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Neue Sterne

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Der sinnige Mythos, daß bei der Geburt jedes Menschen ein neuer Stern äm Himmel entzündet Würde und beim Tode als Sternschnuppe wieder herabfiele, konnte der nüchternen wissenschaftlichen Prüfung der Tatsachen nicht standhalten. Desto mehr erregte es von jeher die Aufmerksamkeit der Astronomen, wenn bisweilen wirklich ein vorher nie gesehener heller Stern plötzlich irgendwo am Himmel aufflammte und, ohne seinen Platz zu verändern, nach kurzem Glanz wieder verblaßte, um endlich nach Wochen oder Monaten scheinbar gänzlich zu verlöschen. Die planmäßige Erforschung der neuen Sterne begann aber erst mit den sorgfältigen Beobachtungen, die Tyge Brahe an der Erscheinung von 1572 anstellte. Neben der Verfolgung des Helligkeits- und Farbenwechsels War der durch genaue Messungen erbrachte Nachweis höchst bedeutungsvoll, daß es sich, entgegen damals verbreiteter Meinung, nicht um eine atmosphärische Erscheinung handelte, sondern um einen wirklichen Himmelskörper weit jenseits des Mondes, ja wahrscheinlich jenseits des äußersten Planeten, und folglich von sehr bedeutender wahrer Größe Und Leuchtkraft.

Die Entwicklung des modernen physikalischen Denkens sträubte sich freilich gegen den Gedanken, daß Sterne im eigentlichen Sinne „neu“ entstehen sollten. Und Wirklich gelang in den letzten Jahrzehnten bei einer Anzahl heller neuer Sterne durch genaue Prüfung

älterer photographischer Aufnahmen der sichere Nachweis, daß äh derselben Stelle schon früher ein unscheinbares Sternchen zu sehen war, etwa ebenso hell wie die „Exnova“ mehrere Jähre nach ihrem Lichtausbruch. Auch Beispiele wiederkehrender neuer Sterne, die in Abständen von Jahren oder Jahrzehnten Wiederholt aufleuchteten, sind bekannt. Die neuen Sterne oder Novae Waren damit als eine besondere Gattung der helligkeitsveränderlichen Sterne erkannt; doch behielt man die herkömmliche Bezeichnung als Fachausdruck bei.

Von normalen neuen Sternen wissen wir, daß sie vor und nach ihrem Ausbruch ungefähr dieselbe wahre Leuchtkraft haben wie die Sonne (mit sehr erheblicher Streuung um einen etwas höhergelegenen Mittelwert). Wahrscheinlich infolge ihres ungewöhnlich geringen Gehaltes an Wasserstoff entsteht nach und nach in ihrem Innern eine instabile Schichtung, die schließlich zu explosionsartigem Umsturz führt, Mit gewaltiger Geschwindigkeit treibt dann der Stern die äußeren Schichten seiner heißen Gashülle von sich weg, gleichsam wie eine — oftmals mehrschichtige — Seifenblase, die schließlich zerreißt, Vor allem dieser vorübergehenden ungeheuren Vergrößerung der strahlenden Oberfläche des Sterns ist die unvorstellbare Helligkeit zuzuschreiben) die im Maximum meist das Zehntausend- bis Hundert-tausendfache der Sonne erreicht. Der ganze Vorgang wird von Verwickeitert physischen Veränderungen begleitet, die hier im einzelnen nicht ausgeführt werden können. Es ist sonach aber jedenfalls verständlich, daß sich nach dem Ausbruch, der dem Stern nur einen geringfügigen Massenverlust verursacht, allmählich wieder derselbe Zustand einstellt wie vorher, so daß wahrscheinlich alle Novae, wenn auch nur in Zeit-abstähden von Jahrtausenden, wiederholte Ausbrüche erleben.

Von einigen, leider schon in der Zeit vor Erfindung des Fernrohres und des Spektroskops erschienenen Novae unserer Milchstraße, nämlich jenen von 1054, 1572 und 1604, mußte man auf Grund von Messungen beziehungsweise Schätzungen ihrer Mindestentfernung darauf schließen, daß ihre Maximalhelligkeit in Wahrheit noch über tausendmal größer gewesen sein mußte als die der normalen neuen Sterne. Dasselbe zeigte sich bei dem neuen Stern des Jahres 1885 im Großen Andromedanebel und einer ganzen Anzahl ähnlicher Objekte in anderen Sternsystemen (= Spiralnebeln). Hatte man auch hier in keinem Fall den Stern vor seinem Ausbruch beobachten können, so dachte man doch zunächst, daß es sich dabei um Novae riesenhaften Ausmaßes handelte, die man demgemäß als Supernovae bezeichnete. Die nähere Prüfung führte aber zur Scheidung in zwei Typen und zu der Überzeugung, daß der Vorgang beim Supernovatypus I wesentlich von einem gewöhnlichen Novaausbruch verschieden Mi. Ja, man durfte sogar die Vermutung Wagen, daß diese „echten“ Supernovae im vollen und eigentlichen Sinne des Wortes „neue“, das heißt vorher überhaupt noch nicht dagewesene Sterne seienl

Zu dieser zweifellos kühnen Hypothese — es wäre verfrüht, sie schon als sichere Tatsache hinzustellen, so viel auch für sie sprechen mag — führten jedoch nicht in erster Linie die irrimerhin noch recht lückenhaften astrophysikalischen Beobachtungen art den ausnahmslos sehr weit entfernten Supernovae; ausschlaggebend sind vielmehr bis jetzt Überlegungen und Berechnungen von Pascual Jordan über den Bau des gesamten Weltalls, die letzten Endes auf der allgemeinen Relativitätstheorie in Anwendung auf ein endliches Universum fußen. Daß Materie, oder besser gesagt Masse, wenigstens zu einem gewissen Teil in Energie umgesetzt werden kann, ist eine sogar schon technisch realisierte Folgerung des Äquivalentprinzips der Relativitätstheorie, und Umgekehrt muß man auch mit der Möglichkeit der Materialisation von Strahlung rechnen. Bei der Sternentstehung nach Jordan würde es sich aber um einen „energiekostenfreien“ Vorgang, um eine Schöpfung von Sternen buchstäblich aus nichts handeln. Mit der Erschaffung eines ersten Neütrorten-paares hätte dieser Prozeß am Anfang der Zeiten begonnen, und würde mit der Neubildung von immer größeren, jedoch mit der Zeit immer wenigeren Sternen bis heute und in die fernere Zukunft fortgesetzt.

Wenn das wahr wäre, so bedeutete das einen tödlichen Stoß gegen ein materialistisches Verständnis det physischen Welt und ebenso gegen jenen praktisch davon kaum verschiedenen Deismus, welcher meint, daß Gott das Weltuhrwerk zwar vor Zeiten geschaffen und in Gang gesetzt, aber dann seinen eigenen Gesetzen überlassen habe. Wie aber stellt sich, Jordans Hypothese als richtig vorausgesetzt, der christliche Theismus dazu? Daß die Materie 6ich selbst aus nichts ins Dasein schaffen könnte, ist jedenfalls absurd. Aber müßte man nun nicht für die Erschaffung jedes einzelnen Sternes ein Wissenschaftlich Unkontrollierbares Eingreifen Gottes annehmen? Nein, es gibt noch eine dritte Möglichkeit, die in nuce bereits die scholastische Philosophie bereit hält, wenn sie den Begriff der cieatio c o n t i n u a, der fortgesetzten Schöpfung gebraucht. Sie will damit sagen, daß Gott flicht nur einmaliger Verursacher des Weltanfangs war, Während dann die Welt, in sich autonom, fortgesetzte Ursache ihrer fortschreitenden Entwicklung wäre, sondern Gott ist beständig unmittelbare Ursache der Welt, Erhalter ihres Daseins Urid ihres SoSeinS.

Nun galt es freilich bis Vor kurzem auch für Physiker und Philosophen als beinahe selbstverständlich, daß trotz allen Wechsels der Erscheinungen die Quantität der Materie in der Welt unveränderlich sei. Aber wenn man der Materie nicht unbegründeterweise einen besonderen Grad der Persistenz zuschreibt, scheint der Begriff der fortgesetzten Schöpfung ebensogut anwendbar, wenn die Menge der Materie voft Augenblick zu Augenblick zunimmt, wie Wenn lediglich qualitative Veränderungen mit ihr vorgehen. Es ist nun, wie bereits früher angedeutet, ein wesentlicher Teil der Hypothese Jordans, daß sowohl die durchschnittliche Anzahl Wie die Mindestmasse der neu entstehenden Sterne im statistischen Sinne „berechenbar“ seien. Das Gesetz, welchem die Neubildung von Supernovae des Typus I folgt, reiht sich demnach den übrigen statistischen Gesetzen der Physik an, mit dem einzigen Unterschied, daß es sich bei den uns geläufigen Beispielen dieser Art (radioaktiver Zerfall, kinetische Gastheorie usw.) um Atome und Moleküle, hier aber um ganze Sterne als „Elementarteilchen“ handelt. Weder hier noch dort kann man jedoch von „unkontrollierbarem Eingreifen“ sprechen. Vielmehr zeugen die beobachtbaren Gesetzmäßigkeiten, seien sie auch nur statistischer Art, von der Weisheit des Schöpfers, der die Welt fortgesetzt als einen Kosmos realisiert, in dessen Ordnung denkende Wesen sich zurechtfinden, und auf Grund deren sie Ziele anstreben und verwirklichen können.

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