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Neubelebung des Chorgesanges

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Jedes singende Volk versucht auf seine Weise die Erneuerung chorischen Lebens und wirkt eben dadurch über seine Grenze. Denn Chorgesang überwindet Fernen und macht noch die fremdeste Sprache verständlich, wenn er nur in der eigenen etwas zu sagen hat. Dies hatte der in buntem Trachtenbild auftretende russische Pjatnitzki-Volks-c h o r, der in betontem Gegensatz zum „Gesangverein“ Lied- und Tanzgut seiner Heimat, auf alten und neuem Volksinstrumenten begleitet, singend, spielend und tanzend vorführte. Entscheidend ist hier weder die Kunst eines geistreichen Chorsatzes noch die stimmliche Differenzierung, sondern der Ausdruck pulsierenden Lebens, restlose Gegenwärtigkeit, daher der Gesang nicht Selbstzweck, sondern mit Tanz und Instrumentenspiel immer wieder vereinigt, gleichsam selbst als Instrument erscheint. Der verwirrenden Buntheit des Programms lag eine spürbare innere Einheit zugrunde, die bewußt das tänzerische Element als das in diesem Falle bedeutendste in den Vordergrund stellte, ohne die Basis des chorischen Volksliedes zu verlieren.

Die hier von Volkslied und -tanz ausgehende Belebung suchte der holländische Männerchor KoninklijkHeerlensMannenkoor St. Pancratius durch beispielhafte Universalität des Programms von Josquin de Pres bis Hindemith zu erreichen. In der Tat überraschte die Exaktheit und Sauberkeit, die rhythmische Gewandtheit sowie die Reinheit der vielsprachigen Textierung ebenso wie die stilistische Vielfalt des Gebotenen —i unseren heimischen Männerchören (die wohl Weichheit und Biegsamkeit der Stimmen voraus haben) zum fast beschämenden Beispiel. Auch dieser niederländische Arbeiterchor widmete einen wesentlichen Teil des Abends dem Volkslied und der ihm entspringenden neuen Linie des Chorliedes, leistete jedoch sein Bestes in alten und neuen Motetten, etwa Lassos „Vilanella“ und Milhauds „Psaume 121. Paul Hindemiths Satire „Fürst Kraft auf einen Text von Gottfried Benn lernten wir überhaupt erst durch die holländischen Bergleute kennen, was zumindest einer gewissen Pikanterie nicht entbehrt.

Eine andere Gruppe von Chören — unsere heimischen besten gehören ihr zu — erneuert sich in der ständigen Betreuung der großen Meisterwerke aller Zeiten, die ihrem Können und geistigen Habitus fast allein vorbehalten sind. In der II. Philharmonischen Akademie unter Clemens Krauß bot der Wiener Staatsopernchor als Kostbarkeit die von Hans Pfitzner instrumentierten und durch Zwischenspiele verbundenen .Acht Frauenchöre“ von Robert Schumann in gesanglich einmaliger Ausgewogenheit und feinster Differenzierung der Stimmen. Weder die folgende „Nänie“ von Brahms noch Beethovens vorausgehende Chorphantasie (mit Barbara

Issakides als Pianistin) erreichten chorisch die gleiche Höhe, während die „Liebesliederwalzer“ in der hier gebotenen, von Brahms selbst für Chor und Orchester eingerichteten Suite wohl Seltenheitswert besitzen, im übrigen jedoch der vierhändigen Klavierfassung nachstehen. Den symphonischen Epilog der Akademie bildete eine echt philharmonische Interpretation von Dukas' „Zauberlehrling“ und Rezniceks „Donna-Diana'-Ouvertüre.

Ein Mozart-Konzert des Kammerorchesters der Wiener Konzerthausgesellschaft bot im ersten Teil unter Franz Lit-schauers Leitung die Konzertante Symphonie für Violine und Viola (K. V. 364), in deren Solopart sich Edith Steinbauer und Herta Schachermeier teilten, und das Klavierkonzert Es-dur (K. V. 482) mit Paul Badura-Skoda als Solisten, der durch sein technisch klares und musikalisch impulsiertes Spiel ebenso wie durch seine feine mozartische Stilsicherheit auffiel. Der zweite Teil brachte unter Dr. Reinhold Schmid die „Vesperae solemnes de con-fessore“ (K. V. 339) mit dem Chor der Wiener Singakademie, der diese Folge von sechs gegeneinander genial differenzierten Chören, in denen nur der Sopran sich einigermaßen solistisch betont (Ilona Steingruber), als eine seiner besten Leistungen buchen kann, wenn auch eine gewisse Spannung zwischen den Davidschen Psalmen und Mozartschen Melodien wohl nicht überbrückt werden kann.

Die Verbindung Singakademie-Kammerorchester war für beide Teile Ansporn und Gewinn und dürfte es bei anfälliger Intensivierung auch für das Publikum werden.

Prof. Franz Krieg

Auf den Tag genau: an einem Karfreitag — der, wie in diesem Jahr, auf den 7. April fiel, im ersten Jahr von Bachs Leipziger Amtstätigkeit (1723) — erklang die Johannes-p a s s i o n zum erstenmal, die heuer an die Stelle der traditionellen Matthäuspassion trat. Eugen Jochum dirigierte den großen Chor des Singvereins der Gesellschaft der Musikfreunde und die Wiener Symphoniker. Irmgard Seefried, Rosette Anday, Julius Patzak und Hans Braun waren die Solisten. Alois Forer spielte die Orgel, Karl Piß das Cembalo. Der Hauptanteil am Gelingen dieser monumentalen Aufführung, die auf den elf Chorälen und auf den fugierten Chören ruhte, kam dem Singverein zu, der sowohl in bezug auf Präzision als auch auf dynamische Differenzierung Vorzügliches leistete. Einzelne Choräle, besonders der am Beginn des zweiten Teiles, wurden von Jochum in Tempo und Dynamik sehr „romantisch“ aufgefaßt und entfernten sich beträchtlich vom Grundzeitmaß und dem spezifischen Stil des evangelischen Chorals. Julius Patzak sang den Evangeliston und die überaus schwierigen, fast instrumental geführten Tenorarien mit einer Vollkommenheit, die kaum zu überbieten ist.

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