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Neues goldenes Prag

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Die Restaurierung des historischen Viertels und die Belebung der traditionellen Einkaufsboulevards lassen Prag in neuem Glanz erstrahlen.

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Die Restaurierung des historischen Viertels und die Belebung der traditionellen Einkaufsboulevards lassen Prag in neuem Glanz erstrahlen.

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Fünf Jahre nach der unblutigen Verabschiedung vom Kommunismus sind die Fremden in Prag so zahlreich wie nie. Das tausendjährige Prag erlebt seine Rückkehr nach Mitteleuropa. Rund 400 Jahre dieser Geschichte verbinden Prag und Wien, denn 392 Jahre war Böhmen habs-burgisch, und diesen Jahrhunderten begegnet man in Prag auch noch heute auf Schritt und Tritt. Zwar sind auch die 40 Jahre Kommunismus - leider - immer noch gegenwärtig, an der Beseitigung dieses Erbes wird jedoch mit Nachdruck gearbeitet, und die Ergebnisse bisher können sich sehen lassen. Das umfangreiche Restaurierungs- und Renovierungsprogramm in bezug auf die historischen Viertel Prags hat in den letzten Jahren sehr bemerkenswerte Resultate gebracht. Ein Programm - das muß man fairerweise anmerken - das noch weit in die Zeit vor 1989 zurückreicht und trotz finanzieller Nöte mit großer Umsicht und Konsequenz durchgeführt wurde.

TOURISTISCHE PFUCHTPUNKTE

Auf jeden Fall sollte man sich viel Zeit für die fünf historischen Viertel nehmen; für die Altstadt, für die sogenannte „Neustadt" (deren Gründung auf das Jahr 1348 zurückgeht), den Hradschin, die Prager Burg, die zwischen Moldau und Burg gelegene Kleinseite sowie den Vysehrad, den zweiten Burgberg Prags.) Ich erspare mir die Aufzählung der touristischen Pflichtpunkte vom Altstädter Rathaus über den alten jüdischen Friedhof und die Karlsbrücke zum Hradschin mit Veitsdom und Gold-'gäßchen, da mit Recht angenommen werden kann, daß diese Sehensvrär-digkeiten nicht nur Pragbesucher, sondern auch Menschen bekannt sind, die Prag noch nicht gesehen haben.

Das Faszinosum Prags ist die Tatsache, daß diese Stadt durch die Gunst der Geschichte in unserem Jahrhundert vor Zerstörung weitestgehend verschont blieb. Prag war weder Kriegsschauplatz im Zweiten Weltkrieg, noch waren die kommunistischen Machthaber in der Zeit danach finanziell in der Lage, die Verschandelungen zu errichten, die vielen europäischen Großstädten in den fünfziger und sechziger Jahren zuteil wurden. (Diese Viertel gibt es - wie in fast allen größeren Städten der Tschechoslowakei - am Stadtrand, wo Wohnsiedlungen errichtet wurden, die sicherlich nicht nur auf den Besucher einen bedrückenden Eindruck machen.)

Deshalb gibt es in Prag fast völlig intakte gotische und barocke Viertel und auch die Renaissance ist an der Moldau stark vertreten. Auch wenn der Vergleich gewagt erscheint: architektonisch ähnelt Prag durchaus Venedig, wo ebenfalls Gotik, Renaissance und Barock in einer unvergleichlichen Symbiose miteinander und nebeneinander - ungestört durch spätere Einfügungen - bestehen.

JUGENDSTILVIERTEL

In Prag kommen dann jedoch noch mehrere hochinteressante Jugendstilviertel beziehungsweise -ensembles hinzu, die in dieser Geschlossenheit einzigartig sind. t Aufgrund der Fülle, die sich dem Besucher bietet, ist es gar nicht einfach, in Kürze Rezepte oder Tips für diese Stadt zu geben. Allein der Du-mont-Kunst-Reiseführer über Prag ist immerhin 430 Seiten dick. Wer sich also für Geschichte, für Architektur, für Kunst interessiert, kommt in Prag auf jeden Fall auf seine Rechnung. Ungezählte Kirchen, Paläste und Bürgerhäuser erstrahlen heute (wieder) in neuem Glanz. Manche der Palais wurden mit ausländischer Hilfe errichtet und werden heute als äußerst repräsentative Botschaftsgebäude genutzt, die sich leider einer Besichtigung entziehen. So zum Beispiel haben die USA, die Bundesrepublik Deutschland, aber auch Frankreich wunderschöne Barockpalais auf der Kleinseite bezogen, während sich die Residenz des österreichischen Botschafters auf dem Hradschin unweit vom Sitz des Präsidenten befindet. Das Kinsky-Palais in der Hybernska-Straße, das jahrelang als Lenin-Museum dienen mußte, ist inzwischen (wie aucli einige andere kommunistische Erinnerungsstätten) geräumt und wird einer neuen Bestimmung zugeführt. Apropos Kinsky-Palais: es gibt derer zwei in Prag, sowie noch eine Villa gleichen Namens, die heute allesamt als Museen verwendet werden (beziehungsweise wnrden). Auch drei Palais Czernin gibt es, sowie zwei Palais Lobkowicz. Und auch die Palais Schwarzenberg, Clam Gallas oder etwa Palffy erinnern den Besucher aus Wien an seine Heimatstadt. Auf Schritt und Tritt wird man an die vielfältigen Bezüge erinnert, die Prag und Wien über Jahrhunderte miteinander verbunden haben; nicht nur das Herrscherhaus und der Adel haben diese Verbindung hergestellt, sondern auch die Kultur. Das Thema „Mozart in Prag" wird nicht nur von der Prager Tourismusindustrie stark gespielt, sodaß es schwierig ist, an keiner Mozartgedenkstätte oder Mozart-Aufführung vorbeizukommen und auch die architektonischen oder literarischen Bezüge, die die beiden Hauptstädte verbinden, sind stets präsent.

In vielen der ehemaligen Palais befinden sich heute Museen: so zum Beispiel ist das Heeresgeschichtliche Museum im Palais Schwarzenberg, das dominierend am Hradschin-Vorplatz gelegen ist, untergebracht. Im Sternberg-Palais und im Kinsky-Palais werden hervorragende Gemälde- beziehungsweise Grafiksammlungen gezeigt; im Palais Lobkowicz (auf dem Hradschin) kann man die tschechische Geschichte Revue passieren lassen. Auch Prager Klöster wurden als Museen verwendet, so zum Beispiel das ehemalige Agnes-Kloster (tschechische Malerei des 19. Jahrhunderts) oder das Kloster Stra-hov, das bis vor kurzem als Museum des „nationalen Schrifttums" dienen mußte. In der Zwischenzeit wurde auch dieses Kloster geräumt «und wieder den Prämonstratensern übergeben, wobei Teile der Anlage, vor allem die zwei großartigen Bibliothekssäle, besichtigt werden können.

Aber genug von Geschichte und Museen; wer sich näher mit Prag beschäftigen will, wird nicht daran; heramkommen, sich einen ordentlichen Reiseführer zu besorgen, den dieser Artikel ohnehin nicht ersetzen kann. Zu den zahlreichen Kunstschätzen kommt, daß Prag schon durch seine natürliche Lage begünstigt wird. Im Unterschied zu Wien, das eigentlich nicht an der Donau, sondern bestenfalls am Donaukanal liegt, liegt Prag tatsächlich an der Moldau, die die Stadt gleichzeitig teilt und verbindet. 23 Kilometer hat Prag in seinen Mauern, acht Flußinseln gibt es, und 14 Brücken, darunter die weltberühmte Karlsbrücke, die man nicht einmal, sondern mehrmals besuchen sollte, und zwar zu verschiedenen Tageszeiten, um jeweils wechselnde Stimmungen genießen zu können.

Des weiteren verfügt Prag angeblich über 500 Türme sowie 2.000 Cafes und Restaurants - wir haben sie nicht gezählt, aber es gibt deren viele, und die gastronomische Qualität steigt proportional mit der Anzahl der Betriebe, die in private Hände gelangen. Denn während es einem in einem staatlichen Betrieb noch immer passieren karm, daß der gelangweilte Ober in einem menschenleeren Lokal darauf verweist, daß alle Tische reserviert seien, überschlägt man sich in den privaten Gaststätten und Restaurants für jeden einzelnen zahlungskräftigen, devisenbringenden Gast (zum Beispiel im „Roten Rad", U cervena Kola, gleich neben dem Agneskloster).

HINTERGRÜNDIGES PRAG

Daß auch der Nepp in Prag bereits Einzug gehalten hat, sei nur am Rande vermerkt; der findige Reisende wird es achselzuckend zur Kenntnis nehmen und versuchen, neben den touristischen Pflichtstationen auch das noch unberührte, das weniger vordergründige Prag zu entdecken. Ein lohnendes Unterfangen, auch wenn man die Landessprache nicht beherrscht, denn erstaunhch viele Menschen in dieser Stadt sind des Deutscheri mächtig, und zwar nicht nur die Älteren, sondern auch erstaunlich viele junge Tschechen, die es schon wieder erlernt haben.

Jeder Besucher wird sein persönliches, individuelles Prag entdecken; das historische Prag, das architektonische Prag, das literarische Prag eines Kafka, Werfel, Kisch oder Rilke, die Stadt des Jugendstils oder das Prag der romantischen Spaziergänge-

Wo sich früher staubige, leere Regale befanden, lockt heute ein ständig verbessertes Angebot zu kompe-titiven Preisen bereits auch westliche Käufer. Die traditionellen großen Einkaufsboulevards (Wenzelsplatz, Graben, Narodny-Straße) werden bald wieder das Flair und das Angebot haben, für das sie einmal berühmt waren. Wer nicht nur „Pflastertreten" will, findet am Petrin (Nähe Hradschin) in der Stro-movka, im Letna Park oder auch im Schloß Stern interessante Spaziergänge.

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