Hannah Höch: Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands - © Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2021. Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin / Jörg P. Anders

Neue Nationalgalerie in Berlin: Die Zeit im Bild

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Mit ihrer Ausstellung „Die Kunst der Gesellschaft 1900-1945“ zeigt die Neue Nationalgalerie in Berlin künstlerische und politische Veränderungen.

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Mit ihrer Ausstellung „Die Kunst der Gesellschaft 1900-1945“ zeigt die Neue Nationalgalerie in Berlin künstlerische und politische Veränderungen.

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Hannah Höchs „Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands“ von 1919 gilt als ein Epochenbild der Weimarer Republik. Der Schnitt der Künstlerin durch ihre Zeit ist zunächst ein ganz und gar buchstäblicher: Höch schnitt ihr Material aus der Berliner Illustrirten Zeitung aus.

Zerschnitten und neu zusammengesetzt wurden aber auch die etwa 50 Personen, die in diesem Bild wimmeln. So erkennt man den Kopf des noch jungen Albert Einstein, allerdings ohne die berühmten Haare, dafür mit Insekt, darüber dampft eine Eisenbahn den Schriftzug „Legen Sie ihr Geld in dada an!“. Der Kopf von Paul von Hindenburg findet sich auf dem Körper einer Tänzerin und wendet sich in dieser Gestalt dem letzten deutschen Kaiser zu, Wilhelm II.

Maschinenteile zeigt das Bild und Männer, viele Männer, aus Politik, Wirtschaft, Militär und Wissenschaft. Im Eck rechts unten dagegen lockt die Welt der Dadaisten. Da ist auch Hannah Höch zu sehen und eine Europakarte hebt jene Länder hervor, in denen es Wahlrecht für Frauen gibt.

Ein Schnitt in die Zeit und aus der Zeit, genauer den Jahren 1900 bis 1945, ist auch die Ausstellung „Die Kunst der Gesellschaft“, die Hannah Höchs Bild präsentiert. 2020 wurde die von David Chipperfield seit 2015 mit großem Aufwand, weil denkmalgerecht, sanierte Neue Nationalgalerie von Mies van der Rohe in Berlin wiedereröffnet. Man könnte den aus der Sammlung der Nationalgalerie gezeigten Bildern historisch-­chronologisch entlang des Laufs der politischen Geschichte folgen, die in diesen Werken auch erzählt wird. Die Ausstellung ermöglicht dann in dreizehn Kapiteln von „Leben und Reform“ bis hin zu „Krieg und Vernichtung“ einen Gang durch die politischen Veränderungen dieser Zeit.

Doch der offene Glas- und Stahlbau gibt keinen konkreten Weg vor und ermöglicht damit – mit Ausblicken hinaus ins Freie, ins Heute –, die Bilder ohne vorgegebene Linearität anzuschauen und die Gleichzeitigkeit der künstlerischen Stile zu erleben, die sich in dieser Zeit entwickelt haben, vom Zerbrechen der Zentralper­spektive hin zum Abstrakten. Da steht man in einem Raum mit Kubismus, Expressionismus, Dada, Neuer Sachlichkeit – das Museum wird zur Collage und man ist mitten drin.

Es zeigt den Traum vom Fortschritt (etwa bei Robert Delaunay) ebenso wie den Abgrund. In die Schlachtfelder von Otto Dixʼ verwüsteter Landschaft „Flandern“ (1934-36) sind die Kriegstoten gesunken. Die Bilder zeugen aber auch von den Vorzeichen für das, was erst noch kommen sollte. George Grosz zitiert in „Stützen der Gesellschaft“ Henrik Ibsens gleichnamiges Stück von 1877 und betreibt auch in diesem „modernen Historienbild“ eine Gesellschaftsaufstellung. Da findet man einen als Mitglied einer schlagenden Verbindung ausgewiesenen Juristen, mit Hakenkreuz zudem als Mitglied der NSDAP gekennzeichnet. Hinter, über ihm ein Vertreter der Presse, der Bleistift eine Waffe, der Nachttopf ein Stahlhelm. Die Haltung des Parlamentariers daneben verrät das Fähnchen usw. Ganz oben, hinten, im Schutz dieser „Stützen“, marodieren Soldaten. Und das Haus, zeigt Grosz im Jahr 1926, es brennt.

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