Nur ein Jahrzehnt für die Kunst

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Van Gogh in der Albertina: Nicht nur seine besten Bilder sind zu sehen, auch der Zeichner im Maler ist zu entdecken.

Der vereinsamte und unverstandene Künstler ist eines der beliebtesten Leitmotive für den angenehmen Diskurs über vergangene Zeiten. Kaum einer erfüllt diese Gesprächsvorgabe derart perfekt bis in brutale Details wie Vincent van Gogh. Eine Biografie des beständigen Anfangs breitet sich aus: Scheitern, mit voller Kraft voraus, scheitern, wieder mit voller Kraft voraus, wieder scheitern. Ein Wechselbad der Extraklasse, das der Kunst bloß zehn Jahre Zeit einräumte und dennoch eine ganz Heerschar grandioser Meisterwerke ermöglicht hat. Anhand von 140 Exponaten verfolgt die derzeitige Präsentation in der Albertina dieses Leitmotiv aus dem Lebenslauf von van Gogh. Um es damit gleichzeitig aufzuheben, denn nur wenige Künstler erfreuen sich derartiger Popularität, und das weltweit.

Alle Versuche van Goghs, beruflich Fuß zu fassen, scheiterten mehr oder minder kläglich. Aus der vielversprechenden Tätigkeit als Kunsthändler wird er entlassen, das darauf begonnene Theologiestudium überfordert ihn, und auch der Hilfslehrer und Laienprediger erleidet Schiffbruch. Es blieb die Kunst – und die lebenslang andauernde finanzielle Abhängigkeit von dem um vier Jahre jüngeren Bruder Theo. Dieser war es auch, der Vincent zur Malerei riet, der ihn mit Kunstdrucken als Studienmaterial versorgte, der versuchte, seine Arbeiten zu verkaufen und der mit Vincent einen intensiven Briefwechsel pflegte. In diesem brüderlichen Austausch stellt sich ein mit erstaunlichem Reflexionsvermögen ausgestatteter Maler vor – was einmal mehr am Leitmotiv der Weltfremdheit kratzt.

Der sozial eingestellte van Gogh zeichnet und malt vor allem arme Leute, Bauern, Handwerker und Landschaften. Die Menschen, so es nicht Porträts sind, nehmen meist eine gebückte Arbeitshaltung ein, von der man meint, sie könnten sie gar nicht mehr aufgeben. Oder er inszeniert ihr Arbeitsgerät wie einen Käfig, in dem die Arbeiter eingesperrt sind, wie in der Serie über Weber am Webstuhl aus dem Jahr 1884, die an die singuläre Arbeit „Der Gefangenenhof“ von 1890 erinnert. Die Palette ist von dunklen Farben beherrscht, und manche Übertreibung erzählt noch nicht von souveränem künstlerischem Ausdruck, sondern von den Resten der Anfängerungelenkigkeit.

Als Vincent in Paris Werke der Impressionisten zu Gesicht bekommt, übernimmt er über Nacht deren Malweise. Bald schon aber zeigen sich Ansätze, das kultivierte Raffinement der Impressionisten hinter sich zu lassen, letztlich passt dieses nicht zum impulsiven und stets mit großer Anteilnahme vor seinem Motiv malenden van Gogh. Die Vorliebe für japanische Holzschnitte – van Gogh überträgt Arbeiten von Hiroshige in Ölmalereien – und die Reaktion auf die Fotografie, der gegenüber er eine „tiefere Ähnlichkeit“ mit seinen Vorlagen anstrebt, bringen ihn seinem Lebenselixier, der Kunst, weiter näher.

Im Februar 1888 beginnt das größte Abenteuer, van Gogh bricht in den Süden auf und wählt Arles als sein neues Domizil. Das Licht des Südens, das bereits sein großes Vorbild Eugène Delacroix aufgesucht hatte, lässt die Farben ihren angestammten Platz, wie ihn die Natur vorgibt, verlassen. Er arbeitet nun mit jener Souveränität, die sich über Vorgaben hinwegsetzen kann, wenn es gilt, die pralle Kraft der Aussage hervorzukehren. Er träumt aber auch davon, gemeinsam mit Paul Gauguin eine Künstlerschule zu etablieren: Nach neun Wochen scheitert auch dieses Projekt, Gauguin reist Hals über Kopf ab, van Gogh bleibt mit der berühmten Selbstverletzung am Ohr zurück.

Sein aufreibender Lebensstil und seine grundsätzlich nicht ausgeglichene psychische Verfasstheit bescheren van Gogh immer wieder in Schüben auftretende Angstzustände und Halluzinationen. Er begibt sich freiwillig in ärztliche Behandlung und übersiedelt schließlich nach Auvers-sur-Oise, nördlich von Paris, um sich in der dortigen Heilanstalt wieder zu regenerieren. In zwei Monaten malt er an die siebzig Bilder, was nicht gerade Ausdruck einer erholsamen Phase ist. Im Juli 1890 erliegt er einer Schussverletzung, die er sich, aus welchen Gründen auch immer, während einer seiner Malwanderungen selbst zugefügt hatte. Bloß ein Jahrzehnt stand ihm für die Kunst zur Verfügung, seine Meisterwerke entstanden in den beiden letzten Lebensjahren, und dennoch besetzt er einen der prominentesten Plätze in der Ahnherrschaft der klassischen Moderne.

Die Schau in der Albertina zeichnet diese Biografie mit einer Auswahl aus van Goghs Schaffen nach, die sich an den besten seiner Arbeiten bedient. Darüber hinaus stellt sie nicht nur den Zeichner van Gogh vor, nicht nur die Wichtigkeit der Zeichnung als Vorarbeit für auf dieser Grundlage entstandene Gemälde, sondern fokussiert auf den zeichnerischen Duktus des Malerpinsels. Die „Gezeichneten Bilder“ werden viele Menschen in die Albertina locken, aber statt die Eintrittspreise – auch angesichts der enormen Versicherungssumme – zu erhöhen, gibt es längere Öffnungszeiten, und auch der umfangreiche Katalog ist günstiger zu bekommen. Van Gogh wird’s freuen.

Van Gogh. Gezeichnete Bilder

Albertina

Albertinaplatz 1, 1010 Wien

Bis 8.12. tägl. 9–19, Mi 9–21 Uhr

Katalog: Van Gogh. Gezeichnete Bilder, Köln (DuMont) 2008, 420 S, € 24,90

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