Nostalgiereise durch die Zips

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Am Fuß der Hohen Tatra, unweit der polnischen Grenze, liegt ein Land, wo einst Milch und Honig flossen.

Später Nachmittag an einem Wochentag in der Zips (SpiÇs): Die Kirchen sind voll, nicht nur alte Menschen verrichten ihre Andacht, auch junge sind anwesend. Und überall das gleiche Bild - in den katholischen, orthodoxen, griechisch-katholischen und protestantischen Gotteshäusern: die Slowaken, die Ungarn, die wenigen Deutschen, die hier leben, sind gläubig. Nicht von ungefähr, denn sie alle haben den Kommunismus überlebt, einige von ihnen fühlen sich nicht nur als Überlebende, sondern als Sieger.

Emilie W., heute 76-jährig und Beschließerin der protestantischen Gemeinde von Käsmark (Kezmarok), bringt es auf den Punkt: "Ich war viermal verlobt, zweimal verheiratet, wie hätte ich mich da vor den Kommunisten fürchten sollen? Die Kirche war nicht zu besiegen, ich habe den Abzug der Kommunisten und Russen genossen. Heute sind wir eine kleine Gemeinde von ein paar hundert Gläubigen, fast alle Deutschen wurden vertrieben. Ich bin begeisterte Deutsche und bleibe es auch. Ich erinnere mich noch genau an Wien, als ich im Jahr 1941 auf der Mariahilferstraße ging und von Hans Moser ein Autogramm erhielt. Sein Foto hat einen Ehrenplatz in meiner Wohnung. Marika Rökk habe ich damals auch getroffen, die lebt doch noch?"

Emilie W. lebt seit ihrer Geburt in Käsmark, einer der alten wunderschönen deutschen Städte, die über Jahrhunderte den Charakter der Zips bildeten. Diese historische Landschaft, die sich von der Hohen Tatra bis zum slowakischen Erzgebirge erstreckt, hat ihren Namen seit dem 13. Jahrhundert. Die slowakischen Bauern nannten sie damals schon SpiÇs, die ungarischen Magnaten Szepes. Der Ungarnkönig Géza II. förderte im 13. Jahrhundert die Ansiedlung deutscher Kolonisten in der Zips. Den "Zipser Sachsen", wie sich die deutschen Siedler nannten, gelang es, ihre Unabhängigkeit gegenüber den ungarischen Königen und später, als ein Teil der Zips an Polen verpfändet wurde, gegenüber den polnischen Herrschern zu bewahren. Sie schlossen sich zum "Bund der 24 freien Städte der Zips" zusammen, durften einen eigenen Grafen wählen, hatten eigene Gerichtsbarkeit, das Jagd-, Fischerei-, Rodungs- und Schürfrecht und wählten frei Richter und Pfarrer. Zum Sitz des Grafen und damit zum Hauptort der Zips erkor der Bund der 24 die Königsstadt Leutschau (LevoÇca). Ab dem 15. Jahrhundert verschlechterte sich die Lage der Zipser Städte. Aufstände des ungarischen Adels gegen die Habsburger und Türkenkriege brachten den Handel zum Erliegen, der Bergbau ging zurück. Nach dem Dreißigjährigen Krieg gelangten die Städte unter starken ungarischen Druck, unter anderem unter den Einfluß der Magnatenfamilien Zapolya, Thurzo, Thököly. Den verpfändeten Teil der Zips besetzten die Österreicher im Jahr 1769 unter Graf Imre Esterházy; sie vereinten alle Gemeinden wieder unter einer Hand, diesmal der habsburgischen.

Gotik & Renaissance

Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Ende des mit dem NS-Regime verbundenen selbständigen slowakischen Staates wurden nahezu alle Zipser Sachsen des Landes verwiesen. Einige wenige Tausend verblieben in dem nun wieder Tschechoslowakei genannten Staat. Seit der Abtrennung der Slowakei im Jahre 1993 bemüht man sich, den Charakter der deutschen Städte wieder aufleben zu lassen und auf diese Weise Touristen aus dem Westen anzulocken.

Das Kernland der Zips beherrscht die größte Burganlage Mitteleuropas, die Zipser Burg (SpiÇssk´y Hrad). Hier residierte im 15. Jahrhundert der ungarische König Matthias I. Corvinus, der sie in der Folge weiterschenkte. Ausgebaut von den Zapolyas, wurde die Anlage von der Familie Thurzo übernommen, ehe sie im 18. Jahrhundert an die Habsburger fiel. Vom Söller des mächtigen Bergfrieds hat man einen phantastischen Blick auf die fruchtbaren und waldreichen Hügel- und Flusslandschaften des Zipser Landes, im Rücken die mächtige Kulisse der Hohen Tatra, im Osten eine bukolische Landschaft, die an die nördliche Toskana erinnert. Vielleicht auch deshalb hat man hier, wie im benachbarten Zipser Kapitel (SpiÇssk´y Kapitula), in dem sich im 13. Jahrhundert die Pfarren der Zipser Städte zu einer Bruderschaft zusammenschlossen, neben der deutschen Gotik als Kontrapunkt italienische Renaissancebauten eingefügt. Die Renaissance in der Zips verstärkt freilich nur den südlichen Charakter, die Kunst allein gehört der Gotik: Die schönsten Holzschnitzaltäre der Welt findet man in der Zips, zumeist vom Meister Paul von Leutschau im 16. Jahrhundert geschnitzt. In Bartfeld (Bardejov), einer Stadt mit 30.000 Einwohnern, finden sich allein in der gotischen Ägidienkirche elf spätgotische Flügelaltäre, deren schönsten die Kreuzigungsgruppe des Meister Paul darstellt.

Überall herrscht strengstes Fotografierverbot - man will sich auf diese Art und Weise vor Auftragsdiebstählen schützen: "In vielen Kirchen fehlt das Geld für aufwendige moderne Alarmanlagen. Obwohl viele Orte unter den Schutz des UNESCO-Welterbes gestellt wurden, ist das Geld für eine 100-prozentige Diebstahlsicherung nicht vorhanden, und man behilft sich damit, dass man keine Fotos zulässt", erklärt Bruder Irenäus vom Orden der Minoriten in Donnersmark (SpiÇssk´y Stvrtok). Ob auf diese Weise die kostbaren Schätze unversehrt bleiben, konnte freilich nicht beantwortet werden.

Trotz negativer Erfahrungen baut man seit Jahren natürlich auf die westlichen Touristen. Die Rechnung ist aufgegangen - mit hervorragender Küche, kulturellen Höhepunkten und mit touristischen Aktivitäten wie Floßfahrten auf der Dunajec an der polnischen Grenze, welche die Besucher in die Zeiten von Maria Theresia, die hier Holz und Salz transportieren ließ, zurückversetzen.

Die offizielle Slowakei wünscht sich im Zipser Land eine Ausweitung des Tourismus, aber noch ist es nicht so weit. Die Zips mit Land und Leuten, mit Kirchen, Klöstern, Bürgerhäusern, Palästen voll nostalgischer Erinnerungen, ist ein Geheimtipp. Wie lange noch, weiß freilich niemand.

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