüse gefüllt. Ein gewöhnliches Stillleben? Keineswegs. Stellt man das Bild auf den Kopf, so entpuppt sich das Gemüse-Arrangement als menschliches Gesicht. Die Schüssel verwandelt sich in einen Helm, der pralle Rettich in die Nase, zwei Pilze zu den Lippen. "Der Gemüsegärtner" nennt sich das Umkehrbild, das jung wie alt gleichermaßen zum Schmunzeln bringt und zugleich eines der intellektuellsten Werke der Kunstgeschichte ist. Nichts ist, was es auf den ersten Blick scheint. Vertrautes kann plötzlich fremd wirken, Fremdes vertraut. Es kommt nur auf den Standpunkt an, von dem aus man die Dinge betrachtet - scheint Giuseppe Arcimboldo sagen zu wollen.

Intellektuelle Umkehrbilder

Das groteske Vexierbild ist nur eines von zahlreichen Exponaten einer herausragenden Arcimboldo-Schau im Kunsthistorischen Museum. Die monografische Ausstellung über den manieristischen Meister der Täuschung mit an die 150 Werken war bereits im Pariser "Musée de Luxembourg" zu sehen, wo sie vom Publikum - fast 450.000 Besucher - begeistert aufgenommen wurde.

Keine Überraschung. Denn die Bilder Arcimboldos sind aufgrund der Mischung aus spielerischer Leichtigkeit und philosophischem Tiefsinn faszinierend, wie bereits Zeitgenossen des 16. Jahrhunderts erkannten. Schriftsteller, Künstler und Historiker würdigten ihn als kaiserlichen Hofmaler und genialen Erfinder der "scherzi" und "capricci". Die Dadaisten und Surrealisten feierten Arcimboldo zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Vorläufer ihrer paradoxen Bildschöpfungen. Der französische Schriftsteller Roland Barthes erklärte ihn zum "Rhetoriker und Magier", dem es durch einen nahezu wissenschaftlichen Ansatz gelingt, "Verwandlungen aufzuspüren" und einen "Akt des Erkennens" hervorzurufen.

Viel mehr als seine heutige Popularität erstaunt, dass die einzigartigen Bilderfindungen zwar noch im 17. Jahrhundert in aus Früchten und Blumen komponierten Figuren weiterlebten, in der Folge aber Jahrhunderte vollkommen in Vergessenheit gerieten.

Wer war dieser ungewöhnliche Künstler, dem man nur rund 30 Gemälde sicher zuschreiben kann? Und was hat er außer den legendären "Kompositköpfen" noch gemalt? Warum wurde gerade der Mailänder 1562 nach Wien an den kaiserlichen Hof geholt, wo er 25 Jahre zunächst im Dienste Maximilians II. und später Rudolfs II. seine Kreativität entfalten konnte?

Die Ausstellung im Kunsthistorischen Museum versucht, dem Lebens- und Schaffensweg dieses Ausnahmekünstlers nachzuspüren und ihn in seinem historischen Umfeld zu beleuchten. Die monografische Präsentation setzt somit einen bewussten Akzent gegenüber der großen Arcimboldo-Schau, die 1987 im Palazzo Grassi in Venedig stattfand und den Spätrenaissance-Star damals unter dem Titel "Arcimboldo Effect" vor allem als surrealen Vorläufer der Moderne vorstellte. Das jetzige, stärker kunsthistorisch ausgerichtete Konzept der KHM-Renaissancespezialistin Silvia Ferino-Pagden ist auf den ersten Blick weniger spektakulär als die damalige Konfrontation mit den Avantgardekünstlern.

Lustvoller Rundgang

Der Rundgang durch die fundierte Präsentation ist jedoch genauso lustvoll wie erkenntnisreich. Durch die Einbettung der berühmten "Kompositköpfe" in das weniger bekannte Gesamtwerk wird die unkonventionelle Entwicklung Arcimboldos nachvollziehbar So erfährt man zu Beginn der Schau, dass er neueren Forschungen nach aus einer traditionsreichen Malerdynastie stammte. Vor seiner Wiener Zeit zeichnete der stark von Leonardo geprägte Künstler in Italien Glasfenster-, Wappen- und Tapisserieentwürfe, wie ein gewebter Teppich-Entwurf einer Darstellung des Marientodes für die Kathedrale von Como zeigt.

Eine bisher wenig beachtete Sichtweise auf Arcimboldo vermitteln gegen Ende des Rundgangs auch die witzigen Entwurfszeichnungen für Kostüme und Bühnenbilder, die er für Feste und Turniere der Habsburger schuf. Die fantasievollen Ideen für Festausstattungen legen die Vermutung nahe, dass Arcimboldo möglicherweise sogar aufgrund seiner Inszenierungsgabe als Regisseur großer Spektakel und nicht aufgrund seiner malerischen Fähigkeiten an den Wiener Hof berufen wurde.

Überzeugend ist die Akzentsetzung auf den naturwissenschaftlichen Studien Arcimboldos. Durch die Aquarelle von Hirschen, Fasanen und Falken wird sichtbar, dass Arcimboldo die Naturdetails nicht nur als Puzzelteile für seine skurrilen Köpfe benutzte, sondern dass er einer der ersten Künstler nach Dürer war, der mit seinen genau beobachteten Studien von Pflanzen und Tieren die naturwissenschaftlichen Forschungen unterstützte.

Genaue Naturstudien

Die größte Aufmerksamkeit ziehen dennoch die berühmten Serien wie die Jahreszeitenbilder oder die Elemente-Porträts auf sich. Indem die unterschiedlichen Fassungen - von den Jahreszeiten gibt es vier verschiedene Serien - in unmittelbarer Nähe hängen, lassen sich wunderbar Vergleiche und Detailbeobachtungen herstellen. Nicht übersehen sollte man ein ungewöhnliches Bild aus Privatbesitz, das erstmals in einer Ausstellung gezeigt wird: Auf ihm stellte Arcimboldo alle vier Jahreszeiten in einem Kopf dar.

Eine Schau, die nicht nur großes Vergnügen bereitet, sondern auch über das Verhältnis von Kunst und Natur(wissenschaft) nachdenken lässt. Unübersehbar wirft Arcimboldos Werk die gerade jetzt wieder besonders aktuelle Frage auf, was an der Kunst natürlich und was an der Natur künstlich sei. Zugleich thematisiert er das Verhältnis von Mikro- und Makrokosmos - auch die Beziehung zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen und anorganischen Objekten. Angesichts dieses faszinierenden Rundgangs hätte man sich den zeitgenössischen Anstrich ersparen können, den man der Ausstellung verpassen wollte, indem vor dem Eingang wenig überzeugende Fotos von Installationen á la Arcimboldo des Künstlers Bernard Pras platziert wurden.

Arcimboldo 1526-1593

Kunsthistorisches Museum

Maria-Theresien-Platz, 1010 Wien

www.khm.at

Bis 1. 6. Di-So 10-18 Uhr,

Do 10-21 Uhr

Katalog hg. v. Silvia Ferino-Pagden, Wien 2008, 320 S., € 29, 90

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